Andrea Pfeifer ist freischaffende Singer/Songwriterin. In ihrem Soloprojekt «Yoki» beleuchtet die Wahlbernerin gesellschaftspolitische Themen, mit ihrer Band «Alva Lün» erforscht sie Sphären jenseits unserer Realität. In ihrem Text erzählt sie, wie es zu diesem Spannungsfeld kam und was das mit dem Wort «Zeitpunkt» zu tun hat.

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Es gibt Zeitpunkte in unserem Leben, die wie Leuchttürme in unserer Chronologie stehen. Momente, die sich für immer in unser Gedächtnis eingebrannt haben, weil sich da etwas Wegweisendes ereignet hat. Ich habe einige dieser Türme angesammelt, viele davon sind «Erste Male». Wie ich mein erstes selbstgeschriebenes Lied meiner Schwester vorsinge. Wie ich ganz alleine mit einem riesigen Rucksack auf dem Rücken am Flughafen stehe und meinem ersten Abenteuer entgegenfiebere. Das überwältigende Gefühl, zum ersten Mal meine Kinder in Händen zu halten. Ihre ersten Schritte. Der erste tosende Applaus an einem Konzert. Der Augenblick, als ich meiner grossen Liebe zum ersten Mal in die Arme fliege und mein glühendes Gesicht an seine Brust presse. Und dann gibt es das eine Erlebnis, das in seiner existentiellen Wucht mein Leben wie kein anderes geprägt hat: der Moment, als ich zum ersten Mal starb.

Damals war ich Mitte zwanzig, Studentin, frisch verliebt und lag von einer Lebensmittelvergiftung niedergestreckt in einer Hütte in Ägypten. Während mein Körper von Fieber und Krämpfen geschüttelt wurde, machte sich mein Geist auf eine besondere Reise: einmal Unendlichkeit und zurück.

Als Kind habe ich mir den Tod immer als ewig dunkel vorgestellt, als schwarze, endgültige Nichtexistenz – ein Gedanke, der oftmals beim Einschlafen über mich herfiel und mich mit namenlosem Grauen erfüllte. Als ich dann später jedoch tatsächlich an der Schwelle zum Tod stand und einen Zeh in die Ewigkeit tauchte, war es dort alles andere als dunkel. Im Gegenteil. In dem Moment, als mein Körper seinen Dienst quittierte, entdeckte ich voller Erstaunen, dass meine wahre Gestalt nur darunter verborgen gewesen war. Mein wahres Ich – das war ein vibrierender, lebendiger Lichtkörper, der sich von der nun regungslosen Hülle löste und federleicht nach oben schwebte. Meine Verblüffung darüber und das plötzliche Gefühl der Freiheit riefen eine solche Freude, eine solch wilde Ekstase in mir wach, dass ich mit einem Jubelschrei in Milliarden von Lichtpartikeln explodierte und mich in ein prachtvolles, goldenes Licht hinein ergoss.

Jahre später sah ich diese Ekstase im Gesicht meiner Grossmutter, kurz bevor sie in den Tod glitt. Der Sterbeprozess war schmerzhaft und anstrengend für sie gewesen, und nie hatte ich etwas Rührenderes gesehen, als diese 93-jährige Frau, die von ihren Kindern und Enkeln umringt auf dem Sterbebett lag und ängstlich nach ihrer eigenen «Mamä» rief. Aber als sie schliesslich losliess, trat ein entrückter Ausdruck in ihre Züge und ich fühlte mich wieder emporgehoben von dieser ewigen Kraft, die auch mich als junge Frau durchströmt hatte.

Damals, in Ägypten, wurde ich wieder ins Leben zurückbefördert und seither laufe ich als wandelnder Widerspruch herum. Die Füsse auf der Erde, den Kopf in der Milchstrasse und in meinem Herzen eine unbändige Sehnsucht nach Freiheit. Eigentlich gehöre ich ganz woanders hin und doch fühle ich mich dieser Welt zutiefst verpflichtet und möchte ihr bis zu meinem letzten Atemzug alles von mir schenken. Meine Stimme. Meine Wahrheit. Meine Liebe. Also sorge ich für Leuchttürme, für erste Male, für wirklich legendäre Momente – bis irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem ich alles loslasse und mit einem One-Way-Ticket nach Hause fliege.

 

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Die Nahtoderfahrung von Andrea Pfeifer wurde in einem Interview festgehalten: https://www.youtube.com/watch?v=457xGuSEq5E&t=124s

Mehr zu ihrer Band: www.alvaluen.ch

Und zu ihrem Soloprojekt: www.yokidoki.ch