Warum bombardiert Israel eine landwirtschaftliche Hilfs-Institution in Gaza?

Eine der Grundlagen für den Willen und die Energie der Mitarbeiter von PARC, um auch in den schlimmsten Kriegswirren unermüdlich im Dienste des Gemeinwohles tätig zu sein, ist «Sumud» - der gewaltfreie Widerstand.

PARC
Das PARC Gebäude in Gaza - vor und nach der Bombardierung

Der Krieg gegen das palästinensische Volk im Gazastreifen geht einher mit einer gezielten Vernichtung der Landwirtschaft und damit der Nahrungsmittelversorgung. (1) Dazu gehört auch die Bombardierung der Zweigstelle der PARC (Palestinian Agricultural Relief Committees) in Gaza. PARC, mit Hauptsitz in Ramallah, ist eine der wichtigsten Organisationen zur Unterstützung der lokalen Landwirtschaft in der Westbank und im Gazastreifen.

Am 25. April erhielt ich eine E-Mail:

«Grüsse aus Palästina. Der brutale Völkermord im Gazastreifen ist noch immer im Gange, und auch die zivilen und Hilfsorganisationen bleiben von der Zerstörung nicht verschont. Anfang 2024 wurde das Gebäude der Hauptniederlassung der PARC (Palestinian Agricultural Relief Committees) in Gaza-Stadt von israelischen Kampfflugzeugen vollständig zerstört (Bild beigefügt), im Anhang dazu eine arabische Nachricht der PARC-Zweigstelle im Gazastreifen ins Englische übersetzt. Trotz alledem, wir werden die Hoffnung für Gaza wieder und immer wieder aufbauen.»
Mit herzlichen Grüssen
Saleem Abu Ghazaleh, General Manager Al Reef Fair Trade, Ramallah

Die der E-Mail beigefügte Übersetzung des arabischen Textes der Mitarbeiter der PARC in Gaza ist erschütternd:

«Es ist eine Institution, eine Akademie und ein Ort, an dem Träume wahr werden […]. Es ist ein blühender Blumengarten und ein wunderschöner Obstgarten, mit Liebe erfüllt, Leidenschaft und Leben. Es ist unsere ehrwürdige Institution, unser Archiv, es ist der Ort, an dem wir uns treffen und unseren Geist stärken.
In all seinen Einzelheiten bleibt dieser Ort in unseren schönen und traurigen Erinnerungen lebendig. Es war nicht nur ein Arbeitsplatz, es war unser zweites Zuhause, in dem wir unser Leben verbrachten. Das sind nicht nur einfach Ziegelsteine, sondern in jeder Ecke sind liebgewonnene Erinnerungen, die sich in unser Gedächtnis eingraviert haben.
Die Türen der PARC standen den Bauern offen, um Projekte zu verwirklichen, die landwirtschaftliche Produktion zu entwickeln und die Widerstandsfähigkeit der Bauern, der Jugend, der frisch diplomierten Ingenieure, der Kleinunternehmer und der Unternehmer zu fördern. Wir waren wie ein Bienenstock, unermüdlich in unserer Arbeit.
So entstanden Erfolgsgeschichten, wir holten viele aus dem Elend von Armut und Arbeitslosigkeit, hauchten ihnen neues Leben ein und gaben ihnen Hoffnung. Es war ein Obstgarten, in dem die Träume der Angestellten und Bauern aufblühten und leidenschaftlich verfolgt wurden. Dieser Ort war ein Generator für Ideen, die leuchten und sich auf den Weg machen, das Licht der Welt zu erblicken.
Ähnlich wie Gaza sind wir von der Zerstörung ergriffen worden, unsere Träume wurden zwischen den Trümmern verstreut. Heute stehen wir auf diesen Ruinen, trauern um unseren Verlust und vergiessen Tränen über unsere Unterdrückung.
Die palästinensischen landwirtschaftlichen Unterstützungskomitees (PARC)»

Massivste Schäden in der Landwirtschaft

Die Zerstörungen im Kriegsgebiet sind horrend. PARC Gaza geht davon aus, dass im Norden des Gazastreifens – dem ertragreichsten Gebiet für Obst und Gemüse – ein Viertel aller landwirtschaftlichen Einrichtungen vernichtet worden sind. Rund 70 Prozent aller Fischerboote sind unterdessen unbrauchbar.

«Die nächsten zwei Monate sollten eigentlich die ‹goldene Zeit› der landwirtschaftlichen Produktion sein», so Hani Al Ramlawi von PARC Gaza Ende Februar 2024, «doch die wenigen landwirtschaftlichen Betriebe, die nicht zerstört wurden, können aus Angst der Menschen, zum Ziel von Angriffen zu werden, nicht betreten werden – und ohne Wasser und Strom ist Ackerland ohnehin nichts wert.»

Das diesjährige Ausbleiben der Ernten verschlimmert «nicht nur die ohnehin schon schlimme humanitäre Lage, sondern wird auch schwerwiegende langfristige Auswirkungen haben. Diese Krise wird zum Zusammenbruch der Landwirtschaft im Gazastreifen für viele Jahre führen», so Hani Al Ramlawi. (2)

Trotz der verzweifelten Lage und der Zerstörung ihres Zentrums arbeiten die Mitarbeiter von PARC weiter, indem sie unermüdlich nach Möglichkeiten suchen, um das Überleben der Bevölkerung zu sichern. Die internationale Solidarität und die Unterstützung humanitärer und Uno-Organisationen sind dabei eine wichtige Unterstützung.

Im Krieg ging und geht die Arbeit weiter

Am 10. und am 18. Oktober 2023 hatte sich PARC mit einem «Aufruf zur Beendigung der Massaker der israelischen Besatzung an unserem Volk im Gazastreifen» an die internationale Öffentlichkeit gewandt und berichtete unter anderem, dass «der gezielte Angriff der israelischen Besatzer auf das Al-Ahli Krankenhaus im Stadtteil Al-Zaitoun in Gaza Stadt» über 500 Tote gefordert hat, «darunter zahlreiche Frauen und Kinder».

Wenige Tage später liefen die Hilfsaktionen von PARC an: «Im Rahmen ihres Planes, 100 000 Bürger im Gazastreifen zu unterstützen, die unter Wasser- und Nahrungsmittelknappheit leiden, beginnt die Agrarhilfe mit der Verteilung von 3000 Gutscheinen. […] Diese Gutscheine decken einen Teil des Grundbedarfs an Lebensmitteln für Familien, die von ihren Wohnorten in Rafah, Kahn Younis und im zentralen Gazastreifen vertrieben worden sind.» Pakete mit Babymilch und Windeln, Hygieneartikel für Frauen und Familien folgten.

«Angesichts des gravierenden Mangels an Lebensmitteln und sauberem Wasser beginnt PARC mit der Verteilung von Trinkwasser in ‹Tal al Sultan›», bereits auf den Transport mit Pferdewagen angewiesen, so in den News von PARC vom 26. Oktober 2023.

Am 6. November 2023 kündigt PARC «die Einrichtung einer gebührenfreien Notrufnummer an, unter der Beschwerden und Vorschläge unserer Bevölkerung im Gazastreifen entgegengenommen werden können.»

Obwohl die Lage im Gazastreifen seither katastrophalste Ausmasse angenommen hat, arbeiten die Mitarbeiter von PARC Gaza auf Hochtouren weiter, Hand in Hand mit anderen gemeinnützigen Organisationen. Am 11. März 2024 wird über die Verteilung von Kleiderpaketen für vertriebene Familien aus Khan Yunis berichtet.

Neu bietet PARC Gaza auch «640 Arbeitstage für Hochschulabsolventen und Agraringenieure an, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern und ihnen eine Einkommensquelle zu verschaffen. Bei dieser Gelegenheit konnten die Begünstigten an der Organisation von Gemeinschaften und der Bildung von Schutzkomitees in den Unterkünften mitarbeiten, ausserdem an der Überwachung, Weiterverfolgung, Verteilung und Bewertung der Bedürfnisse der Vertriebenen sowie an der Erstellung einer Datenbank der vertriebenen Familien», so die News von PARC vom 13. März 2024.

Am 19. März begann die PARC in Zusammenarbeit mit dem World Food Programm (WFP) mit der Verteilung von 45 000 Lebensmittelpaketen für Familien in Notunterkünften und Zeltlagern: «Die begünstigten Familien erhalten jeweils zwei Lebensmittelpakete am Anfang und am Ende eines jeden Monats. Die Verteilung erfolgt schrittweise, da die Zahl der betroffenen Familien gross ist und der Zugang zu einigen Gebieten, vor allem in der Nähe der israelischen Militäroperationen in der Region, schwierig ist.» Am 20. März berichtet PARC, dass sie in Notunterkünften in der Region Rafah Wasser- und Abwassersysteme und sanitäre Anlagen saniert haben, die von der Islamic Relief Foundation France finanziert werden.

Fast täglich wird über die weiteren Arbeiten von PARC Gaza berichtet, so auch am 29. April: «Die Agricultural Development Association (Agricultural Relief) und das Community Protection Committee (CPC) haben im Rahmen des von der Europäischen Union in Partnerschaft mit Action Against Hunger (AAHa) finanzierten Projekts ‹Promoting Economic Opportunities, Psychosocial Support and Shared Livelihoods› (Förderung wirtschaftlicher Chancen, psychosoziale Unterstützung und gemeinsame Lebensgrundlagen) eine Gemeinschaftsinitiative zur Sanierung der sanitären Anlagen in der Unterkunft für Vertriebene am Palestine Technical College in Deir Al Balah gestartet. Während der Initiative wurden Lösungen für die wichtigsten Probleme gefunden, unter denen die Binnenvertriebenen in der Unterkunft litten, und zwar durch mehrere Massnahmen, darunter die Wasserversorgung, bei der eine ständige Stromquelle aus Solarenergie für den Brunnen am Palestine Technical College bereitgestellt wurde. Die Umsetzung der Gemeinschaftsinitiative führte dazu, dass der Brunnen acht Stunden am Tag in Betrieb war, […] was dazu beitrug, 70 Prozent des Leidens der Binnenvertriebenen und der Wasserknappheit zu beheben.

Die zweite Massnahme der Gemeinschaftsinitiative ‹Sanierung des Abwassernetzes› durch den Ausbau eines kompletten Abwassernetzes im Zentrum der Hochschule trug zur Sauberkeit der Unterkunft in der Hochschule bei und beseitigte die üblen Gerüche und die Verbreitung von krankheitsübertragenden Insekten unter den Binnenvertriebenen. Die Initiative umfasste auch eine dritte Massnahme, die die Sterilisierung und Reinigung der Unterkunft in der technischen Hochschule durch die Reinigung der Böden, der Badezimmer, der Zimmer und des Aussenhofs der Hochschule beinhaltete

Am 2. Mai berichtet PARC, man habe für die Japan International Cooperation Agency 3780 Lebensmittelpakete für 21 168 Vertriebene verteilen können: «Jedes Paket enthielt eine ausreichende Menge an Lebensmitteln, um eine fünfköpfige Familie eine Woche lang zu ernähren, wobei ein Teil des Inhalts für schwangere und stillende Frauen bestimmt war, da diese gesundheitlich sensibel sind, und eine Reihe von Lebensmitteln abdeckt, um eine ausgewogene Mahlzeit zu enthalten.»

Eine der Grundlagen für den Willen und die Energie der Mitarbeiter von PARC, um auch in den schlimmsten Kriegswirren unermüdlich im Dienste des Gemeinwohles tätig zu sein, ist «Sumud».

«Sumud», ein «nationales palästinensisches Konzept»

Der arabische Begriff «Sumud» (3) steht für den Willen und die Entschlossenheit der palästinensischen Bevölkerung in ihrem Land und auf ihrem Grund und Boden zu bleiben und sich nicht durch den israelischen Siedlerkolonialismus vertreiben zu lassen. Schon die palästinensischen Kinder wissen: «To exist is to resist».

Sumud war auch grundlegend für die Bildung von Gesundheits-, Frauen- und Landwirtschaftskomitees, die in den 1970er und 80er Jahren auf freiwilliger Basis gegründet worden waren. So gründete eine Gruppe von Agronomen 1983 PARC mit dem Ziel, mit friedlichen Mitteln ganz konkret gegen die israelische Besatzung Widerstand zu leisten, indem sie die palästinensischen Kleinbauernfamilien bei der Kultivierung ihres Landes und den Produktionstechniken erfolgreich unterstützten, um in und auf ihrem Land bleiben zu können – bis heute. Und diese Arbeit geht weiter trotz alledem!


(1) Nach dem Angriff der Kassem-Brigaden aus dem Gazastreifen auf Israel äusserte sich der israelische Kriegsminister: Yoav Gallant ordnete eine «vollständige Belagerung» des Gazastreifens an, «keine Elektrizität, keine Lebensmittel, kein Treibstoff» dürfe in den Gazastreifen gelangen. CSIS Center for Strategic and International Studies, Famine in Gaza, 11.April 2024.

(2) Hani Al Ramlawi zitiert in: Oxfam Deutschland, Zerstörung der Landwirtschaft im Gazastreifen verschärft Hunger und Unterernährung, Pressemitteilung vom 27. Februar 2024

(3) Alexandra Rijke Toine Van Teeffelen, To Exist Is To Resist: Sumud, Heroism, and the Everyday, Institute for Palestine Studies, Jerusalem Quarterly, Issue 59, Summer 2014

Über

Ariet Güttinger

Submitted by cld on So, 05/26/2024 - 15:22
Ariet Güttinger

Dr. phil. Henriette Hanke «Ariet» Güttinger war von April bis Juli 2018 im Einsatz als Menschenrechtsbeobachterin in Palästina/Israel. Während dieser drei Monate führte sie minutiös Tagebuch über ihre Tätigkeit. Sie berichtet mit einer bewundernswerten Genauigkeit und Sorgfalt über das, was sie gesehen, gehört und erlebt hat. Die Eintragungen sind nicht im Nachhinein, sondern während ihres Aufenthalts entstanden, Tag für Tag. Die Autorin macht damit wohl etwas vom Wichtigsten, das überhaupt getan werden kann: sie gibt den Menschen in Palästina eine Stimme.