Das dickste Brett ist angebohrt
Die schmutzigen Geheimnisse des Geldes erreichen den Mainstream. Die ersten Politiker und immer mehr Wissenschaftler verlangen Klarheit über die Fehlkonstruktion unseres Geldsystems.
Politiker ändern ihre Meinung erst, wenn sie gestorben sind – oder wenn ihre Wähler sie ändern. Noch unbeweglicher sind die Wissenschaftler. Wollten sie ihre Meinung ändern, müssten sie ihre Bücher verbrennen – unmöglich. Damit sich neue Lehrmeinungen durchsetzen können, müssen die Professoren ihre Lehrstühle verlassen – das wissen wir, seit der Wissenschaftsphilosoph Thomas S. Kuhn 1962 «The Structure of Scientific Revolutions» veröffentlichte.
Was jetzt geschieht, ist die Vorstufe einer Revolution. Ende März trafen sich knapp 50 Ökonomen, Finanzwissenschaftler und Physiker, darunter ein gutes Dutzend Professoren, um an einem Symposium in Berlin darüber zu diskutieren, wie unser Geldsystem nachhaltig gemacht werden kann. Die Grundlage dazu lieferte eine «wissenschaftliche Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld», die der Enquête-Kommission «Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität des Bundestages zuarbeitet. In einem 80-seitigen Paper kommen die sechs jungen Wissenschaftler zum Schluss, dass unser bestehendes Kreditgeldsystem nur unter einer einzigen Bedingung eine minimale Chance zur Nachhaltigkeit hat: Wenn alle Gewinne verkonsumiert werden. Werden sie aber reinvestiert, angelegt oder als Kredite ausgegeben, entsteht ein Wachstumszwang, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nur: So viele Yachten und Ferienhäuser erträgt die Erde gar nicht, um die Gewinne der Superreichen aufzuzehren.
An der Tagung galt die Chatham-House-Rule, nach der nichts nach draussen gehen darf. Allzuviel darf deshalb nicht verraten werden, insbesondere nichts über die entlarvenden Aussagen der anwesenden Politiker (Die warten wohl auf eine Meinungsänderung ihrer Wähler). Immerhin: So viele Professoren hätte sie noch nie an einer geldkritischen Veranstaltung gesehen, meinte Prof. Margrit Kennedy, gewissermassen die grande dame der Geldaufklärung. Es tut sich was, auch wenn die Änderung der Lehrmeinung über Geld das dickste Brett ist, das man bohren kann, wie ein Professor aus Österreich meinte. Ein anderer, der überdies noch in einer Zentralbank gearbeitet hatte, meinte gar, es sei unmöglich. Warten wir es ab.
Ende Mai publiziert der Club of Rome einen Bericht mit dem Titel «Money – Sustainability: The Missing Link». Bereits der erste Satz lässt die Herzen höher schlagen: «Wir sagen nicht die Wahrheit über Geld». «Wir», das ist nicht der Club of Rome, sondern die Medien, die Politiker, die Mainstream-Wissenschaft und die Banker. «Während 40 Jahren habe ich die Literatur über Nachhaltigkeit studiert», schreibt Dennis Meadows «und an hunderten von Konferenzen teilgenommen, … aber nie hörte ich jemanden, der das Finanzsystem als Ursache unseres Weges zum Kollaps erklärte.» Jetzt wird es also nachgeholt. Man darf gespannt sein, wie die Umweltbewegung auf den Bericht reagiert. Wenn sie die verfehlte Konstruktion unseres Geldes als tiefere Ursache des Wachstumszwangs und der Umweltzerstörung erkennt und ihre enorme Kampagnen-Erfahrung in den Dienst der Geldreform stellt, könnte die kritische Masse bald zu schaffen sein.
Zwei mutige Politiker gehen schon mal voran und stellen dem Bundesrat fundamentale Fragen, wie sie seit Jahrzehnten im Parlament nicht mehr zur Sprache kamen.
Geri Müller (Grüne/AG) will in einer Interpellation (Geldschöpfung in der Schweiz I, Geldschöpfung in der Schweiz II) von Mitte März wissen, wie die «unbare Geldschöpfung durch die Banken mit dem in Art. 99 der Bundesverfassung formulierten Geldregal, nach dem das Geld- und Währungswesen Sache des Bundes ist» zu vereinbaren sei. Im weiteren verlangt er Auskunft über die rechtlichen Grundlagen für die Gleichbehandlung von Bankenbuchgeld und Nationalbankgeld, zumal der Bundesrat in der Botschaft zum Gesetz über die Währung und die Zahlungsmittel von 1999 ausdrücklich festhält, beim Buchgeld der Banken handle es sich nicht um gesetzliches Zahlungsmittel.
Nationalrat Lukas Reimann (SVP/SG) verlangt in seiner Interpellation (Illusionswirtschaft und Realwirtschaft, Fraktionales Reservesystem, Guthaben und Schulden) Auskunft über Verwendung des von den Banken in Umlauf gebrachten Neugeldes: «Wie gross ist der Anteil der Kredite, die in die Realwirtschaft und damit in die Wertschöpfung fliessen und wie gross ist der Anteil, welcher der Finanzwirtschaft und Anlagewerten zugute kommt?» Diese Frage zielt auf die Wertbasis des Bankenbuchgeldes. Wenn das meiste neue Geld, wie heute üblich, für Finanztitel verwendet wird, werden die Banken grösste Schwierigkeiten haben, die Guthaben ihrer Sparer auszuzahlen, wenn die Finanzpapiere auf breiter Front ins Rutschen kommen. Damit muss angesichts der globalen Schuldenkrise gerechnet werden. Die enttäuschenden Antworten des Bundesrates liegen vor und werden an dieser Stelle noch eingehend behandelt.
Ein spezielles Kränzchen verdienen die Jungen Grünen. Als erste Partei der Schweiz kritisierten sie im Februar in einem Papier die Buchgeldschöpfung durch die privaten Banken und forderten, auch unbares Geld dürfe nur noch durch die Nationalbank in Umlauf gebracht werden.Das sind schöne Erfolge für die Bewegung der Geldreform, die von der Politik lange vernachlässigt wurde. Ein Ruhekissen sind sie nicht, eher ein Weckruf. Die schmutzigen Geheimnisse des Geldes erreichen den Mainstream. Es braucht viele Menschen, die die trüben Scheiben putzen.
Geldreform-Veranstaltungen in nächster Zeit:
1./2. Juni, Zürich: Vollgeldreform oder Systemkrise? Wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können. Mit Prof. Marc Chesney, Peter Hablützel, Prof. Joseph Huber, Mark Joób, Prof. Margrit Kennedy, Prof. Philippe Mastronardi und zwei Podiumsgesprächen.
Uni Zürich, Hörsaal Häldliweg 2. Eintritt frei. Veranstalter: Verein Monetäre Modernisierung, Postfach 3161, 5430 Wettingen, www.vollgeld.ch
7. - 8. Juni, Leipzig: fairventure-Kongress ЗWirtschaft neu gestaltenИ u.a. mit Margrit Kennedy, Bernard Lietaer, Jens Martignoni und Johannes Heimrath.Infos: www.fairventure.de
Was jetzt geschieht, ist die Vorstufe einer Revolution. Ende März trafen sich knapp 50 Ökonomen, Finanzwissenschaftler und Physiker, darunter ein gutes Dutzend Professoren, um an einem Symposium in Berlin darüber zu diskutieren, wie unser Geldsystem nachhaltig gemacht werden kann. Die Grundlage dazu lieferte eine «wissenschaftliche Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld», die der Enquête-Kommission «Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität des Bundestages zuarbeitet. In einem 80-seitigen Paper kommen die sechs jungen Wissenschaftler zum Schluss, dass unser bestehendes Kreditgeldsystem nur unter einer einzigen Bedingung eine minimale Chance zur Nachhaltigkeit hat: Wenn alle Gewinne verkonsumiert werden. Werden sie aber reinvestiert, angelegt oder als Kredite ausgegeben, entsteht ein Wachstumszwang, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nur: So viele Yachten und Ferienhäuser erträgt die Erde gar nicht, um die Gewinne der Superreichen aufzuzehren.
An der Tagung galt die Chatham-House-Rule, nach der nichts nach draussen gehen darf. Allzuviel darf deshalb nicht verraten werden, insbesondere nichts über die entlarvenden Aussagen der anwesenden Politiker (Die warten wohl auf eine Meinungsänderung ihrer Wähler). Immerhin: So viele Professoren hätte sie noch nie an einer geldkritischen Veranstaltung gesehen, meinte Prof. Margrit Kennedy, gewissermassen die grande dame der Geldaufklärung. Es tut sich was, auch wenn die Änderung der Lehrmeinung über Geld das dickste Brett ist, das man bohren kann, wie ein Professor aus Österreich meinte. Ein anderer, der überdies noch in einer Zentralbank gearbeitet hatte, meinte gar, es sei unmöglich. Warten wir es ab.
Ende Mai publiziert der Club of Rome einen Bericht mit dem Titel «Money – Sustainability: The Missing Link». Bereits der erste Satz lässt die Herzen höher schlagen: «Wir sagen nicht die Wahrheit über Geld». «Wir», das ist nicht der Club of Rome, sondern die Medien, die Politiker, die Mainstream-Wissenschaft und die Banker. «Während 40 Jahren habe ich die Literatur über Nachhaltigkeit studiert», schreibt Dennis Meadows «und an hunderten von Konferenzen teilgenommen, … aber nie hörte ich jemanden, der das Finanzsystem als Ursache unseres Weges zum Kollaps erklärte.» Jetzt wird es also nachgeholt. Man darf gespannt sein, wie die Umweltbewegung auf den Bericht reagiert. Wenn sie die verfehlte Konstruktion unseres Geldes als tiefere Ursache des Wachstumszwangs und der Umweltzerstörung erkennt und ihre enorme Kampagnen-Erfahrung in den Dienst der Geldreform stellt, könnte die kritische Masse bald zu schaffen sein.
Zwei mutige Politiker gehen schon mal voran und stellen dem Bundesrat fundamentale Fragen, wie sie seit Jahrzehnten im Parlament nicht mehr zur Sprache kamen.
Geri Müller (Grüne/AG) will in einer Interpellation (Geldschöpfung in der Schweiz I, Geldschöpfung in der Schweiz II) von Mitte März wissen, wie die «unbare Geldschöpfung durch die Banken mit dem in Art. 99 der Bundesverfassung formulierten Geldregal, nach dem das Geld- und Währungswesen Sache des Bundes ist» zu vereinbaren sei. Im weiteren verlangt er Auskunft über die rechtlichen Grundlagen für die Gleichbehandlung von Bankenbuchgeld und Nationalbankgeld, zumal der Bundesrat in der Botschaft zum Gesetz über die Währung und die Zahlungsmittel von 1999 ausdrücklich festhält, beim Buchgeld der Banken handle es sich nicht um gesetzliches Zahlungsmittel.
Nationalrat Lukas Reimann (SVP/SG) verlangt in seiner Interpellation (Illusionswirtschaft und Realwirtschaft, Fraktionales Reservesystem, Guthaben und Schulden) Auskunft über Verwendung des von den Banken in Umlauf gebrachten Neugeldes: «Wie gross ist der Anteil der Kredite, die in die Realwirtschaft und damit in die Wertschöpfung fliessen und wie gross ist der Anteil, welcher der Finanzwirtschaft und Anlagewerten zugute kommt?» Diese Frage zielt auf die Wertbasis des Bankenbuchgeldes. Wenn das meiste neue Geld, wie heute üblich, für Finanztitel verwendet wird, werden die Banken grösste Schwierigkeiten haben, die Guthaben ihrer Sparer auszuzahlen, wenn die Finanzpapiere auf breiter Front ins Rutschen kommen. Damit muss angesichts der globalen Schuldenkrise gerechnet werden. Die enttäuschenden Antworten des Bundesrates liegen vor und werden an dieser Stelle noch eingehend behandelt.
Ein spezielles Kränzchen verdienen die Jungen Grünen. Als erste Partei der Schweiz kritisierten sie im Februar in einem Papier die Buchgeldschöpfung durch die privaten Banken und forderten, auch unbares Geld dürfe nur noch durch die Nationalbank in Umlauf gebracht werden.Das sind schöne Erfolge für die Bewegung der Geldreform, die von der Politik lange vernachlässigt wurde. Ein Ruhekissen sind sie nicht, eher ein Weckruf. Die schmutzigen Geheimnisse des Geldes erreichen den Mainstream. Es braucht viele Menschen, die die trüben Scheiben putzen.
Geldreform-Veranstaltungen in nächster Zeit:
1./2. Juni, Zürich: Vollgeldreform oder Systemkrise? Wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können. Mit Prof. Marc Chesney, Peter Hablützel, Prof. Joseph Huber, Mark Joób, Prof. Margrit Kennedy, Prof. Philippe Mastronardi und zwei Podiumsgesprächen.
Uni Zürich, Hörsaal Häldliweg 2. Eintritt frei. Veranstalter: Verein Monetäre Modernisierung, Postfach 3161, 5430 Wettingen, www.vollgeld.ch
7. - 8. Juni, Leipzig: fairventure-Kongress ЗWirtschaft neu gestaltenИ u.a. mit Margrit Kennedy, Bernard Lietaer, Jens Martignoni und Johannes Heimrath.Infos: www.fairventure.de
07. Mai 2012
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
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