Nicht die neue Weltordnung, die bestellt wurde

Werden die westlichen Politiker zur Vernunft kommen, anstatt mit weiteren Sanktionen vor allem den eigenen Ländern zu schaden?

Foto: geralt / pixabay.com

Joe Biden, wackelig auf seinen dürren Beinen, ist nach Europa geflogen, um angesichts der russischen Aggression in der Ukraine Einigkeit zu predigen. Das war der Plan, aber dann hat Putin ihn geändert, indem er ankündigte, dass Russland Erdgas nur noch gegen Rubel verkaufen wird. Nach der Ankündigung Saudi-Arabiens, Öl für Yuan zu verkaufen (ein Viertel seiner Importe geht nach China), klang das nicht gerade nach guten Nachrichten.

Man wird wahrscheinlich einen Experten finden, der sagt, dass die USA mit 20 Prozent der weltweiten Ölproduktion immer noch das Sagen haben und dass dies nur ein Schramme ist. Aber bei entsprechenden Vorbedingungen können selbst Schrammen zum Tod führen.

Erstens wurde in den USA so ziemlich jede Flüssigkeit, die aus einem Bohrloch kommt und kein Wasser ist, zu «Öl» umdefiniert – aber das meiste davon ist einfach nicht so nützlich, vor allem nicht für die Herstellung von Flugzeugtreibstoff oder Diesel; dafür muss echtes, hochwertiges Öl aus Venezuela oder Saudi-Arabien oder Russland importiert werden.

Zweitens verbrauchen die USA sehr viel Öl, wenn sie durch ihre aufgeblähten, vernachlässigten Vorstädte fahren, die mehr oder weniger alles sind, was sie derzeit haben, abgesehen von ein paar winzigen Flecken alter städtischer Schönheit.
Angesichts der massiven, jahrzehntelangen Zersiedelung reichen 20 Prozent der weltweiten Ölproduktion für 5 Prozent der Weltbevölkerung einfach nicht aus – es muss mehr sein!

Drittens haben sich die USA daran gewöhnt, sich das zusätzlich benötigte Öl zu beschaffen, indem sie Dollar drucken und damit bezahlen, und das wird nicht mehr funktionieren.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die USA haben es geschafft, sich selbst vom internationalen Ölmarkt auszuschliessen. Erstens haben sie sich geweigert, russisches Öl zu importieren, und zwar wegen der «speziellen Militäroperation» in der Ukraine. Zweitens schickte Biden eine hochrangige Delegation nach Venezuela, um Nicolas Maduro zur Wiederaufnahme der Ölverkäufe an die USA zu überreden. Die Delegation wurde angewiesen, mit Juan Guaidó zu sprechen, wer auch immer er ist und wo auch immer er sein mag. Drittens – und das ist der schmerzhafteste Teil – versuchte Biden, Mohammed bin Salman von Saudi-Arabien und Mohammed Bin Sayed von den Vereinigten Arabischen Emiraten anzurufen, und beide weigerten sich, Bidens Anruf entgegenzunehmen, was das diplomatische Äquivalent einer Ohrfeige ist.

Und nun landet Biden in Europa, bereit, noch mehr Sanktionen gegen Russland zu verkünden und über Einigkeit und Solidarität mit den europäischen Führern zu sprechen. Nur sind die europäischen Staats- und Regierungschefs vor Schreck ohnmächtig geworden, weil Putin soeben angekündigt hat, dass russische Exporte von nun an nur noch gegen Rubel zu haben sein werden, angefangen beim Erdgas.

Wenn sie keinen Weg finden, Rubel für Gas zu zahlen, werden sie mit Industrieschliessungen und Stromausfällen rechnen müssen, und die nächste Heizperiode wird einfach nicht stattfinden. Besonders schmerzlich ist, dass sie kein Recht haben, sich zu beschweren. Wer hat denn die russischen Dollar- und Euro-Reserven beschlagnahmt und damit Russland bewiesen, dass diese Währungen unzuverlässig sind?

Einige haben versucht, mit der Begründung zu argumentieren, dass die Zahlung in Dollar in den bestehenden Gasverträgen festgeschrieben ist; das fragliche Gas befindet sich jedoch auf russischem Territorium, wo gemäss der russischen Verfassung die Anordnungen des Präsidenten und die russischen Gesetze Vorrang haben.

Und so hat sich die Tagesordnung in Europa plötzlich von «Welche Sanktionen verhängen wir als nächstes?» zu «Wie kommen wir an ein paar Rubel?» geändert. Und das ist eine wirklich gute Frage.

Angenommen, Sie wollen Rubel mit Dollar oder Euro kaufen. Nun, da gibt es ein Problem: Rubel können nur innerhalb Russlands gekauft werden, und die Einfuhr von Dollar oder Euro nach Russland ist aufgrund der Sanktionen gegen russische Banken problematisch.

Und es gibt noch ein weiteres Problem: Die Überschwemmung des russischen Devisenmarktes wird den Wechselkurs in kürzester Zeit in die Höhe treiben und die Händler zum Horten von Rubeln veranlassen.

Was gibt es also noch? Nun, Sie könnten zur russischen Zentralbank gehen und einen Kredit aufnehmen. Der Zinssatz liegt bei 20 Prozent, und Sie brauchen Sicherheiten. Bargeld, sei es in Dollar oder Euro, ist als Sicherheit nutzlos, weil diese Währungen unzuverlässig sind, siehe oben.

Sie könnten Aktien als Sicherheit einbringen, aber nicht von Microsoft, IKEA oder Siemens, weil sie sich aus Russland zurückgezogen haben, und nicht von Facebook, weil es gegen russisches Recht verstossen hat und verboten wurde [wegen der Zulassung von Aufforderungen zur Tötung russischer Soldaten]. Und Sie würden wahrscheinlich auch keine Aktien westlicher Rüstungsunternehmen hinterlegen wollen, aus offensichtlichen Gründen.

Und wenn Sie einen dieser Kredite nicht bedienen können, sitzen am Ende russische Zentralbankbeamte in den Vorständen westlicher Unternehmen. Vielleicht wäre es besser, Land zu veräussern. Die EU könnte Estland, Lettland und Litauen aufgeben; die USA könnten Alaska und Hawaii aufgeben.

Für die europäischen Staats- und Regierungschefs wird es viel zu besprechen geben; die Frage ist nur, ob sie in der Lage sein werden, aus ihrer Benommenheit herauszukommen und tatsächlich Gedanken zu äussern, die Sinn machen.

Diese Situation erfordert kreatives Denken und mutige neue Initiativen, während die Politker ihr ganzes Leben lang geübt haben, ihren Text zu rezitieren und dabei politisch korrekt zu sein. Aus purer geistiger Trägheit werden sie alle gezwungen sein, weiterhin «hart zu Russland» zu sein, wobei sie völlig ignorieren, dass dies eigentlich bedeutet, dass sie unvernünftig und hart zu ihren eigenen Leuten sind.

Und das ist der wirklich traurige Teil und eine unbeabsichtigte Folge aus russischer Sicht. Russland möchte, dass die westlichen Länder intakt bleiben und einfach vernünftig sind. Ist das zu viel verlangt?

26. März 2022
von:

Über

Dmitry Orlov

Submitted by christoph on Mo, 03/21/2022 - 08:04
Dmitry Orlov

Dmitry Orlov wurde 1962 in der Sowjetunion in eine Familie von dissidenten Wissenschaftlern geboren, die 1976 in die USA auswanderte. Studium in den USA (Ingenieurwissenschaften und Linguistik) und Arbeit in mehrere Branchen, u.a. am CERN in Genf. Seit einigen Jahren lebt Orlov als Autor mit seiner Familie in seiner Heimatstadt St. Petersburg. Seine Texte erscheinen auf boosty (kostenpflichtig, freie Beitragswahl) auf cluborlov.

Auf deutsch ist von Dmitry Orlov erschienen:

Die Lehre vom Kollaps – die fünf Stufen des Zusammenbruchs und wie wir sie überleben. edition Zeitpunkt, 2020. 144 Seiten, Fr. 15.00.-/€ 15.00.-. ISBN: 978-3-907263-01-3

Von Dmitry Orlov sind auf englisch erschienen:

  • The Meat Generation (2020)
  • Collapse and the Good Life (2018)
  • Collapse Chronicles (Essays, 2018)
  • Everything is Going According to Plan (2017)
  • Shrinking the Technosphere – Getting a Grip on the Technologies, that Limit our Autonomy, Self-Sufficiency and Freedom
  • Emergency Eyewash (Essays, 2015)
  • Societies that Collapse (Essays, 2014)
  • Absolutely Positive (Essays, 2012)
  • The Five Stages of Collapse – a Survivors Toolkit (2012)
  • Hold your Applause
  • Reinventing Collapse: The Soviet Experience and American Prospects

Kommentare

Schiefer Oel und Gas

von nussknacker
sind extrem kurzlebig und kostenintensiv, mehr als 200 US Bohrfirmen sind bereits Pleite gegangen. Die guten Abbaulager in den USA gehen langsam zur Neige und der Rest abzubauen wird unrentabel sein. Es ist also nur Frage der weniger Jahre bis die USA wieder Nettoenergieimporteur sein wird. Die Vorstellungen der EU Clowns die russischen Importe mit US LPG Gas zu ersetzen sind also nur Schwachsinn