Smoke on the water
Wie ich über Frank Zappa im Casino Montreux berichten wollte – und mit einer ganz anderen Reportage nach Hause kam. Aus der Serie «Als ich mich in die Welt verliebte. Chronik einer Leidenschaft» von Nicolas Lindt. Folge 35.
Am Samstag derselben Woche, mitten in der Adventszeit 1971, pilgerte ich – diesmal allein – ein weiteres Mal nach Montreux, um den ersten Schweizer Auftritt von Frank Zappa mitzuerleben. Mein Musikgeschmack hatte sich inzwischen in eine Richtung entwickelt, die sich vom Mainstream der Popmusik immer weiter entfernte. Bereits war ich es überdrüssig, in meiner Kolumne stets über allzu populäre Bands zu berichten. Sie machten zwar gute Musik, die ich heute noch höre, aber damals durfte mir Musik allein nicht mehr genügen. Ich war es meiner neuen Rolle als ernstzunehmendem Kritiker zunehmend schuldig, mich an die Ränder des Populären und darüber hinaus zu bewegen. Und so musste ich auf Frank Zappa stossen.
Meinen Bericht über ihn in der «Zürichsee-Zeitung», für die ich immer häufiger schrieb, begann ich mit den Worten:
«Seine Musik ist ein Phänomen. Sie steht über der Popszene.»
«Die Gefahr einer Verflachung der progressiven Pop-Musik und ihrer Erstarrung in abgenützten Rock- und Blues-Schemen ist gross, der Druck der Hitparaden kaum zu ertragen.» Um so grösser, fuhr ich fort, sei die Bedeutung Frank Zappas. «Seine Musik ist ein Phänomen. Sie steht über der Popszene. Man braucht sie nicht zu klassifizieren, denn Zappa schuf etwas revolutionär Neues und trug damit massgeblich zur Entstehung der sogenannten Gegenkultur in den USA bei.»
Das war das Stichwort, das mich begeisterte: die Gegenkultur. Sie äusserte sich zunächst in der Flowerpower-Bewegung an der amerikanischen Westküste, im Roadmovie «Easy Rider«, im Festival von Woodstock, wurde dann immer politischer und richtete sich vor allem gegen die Diskriminierung der Schwarzen und gegen das amerikanische Engagement im Vietnamkrieg. Und zu den Bands, die sich dieser Gegenkultur verschrieben hatten, gehörte – neben den Doors, Jefferson Airplane, Crosby,Stills & Nash und vielen anderen – auch Frank Zappa mit seinen «Mothers of Invention».
«Seine Einstellung tat er in Attacken gegen sein eigenes Heimatland kund: In zweideutigen Spottliedern kritisierte er die verklemmte Sexualität, den Krieg in Vietnam und die ‹plastic people› der Konsumgesellschaft. Es waren Lieder» – und hier zitierte ich Zappa selbst: «über jene Leute, die unsere Gesetze machen und uns junge Leute daran hindern, so zu leben, wie wir wollen. Alle Einschränkungen, die sie uns verordnen, sind das Resultat ihrer eigenen sexuellen Frustration.»
Dieses Vokabular gefiel mir. Ich wurde meinen bisherigen musikalischen Vorlieben immer untreuer und suchte in der Musik die politische, gesellschaftskritische Aussage, die für mich auch sonst immer unverzichtbarer war. Frank Zappa schlug für mich die Brücke zwischen der Musik und der Politik, und seinen Auftritt in Montreux am 4. Dezember musste ich unbedingt sehen. Ich sollte es nicht bereuen – aber auf welche doppelsinnige Weise, ahnte ich nicht.
Das Konzert von Zappa und seinen «Mothers of Invention«, das auf den Nachmittag angesetzt war, übertraf sogar noch meine Erwartungen, als es endlich begonnen hatte. Ich schilderte es später mit enthusiastischen Worten:
«Die Musik der ‹Mothers› glich einem ununterbrochenen Feuerwerk, das mit immer neuen Überraschungen aufwartete. Ein unterhaltsamer, intelligenter, spannender Sound, der keinen Moment ruht, der vorwärtsstrebt, neue Höhepunkte erreicht, unvermutet abbricht und bei einer anderen Stilrichtung neu einsetzt. Zappa und seine Musiker, die sich seinen Ideen bereitwillig unterordnen, verstehen ihr Metier bis ins Detail. Auf ihren Streifzügen probieren sie alle Möglichkeiten durch: von elektronischen Klangorgien über Jazz, Rock and Roll, Western-Musik bis zum trivialen Schlager.»
«Wenn sie ihr faszinierendes Potpourri auf der Bühne ausbreiten, interpretieren sie nicht wie die Mehrzahl der Pop-Gruppen ein festes Repertoire. Sie benutzen es vielmehr als Gerüst für ihren lebendigen, von Land zu Land variierenden Auftritt: Kommen die ‹Mothers› zu uns in die Berge, wird über Alpenfirn, Schokolade und Käse gewitzelt und beispielsweise ein Lied gesungen, ‹für jene, die Deutsch sprechen, was sie aber bedauern werden›.»
*
Das Konzert hatte bereits eine Stunde gedauert, draussen begann sich der Wintertag der Dämmerung zuzuneigen – da geschah es:
Es brannte im Casino von Montreux, und die Musik brach abrupt ab.
«Als sich das Publikum plötzlich erhob und Frank Zappa verzückt ‹Fire!› rief, glaubte noch niemand daran. Doch bereits verbreiteten sich erste Flammen, züngelten der Decke entlang und versetzten die jungen Konzertbesucher in Panik. Es brannte im Casino von Montreux, und die Musik brach abrupt ab. Als die ersten Holzverschalungen von der Decke krachten, erkannten die Realisten unter den Zuschauern, dass die gesamte Casinodecke mit Holz ausgekleidet war. Das Feuer nahm ein bedrohliches Ausmass an.»
So schilderte ich später den Ausbruch des Brandes. Und ich berichtete weiter:
«Sogleich gab es nur noch einen Gedanken: Hinaus! Ein Grossteil des Publikums stürmte zum kleinen Notausgang, wieder andere versuchten es bei den bei den Hauptausgängen, die durch die um sich greifenden Flammen bereits gefährdet waren. Zappa versuchte vergeblich, das Publikum zu beruhigen, bis auch er zusammen mit seiner Frau, die Flucht antrat.
Das Gedränge um den Notausgang wurde indessen so stark, dass man nur mühsam das Freie erreichte. Als immer mehr Hilferufe ertönten und sich beissender Rauch im Raum verbreitete, wurden die zum See hin gerichteten Fenster ohne weiteres Zögern durchbrochen. Am Haupteingang quollen nicht nur Menschen, sondern auch Rauchschwaden hervor, und bereits war klar, das Feuer würde auf das ganze Casino übergreifen.
Einige der Besucher erinnerten sich vielleicht an den verhängnisvollen Brand im französischen Tanzclub 5 à 7 im Winter des Vorjahres, bei dem über 140 junge Menschen das Leben verloren hatten. Auch in Montreux, so schien es, war zu wenig vorgesorgt worden. Da das Zerschlagen der Fenster jedoch weitere Fluchtwege öffnete, konnte eine Katastrophe mit Toten und Verletzten vermieden werden.»
«Wie hatte das Feuer entstehen können?», fragte ich in meinem Bericht. «War eine Zigarette schuld, ein Knallkörper eines Zappa-Fans oder ein Kurzschluss? Niemand hatte Löschgeräte gesehen, alles schien sehr unorganisiert, bis die Feuerwehr eintraf. Verhindern konnte sie nur noch ein Übergreifen des Brandes auf die benachbarten Häuser.
Dass ausgerechnet an diesem Konzertnachmittag, der nach einer Stunde ein so dramatisches Ende nahm, Frank Zappa mit seinen ‹Mothers of Invention› aufgetreten war, lässt sich als denkwürdiger Abschluss der Pop-Ära im Casino Montreux bezeichnen. Und der kalifornische Avantgarde-Musiker wird sich wohl nicht mehr so schnell – wie von ihm selbst formuliert –‹in die Alpen verirren›.»
*
Auch ich war glücklich ins Freie gelangt, und auch ich stand danach inmitten der Menge, die draussen in sicherem Abstand, betroffen und staunend zugleich, dem Zerstörungswerk der Flammen beiwohnte. Doch meine Betroffenheit hielt nicht lange an, denn ein anderer Gedanke übernahm das Kommando: Ich bin hier Augenzeuge eines Ereignisses, das Schlagzeilen machen wird. Daraus wird eine Reportage.
Ich schaute mich um nach einem Fotografen, der Bilder knipste, stellte mich vor als Mitarbeiter der «Woche» und fragte ihn, ob er auch für mich fotografieren könne. So entstand meine erste richtige Reportage. Obwohl ich den Journalismus achtzehn Jahre später wieder verlassen sollte, bleibt mein Augenzeugenbericht über den Casinobrand von Montreux, der mit grossformatigen Bildern in der folgenden «Woche» erschien, doch ein kleiner, kantiger Meilenstein in meiner beruflichen Biografie – auch deshalb, weil das Feuer von Montreux Geschichte schrieb.
So entstand ihre Komposition «Smoke on the water», die den Casinobrand beschreibt.
Noch heute wird davon gesprochen, und schuld daran ist auch die britische Band Deep Purple, die damals, am Tag des Brandes in Montreux in einem mobilen, von den Rolling Stones gemieteten Studio gerade ihr neues Album aufnahm. Die Bandmitglieder unterbrachen die Arbeit, um Zappas Konzert beizuwohnen und mussten dann wie alle anderen Zuschauer aus dem brennenden Casino flüchten. So entstand ihre Komposition «Smoke on the water», die den Casinobrand beschreibt und zum berühmtesten Song der Gruppe geworden ist. Zahllose Gitarrenschüler in aller Welt haben mit diesem Lied ihre ersten musikalischen Gehversuche gemacht.
Was aber blieb von meiner Begeisterung für Frank Zappa? Sie flachte schon nach wenigen Jahren in dem Masse ab, wie Zappa sich vom Protest zu entfernen begann und – ohne die «Mothers» – vermehrt orchestrale Musik komponierte. Von Improvisation und Disharmonie geprägt, wurde sie immer schwerer verständlich. Sie hörte sich an wie Free Jazz, und damit konnte ich nichts anfangen. Musik durfte, ja sie musste sogar politisch sein, das war für mich damals das zweite Kriterium. Aber wichtiger blieb mir die Melodie. Sie musste vor allem stimmen. So disharmonisch und widerspruchsoll ich die Welt inzwischen erlebte – in der Musik, wie sich noch zeigen wird, suchte ich noch immer die Harmonie.
Bei Zappa, so sehr ich seine Genialität respektiere, war ich da an der falschen Adresse.
Vom legendären Konzert Frank Zappas im Casino Montreux am 4.12.1971 existiert ein Mitschnitt – zu finden auf YouTube unter dem Titel «Frank Zappa’s Mothers - SwissCheese / Fire!» (1:23:45, Konzertabbruch ab 1:21:00)
Mitteilung in eigener Sache
Die Folgen 1-35 der Serie «Als ich mich in die Welt verliebte» existierten bereits in provisorischen Fassungen. Ab Folge 36 wird jede Folge neu geschrieben. Der höhere Arbeitsaufwand bedingt, dass die Serie nur noch jeden zweiten Sonntag erscheinen wird – das nächste Mal am 13. November.
von:
Über
Nicolas Lindt
Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.
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Der Fünf Minuten-Podcast «Mitten im Leben» von Nicolas Lindt ist als App erhältlich und auch zu finden auf Spotify, iTunes und Audible. Sie enthält über 400 Beiträge – und von Montag bis Freitag kommt täglich eine neue Folge hinzu.
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