Organmangel

Es mangle an Organen, wird uns gesagt. Imperativ: Mensch, sei kein Spielverderber, melde Dich als Organspender! Ich rechne.

Gegen sieben Milliarden Menschen bevölkern den Planeten. Das sind, Irrtum vorbehalten, gegen sieben Milliarden Herzen, gegen sieben Milliarden Lebern, gut dreizehn Milliarden Nieren, gut dreizehn Milliarden Augen. Wo ist hier Mangel?

Ah, ich hab die Unfälle vergessen, die Krankheiten, durch welche ein Organ derart beeinträchtigt wird, dass es ersetzt werden muss. Muss? Gibt es ein Menschenrecht auf Verlängerung des eigenen Lebens aus dem Ersatzteillager? Und wenn ja: Steht es über dem Recht auf Integrität des Lebens eines andern Menschen?

Ich hab schon wieder was vergessen: Andere Menschen können ja tödlich verunfallen, tödlich krank sein, brauchen also ihr Herz, ihre Nieren demnächst nicht mehr, es genügt, sie vor ihrem Tod als Spender zu gewinnen und nach ihrem Tod das gesuchte Organ aus ihrem Leib zu schneiden. Nach ihrem Tod? Rasch muss das vor sich gehen, solange das Organ noch nicht vom Sterben erfasst ist. Damit das nicht zu spät geschieht, wurde der Hirntod erfunden; das Mensch ist dann soweit hinüber, dass es aller Voraussicht nach nicht mehr zurückkehren könnte, und grad soviel tot, dass es nicht mehr reagiert.

Nicht reagiert, nichts mehr empfindet? Warum lassen wir Verstorbene erst nach drei Tagen einäschern, beerdigen? Um sicher zu sein, dass sie wirklich tot sind; es gab ja Gegenbeispiele. Und um sie in Ruhe Abschied nehmen zu lassen? Darüber sprechen nur wenige. Angehörige von Organspendern etwa, die erlebt haben, was es für einen soeben gestorbenen Menschen bedeuten muss, ausgeschlachtet zu werden. Sterben ist offenbar ein Prozess, der durch den Tod nicht einfach beendigt wird, als hätte jemand das Licht ausgeknipst.

Doch mensch will leben, und bist Du nicht willig, so braucht er Gewalt. Andere Völker machen da vielleicht weniger Fisimatenten ums Sterben; die haben viel handfestere Probleme. Tot ist tot, und diesem Aggregatszustand kann ja nachgeholfen werden. Das Geschäft läuft seit einer Weile, es braucht bloss noch systematisiert zu werden, wie in der Viehzucht. Die Rechnung ist rasch gemacht: Rund eine Milliarde Nordamerikaner/innen und Europäer/innen, die ums Verrecken nicht sterben wollen und alle zwanzig Jahre ein Ersatzherz, eine Ersatzleber benötigen. Dazu braucht's alle zwanzig Jahre eine Milliarde Nachwuchs in Ländern, die sich dank diesem bevölkerungsneutralen Handel endlich entwickeln werden. Ersatzteile aus dem Süden, frisch eingeflogen, mit Klimakompensationszuschlag an myclimate, versteht sich. Oder noch besser mit Biotreibstoff aus Brasilien Indien Kongo.

Nein danke. Ich will weder Organe empfangen noch Organe spenden. Ich will nichts zu tun haben mit dem dem Missbrauch medizinischen Wissens für das Geschäft rund um die Angst vor dem Tod. Der Tod ist eine prinzipelle Bedingung jeden Lebens und daher nicht verhandelbar. Das heisst, dass mein Sterben Teil des mir geschenkten Lebens ist und mir gehört. So wie Dein Leben, Dein Sterben Dir gehören.
Heinzpeter Studer

Der Autor ist Geschäftsführer des Vereins fair-fish, der sich für tiergerechten und sozial verträglichen Fischfang engagiert und Fische vertreibt.