Wenn die Demokratie die Finanzwirtschaft stört

Das Attac Bankentribunal und die Lehren aus der Finanzkrise. Zwölf Thesen zur Finanzkrise, ihren Ursachen und ihren Folgen. (Roland Rottenfußer)

Wenn wir eine Institution für grundsätzlich sinnlos und schädlich halten, bemühen wir uns darum, dass sie aufhört zu existieren. Bei einer rechtsradikalen Partei etwa genügt es uns nicht, dass sie in kleinere Einzelteile zerschlagen wird. Wir möchten, dass so eine Partei untergeht, und dass an ihrer Stelle etwas ganz Neues, Konstruktives, Menschlicheres entsteht. Ähnlich verhält es sich mit gewinnorientierten Investmentbanken, mit Finanzmärkten und Spekulationsgeschäften. Sie fördern die Umverteilung von unten nach oben, gefährden die Volkswirtschaften, spielen mit dem Leben und dem Wohlstand von Milliarden Menschen und bedrohen die Demokratie in ihren Grundfesten. Übertrieben? Anlässlich des Attac Bankentribunals zeigten wichtige Querdenker, wie gefährlich die genannten Institutionen sind und wie es wirklich zur Finanzkrise kam. (Roland Rottenfußer)



Afrika wacht auf, Europa schläft größtenteils noch. Gelegentlich werden aber angesichts der Revolten in arabischen Ländern schon weiter führende Fragen gestellt: Könnte dergleichen auch bei uns passieren? Gibt es Wege, unser neoliberales Regime loszuwerden? Und wenn ja, mit welchen gewaltfreien Mitteln? Der Hinweis darauf, dass unsere Regierungen demokratisch gewählt wurden, genügt nicht, um diesen Überlegungen die Spitze zu nehmen. 1. werden Regierungen heute nur noch von rund 1/3 der Wahlberechtigten unterstützt, 2. kann dieser Prozentsatz durch politische Ereignisse weiter sinken, 3. haben wir gesehen, dass sich die Geschichte manchmal extrem beschleunigt. Dann brechen scheinbar in Beton gegossene Strukturen plötzlich auf, und „Unmögliches“ scheint auf einmal möglich.



Die wichtigste Frage, die sich dazu stellt, ist aber: Ist unserer Regierung (bzw. das System einander ergänzender neoliberaler Parteien, Banken und Konzerne) wirklich so schlimm, dass es gerechtfertigt wäre, dessen Sturz zu betreiben? Natürlich hinken Vergleiche, wie sie z.B. auf einem Plakat auf der jüngsten Stuttgart 21-Demonstration angestellt werden: „Ben Ali – Mubarak – Mappus“. Gemessen an einem Gaddafi oder Mubarak erscheint jeder deutsche Politiker leidlich rechtschaffen. Man muss aber nicht nur den Ist-Zustand bedenken, sondern auch die Entwicklungsrichtung des Ganzen. Da ist es leider nicht übertrieben zu sagen: In Nordafrika verläuft die Entwicklung von Diktatur hin zu mehr Demokratie; in Europa ist dies umgekehrt.



Einen wesentlichen Beitrag zu der Frage, ob der Machtkomplex, der uns regiert, wirklich „so schlimm“ ist, lieferte 2010 das „Attac Bankentribunal“. In diesem „zivilgesellschaftlichen Gerichtsverfahren“ wurden die Regierung Schröder, die beiden Regierungen Merkel (Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb) sowie die Deutsche Bank angeklagt. Der Sozialethiker Friedrich Hengsbach zieht in seinem abschließenden Urteil das Resümee: „Durch ihre Finanzmarktpolitik haben sie [die Angeklagten] dazu beigetragen, dass sich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft ablösen konnten und hochriskante Spekulationsgeschäfte möglich wurden. Sie haben wiederholt die öffentlichen Interessen an die Privatwirtschaft ausgeliefert. Sie haben die Demokratie untergraben. Sie haben bei der Bankenrettung die Gläubiger geschont und nicht für die Kosten herangezogen. Sie haben den öffentlichen Haushalten Milliardendefizite aufgebürdet. Sie setzen sich nicht entschieden für die Regulierung der Finanzmärkte ein. Sie lassen es ferner geschehen, dass Milliarden von Menschen im globalen Süden noch tiefer in Armut gestürzt werden.“



Obwohl das Bankentribunal nicht topaktuell ist (9.-11. April 2010), ist es noch heute hoch brisant – ein Stück Geschichtsschreibung, das wir uns vergegenwärtigen sollten, wollen wir uns nicht von der verfälschenden Berichterstattung der großen Medien einlullen lassen. Koryphäen der informierten Zivilgesellschaft wie Elmar Altvater, Harald Schumann, Sven Giegold, Ulrike Herrmann, Detlef Hensche und Christian Felber traten dort als Kläger, Zeugen und Richter auf.



Hier zwölf wichtige Thesen zur Finanzkrise, ihren Ursachen und ihren Folgen. Ich orientiere mich in der Argumentation an Äußerungen der Akteure des Bankentribunals. An einigen Stellen ziehe ich auch eigene Schlussfolgerungen:



1. Die Finanzkrise 2008 ist ein Brennpunkt der geschichtlichen Entwicklung der letzten 15 Jahre. Hier laufen die „Fäden“ zusammen, die mit Schröders Agenda-Politik und deren Fortsetzung durch die Schwarz-Rote Koalition geknüpft wurden. Von hier aus türmen sich auch Bugwellen, die bis in die Gegenwart reichen – und in eine Zukunft, die zunehmend von Ausplünderung, Sozial- und Demokratieabbau geprägt sein könnte. Es ist also enorm wichtig, die Finanzkrise und die sich anschließende Eurokrise korrekt zu analysieren – bevor unsere Aufmerksamkeit zu anderen Tagesereignissen fließt.



2. Die Finanzkrise kam nicht wie eine Naturgewalt über uns. Das Verhalten ihrer Akteure war keinesfalls „alternativlos“. Die Finanzwirtschaft wurde von verantwortlichen, namentlich bekannten Personen vorbereitet, inszeniert und in ihrer wahren Bedeutung verschleiert. Wie die Analyse zeigen wird, kann man von einem Versagen in monumentalem Ausmaß sprechen. Infam sind vor allem Verschleierungstaktiken nach dem Muster, „wir“ hätten über unsere Verhältnisse gelebt. „Es ist öfter vom System die Rede gewesen. Ein Begriff, der trefflich dazu verführt, persönliche Verantwortung sich verflüchtigen zu lassen. An dem, was geschehen ist, sind nicht wir alles schuld. Nicht die Geldgier aller, nicht der Geldrausch, auch nicht die Häuslebauer in den USA. Jedes System hat seine Architekten und Baumeister.“ (Detlef Hensche, ehemaliger Gewerkschafter)



3. Das Auseinanderdriften von Arm und Reich richtet doppelten Schaden an: durch Schwinden der Kaufkraft und durch vagabundierende Übervermögen. Schröder sorgte für eine „massive Einkommensumverteilung von unten nach oben.“ Dies ist ursächlich für die Finanzkrise. „Je höher die Einkommen, desto höher die Massenkaufkraft. Je höher der Anteil der Unternehmer und Großverdiener, desto mächtiger die Finanzströme, die sich aus dem Realsektor in die Finanzwirtschaft ergießen und dort Fantasieprofite erzielen sollen, die nicht durch die realwirtschaftliche Entwicklung gedeckt sind.“ So der Wirtschaftswissenschaftler Conrad Schuhler. „Von 2000 bis 2008 sank die Lohnquote um 10 Prozent, während die Profitquote um 20 Prozent in die Höhe schoss. Gleichzeitig mit dem Senken der Masseneinkommen hat man eine Steuerreform zugunsten der Konzerne und der Reichen durchgeführt. Jährlich 30 Milliarden mehr für die hohen Einkommen und Vermögensbezieher.“ Die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne, die Schröder gewährte, begünstigte außerdem den Aufschwung der Hedgefonds, der in der Finanzkrise eine verhängnisvolle Rolle spielten. Wo zu wenig Geld da ist, leiden Menschen Not, das leuchtet ein. Auch das „Wegbrechen der Massenkaufkraft“ und dessen Folgen für die Wirtschaft kann jeder als gefährlich begreifen. Zu wenig öffentliches Nachdenken gibt es aber darüber, was es bedeutet, wenn anderswo zu viel Geld gebunkert wird. Übervermögen sucht „verzweifelt“ nach Anlagemöglichkeiten. Wo nicht genügend sozialverträgliche und risikoarmen Anlageformen verfügbar sind, „muss“ eben in schädliche und riskante Fonds investiert werden. „Platzen“ solche dubiosen Geschäfte, sehen die Akteure offenbar nicht ein, warum sie die Verluste selbst tragen sollten. Wozu hat man die Steuerzahler?



4. Großbanken versuchen immer größer zu werden, bis ihre Macht ausreicht, um die Gesellschaft zu erpressen. Ackermann hat sich trotz der Finanzkrise weiter für die Deregulierung der Finanzmärkte eingesetzt. Er trieb die Umetikettierung fauler Kredite und den Handel damit massiv voran und machte gleichzeitig Absicherungsgeschäfte mit diesen Krediten. Zwischen der Anhäufung von Riesenvermögen und der zunehmenden politischen Macht der Deutschen Bank entwickelt sich eine verhängnisvolle Aufwärtsspirale: „Die Deutsche Bank ist so groß und so mächtig, dass jeder deutsche Minister, egal aus welcher Partei er kommt, sich ernsthaft überlegen muss, ob er sich mit denen anlegt“, so Harald Schumann, Wirtschaftsjournalist und Autor von „Die Globalisierungsfalle“. Schumann wird noch drastischer: „Vor der Deutschen Bank haben Geschäftsleute in Deutschland mindestens solche Angst wie in Italien vor der Mafia.“ Die Bank drohe nicht mit Gewalt, sondern mit Kreditentzug. „Wenn die Deutsche Bank über einem deutschen Unternehmen den Daumen senkt, dann kriegt sie nie wieder einen Eurokredit.“ Wollen wir so viel Macht in den Händen von Kräften, die in keiner Weise durch den Volkswillen legitimiert sind?



5. Investmentbanken verfahren nach dem Geschäftsprinzip: Viel riskieren und politisch dafür sorgen, dass der Steuerzahler die finanziellen Risiken trägt. Merkels Regierung sind bei der Bankenrettung gravierende Fehler unterlaufen. „Sie hat bei der Rettung der Hypo Real Estate unnötig Steuergelder verschwendet, weil das Finanzministerium trotz bekannter Liquiditätsengpässe keinerlei Notfallplan aufgestellt hatte. So kam es zu einer nächtlichen Ad hoc-Rettungsaktion, in der es nicht mehr möglich war, die HRE-Gläubiger angemessen an den Rettungskosten zu beteiligen.“ (Ulrike Herrmann, Journalistin der „taz“) Es war außerdem „falsch, die Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank zuzulassen und mit Steuermitteln zu finanzieren.“ Harald Schumann analysiert die entscheidenden Tage der „Bankenrettung“ ausführlich und wirft der Regierung Merkel/Steinbrück vor, nicht rechtzeitig gehandelt zu haben. „Das führte dann dazu, dass zu dem Zeitpunkt, als man entscheiden musste, ob man die Hypo Real Estate insolvent gehen lassen soll, Asmussen und Steinbrück überhaupt nicht in der Lage waren, eine informierte Entscheidung zu treffen.“ Sie unterließen es, sich zu informieren, als dazu noch Zeit war. „Das halte ich nicht nur für ein Versagen, sondern für grobe Fahrlässigkeit, die in solch hohen Ämtern nicht zulässig ist.“ Den globalen Geldfilz verdeutlicht Schumann am Beispiel von Goldman Sachs. Die amerikanische Investmentbank „ist weltweit in fast allen relevanten Industrie- und Schwellenländern mit hochrangigen Leuten in allen möglichen Gremien und als Berater vertreten. Sie hat zwei von drei Finanzministern in den letzten 10 Jahren in den USA gestellt.“ Das Geschäftsmodell von Goldman Sachs bestehe darin, „hohe Risiken einzugehen und dann politische dafür zu sorgen, dass diese Risiken nicht bei ihnen hängen bleiben.“



6. Wo angeblich „das System“, „die Wirtschaft“, „die EU“ usw. geschützt werden sollen, geht es in Wahrheit um den Schutz der Profitinteressen von Privatbanken. Zunächst zum Kampfbegriff „Systemrelevante Banken“: Er suggeriert, dass wir alle ein Interesse daran haben müssten, dass es denen gut geht. Was bedeutet schon ein kleines Opfer (ein paar Milliarden Euro), das dem Steuerzahler auferlegt wird, wo doch weit Kostbareres auf dem Spiel steht? Hierzu argumentiert der Politikwissenschaftler Elmar Altvater: „Was sind systemrelevante Banken? Sie hatten besonders hohe Bilanzsummen und besaßen angeblich besondere Wichtigkeit für das System insgesamt. Was ist mit dem ‚System’ gemeint? Das Investmentbanking. Und dieses wollte man retten, um dann weitermachen zu können wie bisher. Was der Politik vorzuwerfen ist, ist dass sie dies zugelassen hat, und zwar sehenden Auges.“ Ähnlich wurde auch bei der Griechenland-Krise argumentiert. Die Deutsche Bank trägt durch Ausfallbürgschaften einen großen Teil des finanziellen Risikos für den Fall, dass Griechenland Pleite geht. Mit Hilfe ihres Netzwerks ließ sie deshalb in der gesamten EU verbreiten: „Wenn ihr Griechenland insolvent gehen lasst, dann bricht das ganze griechische Bankensystem zusammen.“ Wenn Steuerzahler für Griechenland bürgen, schützen sie damit vor allem die Interessen der Deutschen Bank. So jedenfalls die Deutung von Harald Schumann.



7. Eine wirksame Regulierung der Finanzmärkte war und ist politisch nicht gewollt. Wäre sie gewollt, hätte kein „Volksvertreter“ mehr die Macht, sie durchzusetzen. „Die Aufgabe der Bundesregierung wäre es gewesen, kleinere Banken zu schaffen statt gigantische Zusammenschlüsse zu organisieren. Der derzeitigen Regierung ist anzulasten, dass noch immer keinerlei Regulierung der Finanzmärkte erfolgt ist. Stattdessen finden schon wieder Spekulationsgeschäfte in gigantischem Ausmaß statt. Es besteht die Gefahr, dass sich erneut Blasen an den Finanzmärkten bilden.“ (Ulrike Herrmann)



8. Politik und Finanzmärkte sind personell aufs engste verflochten. Politik heute ist radikal privatwohlorientiert. Es existiert eineextrem enge Verflechtung von Politik und Finanzmärkten, z.T. eine Verschmelzung.“ (Heidi Klein, „Lobby Control“) Zum Teil „sind diejenigen, für die die Gesetze gelten sollen, die, die die Gesetze schreiben.“ Anwaltskanzleien, die auch Banken beraten, werden mit Entwürfen für Gesetze beauftragt. Harald Schumann: „Die Finanzwirtschaft hat auf internationaler Ebene eine Art personellen Schild, mit dem sie alle Regulierungsversuche vor und nach der Krise abwehren kann.“ Wegen ihrer finanziellen Potenz beschäftigt die Finanzwirtschaft unzählige Lobbyisten, die auf die Politik einwirken. Demokratiewidrig sind auch die Abhängigkeit der Politik von Parteispenden sowie der „Drehtüreffekt“ (Politiker gehen in die Wirtschaft, und umgekehrt.). Besonders nimmt Schumann die FDP ins Visier: „Die Tatsache, dass wir für den kriminellsten Fall der Bankenrettung in Deutschland, den Fall der IKB, keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss bekommen haben, liegt nur darin, dass die FDP abhängig ist von Bankspenden.“ Unternehmen, die nicht Pleite gehen dürfen, sind gefährlich, weil sie Macht erwerben, die nicht demokratisch legitimiert ist.



9. Die Finanzindustrie erlaubt der Demokratie gerade so viel Einfluss, dass sich dies auf ihre Geschäfte nicht störend auswirkt. Harald Schumann belegt diese These u.a. am Fall des dubiosen „Informationsausschusses“ zur Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank. „Dieser Ausschuss hat ungefähr die demokratische Qualität des Volkskongresses von Nordkorea“, sagte er im Bankentribunal. Die Abgeordneten hätten nicht das Recht gehabt, die relevanten Verträge und Unterlagen einzufordern. Das, was ihnen der Ausschuss (freiwillig) mitteilt, durfen sie nicht nach außen kommunizieren. „Selbst wenn sie die schlimmsten Dinge erfahren, die gegen alle Interessen der Steuerzahler verstoßen, dürfen sie sie nicht in die Öffentlichkeit tragen. Das ist das Gegenteil von Parlament. Das ist eine Pseudo-Demokratie“, rief Schumann erbost. Auch die Begründung, alles habe sich in Übereinstimmung mit herrschenden Gesetzen abgespielt, ließ er nicht gelten: „Wenn dieses Gesetz so schlecht ist, dass der Steuerzahler am Ende für alle Risiken gerade stehen muss, dann muss dieses Gesetz geändert werden.“



10. Die Finanzindustrie versucht ihren Einfluss totalitär auf alle Lebensbereiche zu erstrecken. Alles wird zur Handelsware. „Die Angeklagten stehen für ein Geschäftsmodell, das die Spekulation auch in den letzten geschützten Raum der Gesellschaft vortreibt. Wer Wasser, Reis, Weizen und andere Nahrungsmittel zum Wettgeschäft macht, der spielt mit dem Überleben ganzer Bevölkerungen.“ (Detlef Hensche)



11. Nicht nur die Größe von Bankenzusammenschlüssen ist das Problem, ihre bloße Existenz ist demokratiewidrig und gefährlich. Entscheidend ist, „dass die Banken nicht mehr so groß sind, dass sie den Staat erpressen können.“ (Sven Giegold) Wenn Banken als „too big to fail“ angesehen werden, „konstatiert das einen unerträglichen Zustand staatlicher Ohnmacht, der mit dem Demokratieprinzip unvereinbar ist.“ (Jürgen Borchert, Sozialrichter) Aus dieser Behauptung folgt die „zwingende Notwendigkeit der Zerschlagung solcher Institute.“ Laut Christian Felber, Gründungsmitglied von Attac Österreich und Sachbuchautor, sind die Finanzmärkte selbst das Problem. Deshalb müsse Geld als öffentliches Gut neu organisiert werden. Natürlich fordert auch Felber, wie viele Teilnehmer beim Bankentribunal, die Zerschlagung der angeblich systemrelevanten Banken. „Aber was bringt das, wenn das größte Bestreben von Banken in einem freien Wettbewerbsmarkt ist, dass sie wachsen und einander auffressen. Das ausdrückliche Ziel der Liberalisierung der Finanzmärkte in der EU und auf dem Weltmarkt war die Herstellung und Heranzüchtung von Global Players.“ Nachzulesen ist dies in der Finanzbinnenmarktstrategie der EU. Das bedeutet, dass die Herstellung systemrelevanter Banken ausdrücklich das Ziel von EU-Wirtschaftspolitik ist. „Ich kann mir keinen Global Player vorstellen, der nicht zwingend systemrelevant wäre. Deshalb ist hier eine Liberalisierungsstrategie von vornherein falsch.“ (Felber)



12. Eine grundsätzliche Besserung könnte in drei Schritten erfolgen: Zerschlagung von Großbanken, Schaffung Demokratischer Banken, Schließung der Börsen. „Es braucht nicht nur die Zerteilung der zu groß gewordenen Banken. Deshalb schlagen wir vor, dass sämtliche Banken auf Gemeinwohlorientierung umgestellt worden müssen, man ihnen den Wachstumstrieb nimmt und dass ein neuer Bankentypus geschaffen werden muss: die demokratische Bank, die auch Ausdruck der Neuorganisation von Geld als öffentliches Gut wäre. Die Demokratische Bank ist öffentliches Eigentum, aber geschützt vor dem Zugriff sowohl der Regierung als auch des Parlaments. Sie gehört ausdrücklich dem demokratischen Souverän und erfüllt ausschließlich die konservativen Kernfunktionen einer Bank, nämlich die Weitergabe von Spareinlagen in Form von günstigen Krediten. Sie ist natürlich nicht gewinnorientiert und sie prüft alle Kreditvorhaben auch auf die Schaffung von sozialem und ökologischem Mehrwert. Dadurch wird auch der Kredit wieder ein öffentliches Gut.“ Der letzte Punkt, den Christian Felber anspricht, ist die Schließung der Börsen. „Aktiengesellschaften sind eine sehr undemokratische Unternehmensrechtsform. In Zukunft soll es keine Aktien mehr geben.“



Fazit: Das Bankentribunal von 2010 konstituierte eine Art Weisenrat ohne Bart, kritisch, präzise, „nachtragend“ in der Analyse der Ursachen, nach vorne gewandt in den Schlussfolgerungen. Man würde sich wünschen, dass solche Menschen bei uns mehr Einfluss hätten als ein Ackermann, Mappus oder zu Guttenberg. Ergänzt durch Impulse aus der Kulturszene, z.B. Künstler und Musiker, könnte daraus eine effiziente Form der „Gegenöffentlichkeit“ und damit ideelle „Gegenmacht“ erwachsen. Wünschenswert wäre aber, dass Urteile, wie sie das Bankentribunal über die Akteure der Finanzkrise verhängt hat, wirklich „strafbewehrt“ wären. Die Zusammenhänge, die in dem Tribunal aufgedeckt wurden, sollten bei einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden. Das sollte dazu führen, dass Menschen den beteiligten Parteien massenhaft ihre Stimmen entziehen; dass sie zu hunderttausenden auf die Straße gehen; und dass sie ihr Geld nicht ausgerechnet bei den übermächtigen „Monsterbanken“ anlegen, die ihre demokratiefeindliche Macht mit dem Geld von vielen von uns weiter ausbauen.



„Das Gewicht des jeweiligen Kapitals gilt nicht mehr als Gefahr für die Demokratie, sondern umgekehrt die Demokratie als Gefahr für die Freiheit des agierenden Kapitals“ – so beschreibt der Sachbuchautor Jens Wernicke die Lage. Die „Demokratiedämmerung“, die ich in einem meiner letzten Artikel beschrieben habe, ruht auf zwei Säulen: Einerseits ist da der Ausbau der überwachungs- und polizeistaatlichen Maßnahmen; andererseits die Aushöhlung der Demokratie durch die Macht der Finanzmärkte und Investmentbanken. Schon einer dieser Entwicklungsstränge wäre höchst gefährlich; beide zusammen sind katastrophal. Trotzdem glaube ich, dass sich kein Machtblock, so fest gefügt er auch scheinen mag, für immer halten kann; dass keine Lüge ewig bestehen kann; dass die selbstzerstörerische Dynamik des Finanzsystems im Verein mit einer Alternativkultur, die von immer mehr erwachenden Menschen getragen wird, den selbstgerechten Riesen Neoliberalismus zu Fall bringen wird.


23. März 2011
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