Verrückt muss man sein

Wenn wir nicht immer mehr Schwarz-Weiss-Berichterstattung haben wollen, müssen wir den gemeinnützigen Journalismus stärken. Eine Einschätzung

 Die schlechte oder «schwarze» Nachricht vorweg: Zeitungen und Qualitätsjournalismus befinden sich europaweit, ja weltweit im Niedergang, seit Anzeigen und Kundschaft massenhaft ins Internet abwandern. Die gute oder «weisse» Nachricht: Ab und zu schaffen es gemeinnützige Medien dennoch, am Leben zu bleiben – gerade weil sie nicht gewinnorientiert arbeiten. Die Chancen und Grenzen eines solchen «Nonprofit-Journalismus» war Thema einer gut besuchten Tagung der deutschen Journalistenvereinigung «netzwerk recherche» Ende Oktober in Berlin.
Wir wissen alle: Gesellschaften sind auf Medien angewiesen. Das war schon so, als in der Steinzeit mediale Rauchzeichen vor nahenden Säbelzahntigern warnten. Und ist bis heute so geblieben. Die berühmte staatsbürgerliche Willensbildung kann ohne seriöse, gut abgesicherte Informationen nicht funktionieren. Deshalb sind letztere ein Gemeingut, eine Allmende, die allen gemeinsam gehört, auf der alle virtuell weiden können sollten, um die für sie saftigsten Informationen abzugrasen.

Doch leider sehen das die Gesetzgeber nicht so. In Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern gibt es zwar eine bürokratische Verwaltung für solche Gemeingüter: die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten. Aber die bleiben Radio und Fernsehen vorbehalten. Auch die als Verein organisierte Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG ging aus einer öffentlich-rechtlichen Anstalt hervor. Printmedien hingegen, ob mit oder ohne Online-Zusatzangebot, werden strukturell benachteiligt. Sie können sich nicht über Gebühren finanzieren. Sie sind auf Anzeigenkunden angewiesen, was ihre Berichterstattung strukturell verbiegt: Wer etwa Werbung von Banken veröffentlicht, schreibt in den seltensten Fällen gegen deren Geschäftssauereien an. Zeitungen und Zeitschriften müssen sich heute zudem gegen Umsonstinhalte im Internet durchsetzen. Und gegen werbefinanzierte Gratisblättchen in Bussen und Bahnen. Folge: Kosten werden gedrückt, Redaktionen ausgedünnt, Menschen entlassen, Recherche nicht mehr bezahlt. Schlechter Journalismus und Schwarzweiss-Berichte aber bringen die Branche weiter in Verruf. Eine Abwärtsspirale ohne absehbares Ende.
Ein Ausweg wäre die staatliche Anerkennung, dass differenzierende, grautonfördernde Berichterstattung ebenso gemeinnützig wie unverzichtbar ist. Und deshalb steuerbegünstigt arbeiten darf. Doch wer bestimmt, was gemeinnützig ist? In der Schweiz verleiht die Stiftung ZEWO das entsprechende Siegel an rund 500 spendensammelnde Organisationen – Medien sind nicht darunter. In Deutschland stammt die staatliche Definition von Gemeinnützigkeit gefühlt aus dem Mittelalter: Man muss «selbstlos» und «mildtätig» agieren. Und das Bundesfinanzministeriums listet auf, was als gemeinnützig gilt: das Kümmern um Soldatenveteranen, Hundesport oder Bridge-Clubs. Nicht aber das Versorgen einer Gesellschaft mit gut recherchierten Informationen zwecks demokratischer Willensbildung.


Solcher Altherrenquatsch muss dringend geändert werden. Wir bräuchten europaweite Regelungen, um moderne Informations-Allmenden zu fördern. Solange das aber nicht der Fall ist, bleibt es engagierten Idealisten überlassen, gemeinnützige Geschäftsmodelle zu erfinden, die mithilfe einer solidarischen Leserschaft funktionieren. Der Zeitpunkt gehört seit Langem dazu: Seine Bezieher können frei bestimmen, wieviel sie für ihr Abo bezahlen, und zeigen sich dabei grossartig solidarisch. Auch die Wochenzeitung WOZ in Zürich und die Tageszeitung taz in Berlin arbeiten auf solidarischer Basis: Beide sind als Genossenschaften organisiert. Die Anteilseigner – bei der taz gut 14.000 – schiessen regelmässig neues Geld zu und verzichten auf die Ausschüttung von Renditen. Die taz hat zusätzlich ein «Solidarabo» eingerichtet: Wer gut verdient, zahlt mehr und übernimmt Kosten für Ärmere. Sämtliche Artikel veröffentlicht sie im Internet ohne Bezahlschranke, aber mit der Bitte, dafür freiwillig einen Obulus abzugeben – was gut funktioniert. Bei taz und WOZ sammeln ausserdem Fördervereine Spenden und finanzieren so ihre Recherchefonds.


In den USA ist die Medienlandschaft noch schneller und dramatischer erodiert als in Europa – was das Phänomen Trump überhaupt erst stark machte. Zwei Drittel der US-Bevölkerung nimmt Nachrichten nur noch über (a)soziale Medien wahr. Monika Bäuerlein, deutschamerikanische Chefin des linksliberalen US-Magazins «Mother Jones», berichtete auf der Berliner Tagung, dass heute vierzig Prozent weniger Journalisten und Medienmacherinnen als noch vor etwa zehn Jahren arbeiten. «Der Wahlkampf hat gezeigt, was passiert, wenn der Journalismus die Demokratie nicht mehr ausreichend unterstützt», so die Chefredakteurin. Zunehmend übernehmen deshalb Stiftungen die Förderung gemeinnütziger Qualitätsmedien. Auch dadurch sind laut Bäuerlein 170 neue Nonprofit-Medien entstanden. Sie arbeiten aber vor allem auf lokaler Ebene und sind im Vergleich zu den jetzt trumphierenden Hass-Sendern nur Zwerge.

Unter dem Motto «Abenteuer Gründung – wie verrückt muss man sein?» berichteten engagierte Journalistinnen und Mediengründer auf der Tagung von zahlreichen Hürden und Hindernissen auch in Europa. Florian Skrabal aus Wien hat www.dossier.at ins Leben gerufen, ein investigatives Onlinemagazin, das über Missstände in Österreich berichtet, etwa über dubiose Verflechtungen zwischen Politik und Medien. Das Startup finanziert sich durch die Mitgliedsbeiträge von derzeit 120 Fans und Unterstützerinnen. Damit kann man gerade mal die Kosten des Arbeitsteams decken.
Besser ergeht es www.kontextwochenzeitung.de, einem Online-Magazin aus der schwäbischen Hauptstadt, das im Zuge des Konflikts um «Stuttgart 21» entstand. Zudem liegt es als Wochenzeitung in gedruckter Form der bundesweiten Wochenend-taz bei. «Kontext» finanziert sich über rund 1500 Soliabos, Spenden und die Lizenzgebühren der taz. Das Projekt kann damit ein Team von 15 Festangestellten plus Freie beschäftigen.

Einen beeindruckenden Start legte dieses Jahr www.perspektive-daily.de hin. Das Tagesmagazin aus Münster hat sich dem konstruktiven Journalismus verschrieben und veröffentlicht täglich nur einen einzigen langen, gründlich recherchierten Artikel online. Per Crowdfunding konnte das junge Team über eine halbe Million Euro sammeln: 14.000 Mitglieder zahlen einen Abo-Beitrag von nunmehr 60 Euro jährlich. Davon werden knapp 20 Menschen bezahlt, die allerdings nicht alle in Vollzeit arbeiten.

Eine Erfolgsgeschichte hat auch www.correctiv.org geschrieben. Laut Selbstbeschreibung ist es das «erste gemeinnützige Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum». Das 2014 in Essen gegründete Medienportal versteht sich als Korrektiv in Zeiten der Medienkrise und der gekürzten Redaktionsetats. Organisiert ist es als gemeinnützige GmbH; die Essener Brost-Stiftung steuerte drei Millionen Euro Anschubfinanzierung bei. Spenden und Zuwendungen weiterer Stiftungen machen investigative Recherchen von etwa zwanzig Profis möglich – mit Schwerpunkt im Umwelt- und Gesundheitsbereich, Rechtspopulismus oder TTIP. Die Geschichten werden Redaktionen kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Newsletter mit Texthinweisen kann ebenfalls gratis abonniert werden. Correctiv heimste bereits mehrere Preise ein, etwa für seine akribischen Recherchen zu multiresistenten Keimen in Spitälern oder über den Abschuss eines Flugzeugs aus Malaysia über der Ostukraine offenbar durch eine russische Rakete.


Solche Neugründungen mögen erfolgreich sein – aber beseitigen nicht die Ursache der Medienkrise. Correctiv-Geschäftsführer David Schraven forderte deshalb in einem – umstrittenen – Debattentext einen «Ein-Milliarden-Euro-Fonds» aus öffentlichen Haushalten. Damit sollten über 2000 Journalisten und Reporterinnen bezahlt werden, die in allen deutschen Städten und vor allem in medial abgehängten Gebieten ohne funktionierende Lokalberichterstattung eine Wächterfunktion ausüben. Es komme nicht von ungefähr, argumentiert Schraven, dass Rechtspopulisten «vor allem in Gegenden erstarken, in denen die Medien vor Ort ausgedünnt sind.» Denn: «Ohne lokale Zeitungen und lokale Aufklärung gedeihen hier Gerüchte und Hetzer.» Die Aufsicht über den Fonds, so sein Vorschlag, sollte «ein Rat für Wächterjournalismus» ausüben, der die Gelder unabhängig vom Staat verwaltet und weitergibt.
Gemeinnützige Medien, staatlich mitfinanziert, öffentlich kontrolliert – das wäre womöglich eine wirksame Alternative gegen die ungeprüfte Weitergabe übler Gerüchte, gegen Hass und Hetze in asozialen Medien. 





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