Nach dem Schock ist vor dem Schock
Jetzt haben wir wenigstens ein Wort dafür: Frankenschock. Aber haben wir auch Verständnis? Wenn man Zeitung liest, kommen einem jedenfalls ernste Zweifel.
Peter Bodenmann, der ehemalige Präsident der Sozialdemokraten, schreibt in der Weltwoche tatsächlich, die Nationalbank hätte noch weiter Geld drucken sollen, um einen für die Wirtschaft günstigen Wechselkurs zu garantieren.
Um unsere Situation zu verstehen, darf man nicht nur auf die Wechselkurse und die leuchtenden Preise im grenznahen Ausland schauen. Man muss wissen, was Geld eigentlich ist. Deshalb hier in der kürzestmöglichen Form: Geld ist ein übertragbares Recht auf einen bestimmten Anteil an der volkswirtschaftlichen Produktion eines Landes, entweder in Form eines Gutscheins (Bargeld) oder einer Zahl auf einem Konto. In der Wirklichkeit entsteht dieses Recht durch eigene Leistung. Man liefert etwas und erhält anstatt einer sofortigen Gegenleistung ein übertragbares Recht auf späteren Bezug. Je sicherer dieses Recht, desto besser das Geld.
In der fiktionalen Welt des Finanzwesens ist es allerdings ganz anders: Da geben die Banken quasi à discretion solche Rechte auf Gegenleistung heraus, ohne dass die primäre Leistung erbracht worden wäre. Das sind die Kredite, die den grössten Teil unseres Geldes ausmachen. Mittlerweile wissen wir, dass diese Leistungen nie erbracht werden können – der Schuldenberg, der die Welt erdrückt. Was aber die wenigsten wissen: Das System ist so konzipiert, dass die geforderten Leistungen, übers Ganze gesehen, gar nie erbracht werden können.
Damit wir das nicht merken und das Spiel noch eine Weile weitergehen kann, kommt jetzt die Stunde der Zentralbanken. Sie kaufen die uneinbringlichen Schulden auf und bezahlen mit weiteren Rechten auf Leistung – Geld genannt –, die nie eingelöst werden können. So baden wir alle in Rechten, die ständig an Wert verlieren. Besonders gut in diesem Spiel: das amerikanische Federal Reserve System, die Bank of Japan und die Europäische Zentralbank, die abwechslungsweise die Rolle des grossen Geldvermehrers spielen.
Was tun jetzt die Besitzer dieser rechtlosen Rechte? Sie schauen sich um, wo sie noch vergleichsweise mehr dafür bekommen – und kaufen Schweizer Franken. Deshalb steigt der Kurs. Damit werden aber die Schweizer Produkte teurer, die Arbeitsplätze sind in Gefahr. Um dies abzuwenden, hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) im September 2011 die Bindung des Frankens an den Euro beschlossen, ein Riesengeschenk an die Spekulanten dieser Welt. Denn um diese Politik innerhalb der Regeln des freien Kapitalverkehrs glaubhaft zu machen, musste sie natürlich allen Fremdwährungsbesitzern mit Lust auf unser Geld die Devisen abkaufen und dafür neu geschöpfte Schweizer Franken hergeben. Die zuverlässigen Rechte an schweizerischer Produktion wanderten ins Ausland, die vom Markt weniger geschätzten Rechte an ausländischer Produktion landeten in den Büchern der Nationalbank, die, gemessen an der Volkswirtschaft, zum grössten Geldvermehrer der Erde wurde. Fast das ganze Bruttosozialprodukt eines Jahres hat sie innerhalb dreier Jahre hergegeben. Wenn es nicht gelingt, mit den wertloser gewordenen Devisen die Schweizer Franken im Ausland zurückzukaufen, werden wir fast ein Jahr gratis arbeiten müssen, um diese Rechte zu honorieren. Das konnte natürlich nicht so weitergehen; deshalb hat SNB-Präsident Thomas Jordan die Notbremse gezogen. Jetzt gelten wieder die Regeln von Angebot und Nachfrage (die nach der Aufgabe fester Wechselkurse 1973 als Übergangslösung für ein Jahr eingeführt wurden). Das ist zwar nicht besser, nur ehrlicher.
Denn wenn die Franken gekauft würden, um Schweizer Maschinen zu erwerben oder hierzulande Ferien zu machen, dann könnte die Nationalbank munter weiter Geld drucken, und alle würden im Wohlstand baden. Aber Devisentransaktionen haben schon längst nur noch am Rande mit der Realwirtschaft zu tun. 98 Prozent haben nur noch rein spekulativen Zweck. Leider muss die spekulativ aufgeblähte Nachfrage früher oder später mit realem Angebot befriedigt werden. Dann kämpft das Ruderboot gegen den Ozeanriesen.
Die Schweiz ist auf dem Finanzmarkt wie ein (relativ) gesunder Apfel in einer Harasse voller fauler Früchte. Da ist guter Rat teuer. Wir werden, und das ist wieder mal eine Prognose, für die ich meine Hand ins Feuer lege, Transaktionskontrollen einführen müssen, um den globalen Finanz-Tsunami abzuwehren. Wann? Höchstwahrscheinlich, wenn es bereits zu spät ist. Wie gesagt: Nach dem Schock ist vor dem Schock.
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Motto dieser Kolumne ist ein Zitat von Lichtenberg: "Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen."
Um unsere Situation zu verstehen, darf man nicht nur auf die Wechselkurse und die leuchtenden Preise im grenznahen Ausland schauen. Man muss wissen, was Geld eigentlich ist. Deshalb hier in der kürzestmöglichen Form: Geld ist ein übertragbares Recht auf einen bestimmten Anteil an der volkswirtschaftlichen Produktion eines Landes, entweder in Form eines Gutscheins (Bargeld) oder einer Zahl auf einem Konto. In der Wirklichkeit entsteht dieses Recht durch eigene Leistung. Man liefert etwas und erhält anstatt einer sofortigen Gegenleistung ein übertragbares Recht auf späteren Bezug. Je sicherer dieses Recht, desto besser das Geld.
In der fiktionalen Welt des Finanzwesens ist es allerdings ganz anders: Da geben die Banken quasi à discretion solche Rechte auf Gegenleistung heraus, ohne dass die primäre Leistung erbracht worden wäre. Das sind die Kredite, die den grössten Teil unseres Geldes ausmachen. Mittlerweile wissen wir, dass diese Leistungen nie erbracht werden können – der Schuldenberg, der die Welt erdrückt. Was aber die wenigsten wissen: Das System ist so konzipiert, dass die geforderten Leistungen, übers Ganze gesehen, gar nie erbracht werden können.
Damit wir das nicht merken und das Spiel noch eine Weile weitergehen kann, kommt jetzt die Stunde der Zentralbanken. Sie kaufen die uneinbringlichen Schulden auf und bezahlen mit weiteren Rechten auf Leistung – Geld genannt –, die nie eingelöst werden können. So baden wir alle in Rechten, die ständig an Wert verlieren. Besonders gut in diesem Spiel: das amerikanische Federal Reserve System, die Bank of Japan und die Europäische Zentralbank, die abwechslungsweise die Rolle des grossen Geldvermehrers spielen.
Was tun jetzt die Besitzer dieser rechtlosen Rechte? Sie schauen sich um, wo sie noch vergleichsweise mehr dafür bekommen – und kaufen Schweizer Franken. Deshalb steigt der Kurs. Damit werden aber die Schweizer Produkte teurer, die Arbeitsplätze sind in Gefahr. Um dies abzuwenden, hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) im September 2011 die Bindung des Frankens an den Euro beschlossen, ein Riesengeschenk an die Spekulanten dieser Welt. Denn um diese Politik innerhalb der Regeln des freien Kapitalverkehrs glaubhaft zu machen, musste sie natürlich allen Fremdwährungsbesitzern mit Lust auf unser Geld die Devisen abkaufen und dafür neu geschöpfte Schweizer Franken hergeben. Die zuverlässigen Rechte an schweizerischer Produktion wanderten ins Ausland, die vom Markt weniger geschätzten Rechte an ausländischer Produktion landeten in den Büchern der Nationalbank, die, gemessen an der Volkswirtschaft, zum grössten Geldvermehrer der Erde wurde. Fast das ganze Bruttosozialprodukt eines Jahres hat sie innerhalb dreier Jahre hergegeben. Wenn es nicht gelingt, mit den wertloser gewordenen Devisen die Schweizer Franken im Ausland zurückzukaufen, werden wir fast ein Jahr gratis arbeiten müssen, um diese Rechte zu honorieren. Das konnte natürlich nicht so weitergehen; deshalb hat SNB-Präsident Thomas Jordan die Notbremse gezogen. Jetzt gelten wieder die Regeln von Angebot und Nachfrage (die nach der Aufgabe fester Wechselkurse 1973 als Übergangslösung für ein Jahr eingeführt wurden). Das ist zwar nicht besser, nur ehrlicher.
Denn wenn die Franken gekauft würden, um Schweizer Maschinen zu erwerben oder hierzulande Ferien zu machen, dann könnte die Nationalbank munter weiter Geld drucken, und alle würden im Wohlstand baden. Aber Devisentransaktionen haben schon längst nur noch am Rande mit der Realwirtschaft zu tun. 98 Prozent haben nur noch rein spekulativen Zweck. Leider muss die spekulativ aufgeblähte Nachfrage früher oder später mit realem Angebot befriedigt werden. Dann kämpft das Ruderboot gegen den Ozeanriesen.
Die Schweiz ist auf dem Finanzmarkt wie ein (relativ) gesunder Apfel in einer Harasse voller fauler Früchte. Da ist guter Rat teuer. Wir werden, und das ist wieder mal eine Prognose, für die ich meine Hand ins Feuer lege, Transaktionskontrollen einführen müssen, um den globalen Finanz-Tsunami abzuwehren. Wann? Höchstwahrscheinlich, wenn es bereits zu spät ist. Wie gesagt: Nach dem Schock ist vor dem Schock.
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Motto dieser Kolumne ist ein Zitat von Lichtenberg: "Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen."
09. Mai 2015
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