An der DenkBar: Ich bin so frei…
Jeder kennt den Vorgang aus der eigenen Jugendzeit: Man denkt erstmals etwas gründlicher über Freiheit nach, freut sich auf eine möglicherweise grosse Entdeckung respektive Einsicht und landet schon bald «in Ketten». Man ist beispielsweise in seinem Körper gefangen, sieht nie so aus wie ein Idol oder ein Schönheitsideal. Niemand kann wirklich aus seiner Haut fahren. Wer völlig frei sein will, wird durch das Leben eines Besseren belehrt. Ob der Tod zur absoluten Freiheit führt, weiss niemand. Albert Camus bezeichnete die Möglichkeit Selbstmord zu begehen als «Freiheit». Wer sich nicht umbringt, hat auch entschieden. Notwendigerweise. Spinoza bringt es auf den Punkt: «Freiheit hebt die Notwendigkeit nicht auf, sondern setzt sie voraus.» Wer frei leben will, ist den Spielregeln des Lebensspiels unterworfen. Wer diese Regeln studiert, weiss mehr über sich und die Welt. Karl Jaspers schreibt: «Denn Freiheit ist nie wirklich Freiheit bloss Einzelner. Jeder Einzelne ist frei in dem Masse, als die anderen frei sind.» Der Andere muss sich aber ebenfalls «frei» verhalten.
Es ist keine Freiheit denkbar, wenn dem Anderen zugestanden wird, dass er sich unkritisch verhält. Unkritische Verfechter von Wahrheitsansprüchen verfolgen Ziele, die den Freiheitsbegriff von vorneherein nicht ernst nehmen. Ideologen, die mit einem Klempnerkasten von Beeinflussungswerkzeugen ausgestattet sind, verhindern eine freiheitliche Praxis ebenso wie jene, die ihre Wahrheit als gottgegeben betrachten. Wer aber kann dulden, was die Grundlage kritischen Denkens infrage stellt? Darf man wegschauen, wenn am Fundament der Freiheit gerüttelt wird? Die Schwierigkeiten entstehen wohl aus der Verwechslung von «gleichberechtigt»und «gleichwertig». Alle sind in einer aufgeklärten Gesellschaft gleichwertig. Aber sie sollten nicht die gleichen Rechte haben. Wer die Spielregeln eines offenen Diskurses nicht teilt, verhält sich wie ein (gefährlicher) Kettenhund. Menschen, die ihre Überzeugungen nie radikal hinterfragt haben, verharren leicht in einem rücksichtslosen Kampfmodus. Rücksicht ist das Lebenselixier von Freiheit. Naiv ist die Rücksicht auf Respektlosigkeit. Hannah Arendt stimmt dem zu; für sie muss aus demokratischen Verfassungen verbindliche Autorität abgeleitet werden können. Damit gilt: Wer andere Menschen ernst nimmt, verlangt dasselbe von ihnen. Wer die anderen nicht ernst nimmt, glaubt nicht an sich selbst. Das macht hilflos und vernebelt die Unterscheidung von Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung. «Friede ist ungestörte Freiheit», bemerkte Cicero. Man möchte anfügen, dass die zurzeit gestörte Freiheit Menschen braucht, die keine Angst haben, «ich bin so frei» zu sagen, wenn es gilt, systematische Störefriede zurechtzuweisen. Angst ist, laut Kierkegaard, «der Schwindel der Freiheit». Furchtlos sind Menschen, die sich mit diesem Schwindel permanent auseinandersetzen, und zwar hinsichtlich ihrer selbst und aller anderen. Das ist die umfassende Bedeutung des notwendigen Selbstbewusstseins.
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