Und sie bewegt sich doch
Ist unser Fortschritt wirklich ein Fortschritt oder vielmehr ein Fortschreiten von unseren ursprünglichen Fähigkeiten?
Unter Androhung des Scheiterhaufens soll der Mathematiker und Astronom Galileo Galilei bei seiner Aussage geblieben sein, dass nicht die Sonne sich um die Erde, sondern die Erde sich um die Sonne dreht. Seitdem hat sich das heliozentrische Weltbild durchgesetzt. Wir wissen, dass sich die Erde täglich einmal um die eigene Achse dreht und in einem Jahr die Sonne umkreist. Auf die Nacht folgt der Tag und auf den Winter der Frühling.
In der Nahrungskette gibt es keinen Abfall.
In der Welt, in der wir leben, ist alles zyklisch. In immer den gleichen Abständen wiederholen sich die Tages- und Jahreszeiten. So ist alles ununterbrochen in Bewegung. Auf dunkel folgt hell, auf warm folgt kalt. In komplementärer Weise greifen die Gegensätze ineinander. Das eine braucht das andere, damit das Ganze in Bewegung und damit am Leben gehalten wird. Stillstand würde den Tod bedeuten. Unaufhörlich dreht sich das Rad. Immer wieder neu pendelt sich ein natürlicher Organismus ein.
In der Natur nährt einer den anderen. In dieser Nahrungskette gibt es keinen Abfall. Aus dem Humus des Alten entsteht die Nahrung für das Neue. So entwickelt sich das Gesamte gemeinsam weiter. Da alles mit allem verbunden ist, fällt niemand aus dem Ganzen heraus. Nichts ist isoliert. Alles hängt zusammen. Wenn ein Teil sich verändert, hat das Konsequenzen für alle. So kann es allen zusammen immer nur so gut gehen wie jedem einzelnen.
Die Verdinglichung der Welt
Für diese biologischen und physikalischen Tatsachen muss heute niemand mehr auf den Scheiterhaufen. Dennoch richtet sich unser Leben heute weniger denn je nach den ursprünglichen Zyklen. Wir haben buchstäblich die Nacht zum Tag gemacht. Aus natürlichen wurden menschengemachte Gesetze. Nichts ist uns mehr heilig, vor nichts haben wir mehr Respekt. Gott ist tot, die Geheimnisse des Lebens sind entschlüsselt, nichts steht uns mehr im Wege.
Erbarmungslos entreissen wir der Mutter Erde ihre Schätze und machen sie zu Geld. Wir essen Himbeeren zu Weihnachten und Orangen im Juli. Die Natur haben wir zu unserem Untertan gemacht und das Lebendige zu einem Ding. Alles hat unsere Wissenschaft zu Objekten degradiert und schliesslich zur Ressource. So weit haben wir uns von der Natur der Dinge entfernt, dass wir uns selbst vergegenständlicht haben.
Unser Denken ist objektiv geworden, unpersönlich, kalt, unsere Welt sinnlos und allein auf die Materie reduziert. In ihr ist alles jederzeit verfügbar. Wir müssen es nur einkaufen. Mit einem Klick ist alles erledigt. Selber produzieren wir so gut wie nichts mehr. Wir kennen kaum noch die Namen der Pflanzen und Tiere in unserer Umgebung, können keinen Garten mehr anlegen, keine Kleidung mehr herstellen, kein Haus mehr bauen. Nicht einmal Feuer können wir machen. Mit keinem Steinzeitmenschen könnten wir es heute mehr aufnehmen.
Wenn wir genau hinschauen sehen wir, dass nicht der Mensch sich weiterentwickelt hat, sondern die Technik.
Dumm gelaufen
So sei an dieser Stelle die Frage erlaubt, ob das, was wir Fortschritt nennen, nicht in Wirklichkeit ein Rückschritt ist. Wären wir in der Lage zu überleben, wenn es keine Smartphones und keine Elektrizität gäbe? Würden wir uns in den Wäldern zurechtfinden, die uns noch verbleiben? Könnten wir Essbares von Ungeniessbarem unterscheiden? Würden wir uns bei Nacht orientieren können? Und bei Tage? Könnten wir noch in den Sternen lesen? Könnten wir unsere Kranken und Alten versorgen? Unsere Kinder unterrichten?
Was würden wir sie lehren, wenn es keine Bildschirme gäbe? Könnten wir Gefässe töpfern, Holz verarbeiten, Metall herstellen? Eine Kuh melken, ein Huhn schlachten, einen Fisch ausnehmen? Wären wir dazu in der Lage, einen Stoff zu weben, Wachs zu giessen, Papier herzustellen? Könnten wir ein Brot backen? Könnten wir überhaupt kochen, nicht nur warmmachen? Könnten wir ein Musikinstrument herstellen und es spielen? Hätten wir Lieder im Kopf, die wir singen, und Geschichten, die wir erzählen können?
Sind wir klüger geworden als zu Galileis Zeiten? Mokieren wir uns zu Recht darüber, dass die Menschen einmal glaubten, die Sonne drehe sich um die Erde? Haben uns Aufklärung und Industrialisierung in unserer Entwicklung wirklich weitergebracht? Oder haben wir uns im Grunde vor allem immer mehr von uns selbst entfremdet? War es die richtige Entscheidung, alles auf die Karte einer Technik zu setzen, die uns letztlich verdrängt?
Wenn wir genau hinschauen sehen wir, dass nicht der Mensch sich weiterentwickelt hat, sondern die Technik. Nach und nach haben wir alle Aufgaben an die Maschine übertragen. Sie macht die Dinge an unserer statt. Die Technik ist zu unseren Händen geworden, unseren Beinen, und schliesslich zu unserem Kopf. Alles hat sie übernommen, unser Herz, unsere Sinne, unser Gehirn. Heute übernimmt die Künstliche Intelligenz das Steuer und macht uns letztlich überflüssig. Wir haben den Besen zum Meister gemacht, der nun dabei ist, uns aus dem Labor zu fegen.
Ausgesaugt
Die eigentliche Gefahr, der wir heute ausgesetzt sind, sind nicht Viren, Kriege oder Klimawandel. Sie lenken uns nur davon ab, worum es wirklich geht. Sie sind das rote Tuch, mit dem der Stier in Schach gehalten wird. Die grösste Gefahr ist ein Denken, das so alt ist, wie unsere Zivilisation, als Pharao kein Tor zum Himmel mehr sein wollte, sondern sich selbst zur Sonne erhob. Macht euch die Erde untertan.
Mit dem patriarchalen Herrschaftsdenken setzte sich der megatechnische Pharao auf dem Thron. Die Technik, die er vorantreibt, hat nichts mit Kunstfertigkeit zu tun, mit Handwerk und Geschick. Seine Technik ist seelenlos und lebensfeindlich. Unter dem Anschein, unser Leben zu schützen, zu verlängern und bequem zu machen, saugt sie uns förmlich unsere Energie ab. Wie Kühe werden wir gemolken und zu Biocomputern degradiert, denen das einprogrammiert wird, was dem machtbesessenen Pharao dient.
Zur Sonne
Wer die aktuellen Ereignisse aus dieser Perspektive heraus beobachtet, der weiss, was er jetzt tun kann: Er ändert sein Denken. Er erkennt, dass es keinen Sinn hat, das System zu bekämpfen. Das System muss zunächst aus unseren Köpfen heraus. Nicht irgendwelche Feinde müssen bekämpft werden, nicht das Klima gerettet. Jetzt geht es darum, uns selbst zu retten, indem wir in die ursprünglichen natürlichen Zyklen und Rhythmen zurückfinden.
Lassen wir die Vorstellung los, alles drehe sich um uns. Gehen wir zurück in die Zeit Galileis, in die Zeit der Pharaonen, und erinnern wir uns daran, dass das Zentrum unseres Universums die Sonne ist, die Quelle von Licht und Wärme, ohne die es auf unserem Planeten kein Leben gäbe. Sie abdunkeln zu wollen und ihr zu misstrauen bedeutet, uns vom Leben abzuschneiden. Wenn wir das tun, dann ist der Weg frei für ein künstliches Licht in einer künstlichen Welt. Dann ist der megatechnische Pharao am Ziel.
Überlegen wir uns genau, welchem Meister wir dienen, vor allem dann, wenn wir uns auf der richtigen Seite wägen. Worum geht es wirklich? In welche Richtung bewegen wir uns? Kreisen wir weiter um uns selbst oder finden wir in die natürlichen Zyklen und in den Schoss der Mutter Erde zurück? Ob Paradies oder Hölle – die Entscheidung liegt bei uns.
von:
Über
Kerstin Chavent
Kerstin Chavent lebt in Südfrankreich. Sie schreibt Artikel, Essays und autobiographische Erzählungen. Auf Deutsch erschienen sind bisher unter anderem Die Enthüllung, In guter Gesellschaft, Die Waffen niederlegen, Das Licht fließt dahin, wo es dunkel ist, Krankheit heilt und Was wachsen will muss Schalen abwerfen. Ihre Schwerpunkte sind der Umgang mit Krisensituationen und Krankheit und die Sensibilisierung für das schöpferische Potential im Menschen. Ihr Blog: „Bewusst: Sein im Wandel“.
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Pharao & Patriarchat
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