Warum denkt eigentlich niemand über den Frieden nach?

Die Schweiz könnte ihre guten Dienste zur Lösung der drohenden Hungerkatastrophe leisten.

Im Hafen von Odessa warten abertausende Tonnen Getreide auf die Verschiffung (Bild: wikimedia-commons)

Alle Kriege finden ein Ende, manchmal durch bedingungslose Kapitulation wie der Zweite Weltkrieg, manchmal durch Einsicht und ohne Gewinner wie der Koreakrieg, manchmal durch Verlassen des Schlachtfeldes, wie der Vietnamkrieg. Aber irgendeinmal hört das Gemetzel auf, man setzt sich an den Verhandlungstisch und schliesst einen Waffenstillstand, wenn nicht sogar einen Frieden. Meist mit neuen Leuten, die kein Gesicht zu verlieren haben, sondern Zerstörung verhindern und Leben retten wollen.

Auch der Ukraine-Krieg wird einmal zu Ende gehen, auch wenn das zur Zeit noch niemand zu wollen scheint. Aber wenn ein Friede nicht gedacht und gewollt ist, wird er auch nicht eintreten. Dann wird bis zur Erschöpfung gekämpft – oder bis zum letzten Ukrainer, wie es heute heisst.

Was lässt sich aus den Kriegszielen der Parteien ableiten?

  • Russland will seine russische Minderheit schützen, die Ukraine neutralisieren, entmilitarisieren und entnazifizieren (d.h. die Banderisten und die Weissen Suprematisten aus der Regierung entfernen und ihre Truppen auflösen).
  • Die USA wollen offiziell Russland so weit schwächen, dass es keine weiteren Länder überfallen kann. Biden will zusätzlich einen regime change, d.h. Putin entfernen (was aber von seinem Umfeld relativiert wird).
  • Die EU will Russland besiegen, was immer das heissen mag. Russland einen Frieden zu den Bedingungen der EU aufzwingen?
  • Die Ukraine will den Donbass und die Krim wieder zurückerobern und alles Russische aus der Ukraine eliminieren.

Die Kriegsziele werden sich je nach Entwicklung des Krieges ändern. Russland wird sich vermutlich nicht mehr mit einer neutralen Ukraine zufrieden geben, die wieder aufgerüstet werden kann, sondern wahrscheinlich ein von ihm abhängiges Regime installieren wollen.

Wie immer sich die Lage entwickelt: Ein Kompromiss, ein Bereich der Annäherung ist im Moment ausserhalb jeglicher Vorstellung. Keine Partei ist bereit, ihre Kriegsziele zu revidieren, geschweige denn zu mässigen. Deshalb wird auf allen Seiten weiter eskaliert. Das kann es aber nicht sein – für die Politiker vielleicht schon, aber nicht für die Menschen und schon gar nicht für die Menschheit.

Wenn über die Kriegsziele noch nicht verhandelt werden kann, dann vielleicht über ein Nebengebiet, zum Beispiel den Export von Weizen aus den übervollen ukrainischen Lagern. Vor allem im globalen Süden bahnt sich eine biblische Hungersnot an, nicht weil es an Nahrungsmitteln fehlte, sondern weil die Future-Märkte den Preis für die armen Länder in unbezahlbare Höhen getrieben hat und weil der Weizen die ukrainischen Häfen nicht verlassen kann.

Die westlichen Medien wiederholen wider besseres Wissen die Behauptung, Putin blockiere den Export (auch die NZZ). Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock «Russland führt diesen Krieg mit Hunger».

Gemäss Putin können die Schiffe die Häfen nicht verlassen, weil sie von der ukrainischen Armee vermint wurden. Einige Minen haben sich sogar aus der Verankerung gelöst und verunsichern die Schifffahrt im gesamten Schwarzen Meer. Putin und andere russische Regierungsvertreter haben mehrfach betont, sie würden die Weizenexporte nicht behindern und die freigelegten Häfen nicht für Angriffe nutzen.

Das wäre doch jetzt eine gute Gelegenheit, das russische Versprechen auf den Prüfstand zu stellen, ein paar Weizenfrachter aus den Häfen zu bringen und den bedrohten Ländern des Südens ein klares Signal zu senden: Wir lassen euch nicht im Stich, unser Krieg soll euch nicht auch noch ins Elend stürzen. Die Spekulanten wären zwar nicht einverstanden, da sie eine Fortsetzung der Krise bereits eingepreist haben. Aber was ist der Kontostand von ein paar Leute, die ohnehin mehr als genug haben, im Vergleich zum Leben von Abermillionen?

Die Vermittlung einer solchen Vereinbarung wäre ein idealer guter Dienst für ein neutrales Land, wie es die Schweiz einmal war. Es würde allen Parteien nützen. Die Ukraine würde Einnahmen erzielen, Russland könnte sein Image verbessern und der Westen könnte zeigen, dass der freie Markt tatsächlich allen etwas bringt. Fragen Sie bitte nicht, warum das nicht getan wird. Die Antwort wäre zum Verzweifeln.

Hoffen wir vielmehr, dass ein paar Politiker, denen seit Corona jedes Leben so unglaublich viel wert ist, diesen Text lesen, einsichtig werden und erkennen, dass jeder Krieg ein Ende haben muss und ein erster, vielleicht unbedeutender Schritt erforderlich ist.

Über

Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

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Kommentare

Trittbrettfahrer

von juerg.wyss
In der heutigen Zeit verwundert gar nichts mehr. Die westliche Welt ist vollständig in den Händen von Faschisten. Unsere Politiker sind nur für die Statskasse verantwortlich, sie scheissen auf die Bewohner ihres Landes. Die selbsternannte Krise entstand nicht aus dem Krieg, sie ist ein Produkt das der modernen Kriegsführung dient. Die Benzinpreise steigen ins unermessliche, die Staaten füllen ihre Kassen zu Lasten ihrer Bürger, Und "wir" geben Putin die Schuld. Auch die Lebensmittelpreise sind gestiegen aus was für Gründen auch immer. Aber sicher nicht wegen dem Einmarsch von Putin in die Ukraine. Es ist wie überall, Lügner suchen sich einen Schuldigen, um ihren Profit zu erhöhen. So werden wir zu Kriegsteilnehmern, ob wir wollen oder nicht. Aber nicht nur als Angreifer auch als Opfer.