Right Livelihood Award für Selbsthilfe im Sudan
Das sudanesische Basisnetzwerk der «Notfallräume» erhält neben anderen Weltrettern den Alternativen Nobelpreis 2025.
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Preisträger aus dem Sudan: Energy Response Room. Foto: zVg

Manchmal scheint er unerträglich, der Blick in die Abgründe dessen, was Menschen anderen Menschen antun. Satelliten-Bilder aus sudanesischen Provinz Darfur lassen Massenmorde vermuten, nachdem die arabisch dominierten «Rapid Support Forces» die jahrelang belagerte Stadt eingenommen hatten. Der Genozid an den schwarzafrikanischen Ethnien geschieht zunehmend vor den Augen der Welt. Internationale Gremien fordern nur halbherzig ein Ende des Blutvergiessens. Hilfsgüter werden nicht durchgelassen. Wer bislang überlebte, droht zu verhungern. 

Doch inmitten des Grauens werden Kräfte der Selbsthilfe wach, die sich ohne Waffen der Vernichtung entgegenstellen. In der Region Darfur taten sich ganz normale Bürger zu den «Emergency Response Rooms» (ERR) zusammen, um Menschen in Strassen- und Hinterhofküchen zu versorgen, Verletzte in Krankenhäuser zu bringen, Sanitäter-Not-Teams zusammenzustellen, sich um verwaiste Kinder zu kümmern. Der Begründer des alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, nannte solche Helden, die in krasser Not das Menschenmögliche tun, «Possibilisten». 

Am 4. Dezember erhilten die Menschenretter von Darfur in Stockholm den bedeutendsten zivilgesellschaftlichen Preis für «den Aufbau eines widerstandsfähigen Modells der gegenseitigen Hilfe inmitten von Krieg und Staatszerfall, das Millionen von Menschen ein Leben in Würde ermöglicht».

Die «Notfallräume» sind ein sudanesisches Basisnetzwerk unter der Leitung lokaler Gemeinden, das sich inmitten von Krieg, Vertreibung und Staatszerfall zum Rückgrat der humanitären Hilfe des Landes entwickelt hat. Aufbauend auf lokalen Traditionen gegenseitiger Hilfe sind sie in allen 18 Bundesstaaten des Sudans tätig und bieten Gesundheitsversorgung, Lebensmittelhilfe, Bildung, Zivilschutz und psychosoziale Unterstützung dort, wo viele internationale Hilfsorganisationen nicht hinkommen. Ihre Arbeit ist ein Modell der dekolonialisierten humanitären Hilfe, das den lokalen Gemeinschaften ihre Würde und Entscheidungsgewalt zurückgibt.

Als im April 2023 der Bürgerkrieg im Sudan ausbrach und weite Teile des Landes in eine Hölle verwandelte, weiteten die «Notfallräume» ihre Aktivitäten aus, um jene Lücken zu füllen, die durch den Zusammenbruch der Wirtschaft und der staatlichen Institutionen entstanden waren. Mit fast 26000 Freiwilligen evakuieren die ERRs Zivilisten, betreiben Krankenhäuser und unterstützen Überlebende kriegsbedingter sexueller Gewalt. Über die Rettung von Menschenleben hinaus pflegen die ERRs eine Kultur der Mitmenschlichkeit und Solidarität, welche die Grundlage für die zukünftige Zivilgesellschaft und die demokratische Erneuerung des Sudan bildet.

Die Arbeit der Emergency Response Rooms ist mit grossen persönlichen Risiken verbunden: Mitglieder wurden wegen ihres Engagements für den Schutz von Zivilisten inhaftiert, gefoltert und getötet. Erst Ende Oktober bestätigten sudanesische Exil-Medien den Tod der Frauenrechtlerin Siham Hassan, die in Al-Faschir eine ERR-Gemeinschaftsküche geleitet hatte. Wenige Tage zuvor war sie von Paramilitärs exekutiert worden. Aber trotz aller Bedrohungen hat sich bislang das dezentrale, von Freiwilligen getragene Modell der Notfallräume als widerstandsfähig, effizient und vertrauenswürdig für die im Zerfall des Staates alleingelassenen Gemeinden erwiesen. 

Drei weitere zivilgesellschaftliche Initiativen für Klima, Menschenrechte, Aufklärung und demokratische Digitalisierung haben Anfang Dezember den «Right Livelihood Award» entgegengenommen: Die ozeanische Organisation «Pacific Islands Students Fighting Climate Change» (PISFCC) und der Menschenrechtsanwalt Julian Aguon aus Guam werden dafür geehrt, dass sie die Klimakrise vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht hatten. In Südostasien wird die anonyme Aktivistengruppe «Justice for Myanmar» dafür ausgezeichnet, dass sie die internationale finanzielle Unterstützung der korrupten Militärjunta im früheren Burma aufdeckten und so die Diktatur schwächten. Aus Taiwan  kommt mit der Cyber-Expertin und Internet-Aktivistin Audrey Tang die vierte Preisträgerin nach Stockholm. Sie wird für den visionären Einsatz digitaler Technologien ausgezeichnet, weil sie weltweit zeigt, wie mit ihnen Basis-Demokratie gestärkt und gesellschaftliche Spaltung überbrückt werden kann. 
Vier vorbildliche Initiativen einer «richtigen Lebensweise», die sich mit aller Kraft für Menschlichkeit, Demokratie und Frieden einsetzen und das Ihre tun, um als Possibilisten die Welt zu retten. 

Geseko von Lüpke

Geseko von Lüpke
Geseko von Lüpke

Geseko von Lüpke ist Autor zahlreicher Bücher. Seine Recherchen führten ihn zu Begegnungen mit bedeutenden und charismatischen Menschen in aller Welt, die er in mehreren Interview-Bänden veröffentlichte. Es sind Vertreter einer neuen Wissenschaft, einer ganzheitlichen Ökologie und Kulturkritiker. Darunter der philippinische Soziologe, Umweltaktivist und Träger des Alternativen Nobelpreises Nicanor Perlas, der australische Umweltaktivist John Seed, der sich für den Erhalt des subtropischen Regenwaldes einsetzt, sowie die buddhistische Öko-Philosophin Joanna Macy aus Berkeley, dem norwegischen Philosoph und Mitbegründer der Tiefenökologie Arne Naess und dem amerikanischen Kulturkritiker Charles Eisenstein.

Seit 2000 ist Geseko von Lüpke neben seiner Arbeit als Autor und Schriftsteller auch als Seminarleiter Ökopsychologie, Ökopädagogik und Tiefenökologie tätig, als Ausbilder in den Bereichen (seit 2005) und war 2001 Mitbegründer des 'Netzwerks Visionssuche', einem Berufsverband ökopsychologisch und initiatorischer Seminarleiter.

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