Widerstand ohne Gegnerschaft - wie kann das gehen?
Antworten von Lesern und Leserinnen zu unserer Frage des nächsten Zeitpunkt-Titelthemas. Teil 1.
Kritische Masse
Oft hört man, mit 4% Widerständlern habe man die kritische Masse erreicht, um ein System zum Kippen zu bringen. Nur: Was für 4 %? 4 % Impfgegner? 4 % Systemkritische? Die Erfahrung zeigt, dass man hiermit noch keinen Wandel herbeiführte. Also nochmal: was für 4 %?
Noch eine andere Frage: Was genau will man zum Kippen bringen: die Regierung, die Fassadendemokratie, die Pseudowissenschaft?
Eine Anregung hierzu fand ich in «Ökonomie der Verbundenheit» von Charles Eisenstein: «Und wenn wir uns dem Symptom mit der Absicht annähern, das Böse zu überwinden und zu bezwingen, dann ist das genau die Denkart, die der Getrenntheit zugrunde liegt, und wir werden damit am Schluss nur dieselben Ungerechtigkeiten in anderer Form bewirken.»
Es geht also nicht darum, das Böse zu überwinden oder zu bezwingen. Worum geht es dann? Weiss ich, warum Lauterbach, Fauci, Gates und andere handeln, wie sie handeln? Hätte mir auch etwas zustossen können (in diesem Leben oder davor), das mich so würde handeln lassen? Wenn dies der Fall wäre, dann könnte ich Verständnis für diese Menschen entwickeln, anstatt sie zu verurteilen und zu bekämpfen. Was wäre, wenn 4 % aus der Idee der Feindesliebe heraus handeln würden? Niemand kann uns daran hindern.
Reinhold Junele, Steffisburg
Wohlwollen: «Ein gutes Gefühl»
Wir leben in einer schwierigen Zeit und kommen schnell an unseren Grenzen. Die Folgen sind Streit, Spaltungen und Trennungen. Wollen wir das einfach hinnehmen? Ich bin der Meinung, dass wir verschiedene Möglichkeiten haben, das zu verbessern. Ich kann bei mir selber anfangen. Ich kann mir Gedanken darüber machen, was mir gut tut. Wie ich gerne möchte, dass andere mit mir umgehen sollten, damit ich mich wohl fühle. Ja, aber wenn ich das tue, ist es ja lange nicht sicher, dass die andere positiv reagiert und ein brauchbares Feedback gibt. Ja, das stimmt. Aber wer nichts gewagt gewinnt nichts! Also habe ich mich dazu entschlossen, diese Reaktion bei anderen und bei mir selber zu beobachten...
Wenn ich unterwegs bin, zu Fuss, im Tram, Bus oder im Zug, erlebe ich oft, dass Personen sich einfach durchstossen, um einen Platz zu finden. Sie machen es ganz stumm und fast gewalttätig, und auf den Strassen in der Menge reagieren sie, als ob sie alleine wären, und alle andere müssen zur Seite treten. Deshalb probiere ich, achtsam zu sein, bewusster die Leute um mich herum wahrzunehmen. Ich merke, dass ich mich so wohler fühle, als wenn ich mich nur von einer anonyme Masse umgeben bin.
Hast du mal gecheckt, was es mit dir macht, wenn jemand, den du nicht kennst, dich zuvorkommend und hilfsbereit behandelt? Es gibt im Leben immer wieder solche Situationen, die zeigen, wie schön wir es haben könnten, wenn wir achtsamer sind. Manchmal reicht es schon, Blickkontakt aufzunehmen, statt stur und blind durch die Menge den Weg zu kämpfen.
Es ist nur der Anfang. In unserer globalisierten Welt braucht es mehr. Wenn wir eine Zukunft in Frieden und Wohlergehen möchten, müssen wir lernen, besser zu verteilen und teilen. Keine von uns ist eine Insel. Es ist höchster Zeit, dass wir unser Wohlwollen grenzenlos machen.
Anders Versterby
Ein Spagat, der einiges an Flexibilität erfordert.
Meine (schmerzlichen) Erfahrungen der letzten Jahre haben meine Form des «Widerstandes» grundlegend geändert. Im Versuch, das Richtige zu tun, mit Einbezug aller Blickwinkel endete dennoch meist in einer festen Meinung, die zwangsläufig mit andern Meinungen in Opposition stand. Meist war es schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden und im Frieden neue Lösungen zu finden.
Was sich über die Jahre entwickelt hat, ist nicht mehr die Suche nach Lösungen und Entscheidungen, sondern ein co-kreativer Prozess, in dem nicht wir Menschen den Kompromiss oder die Lösung finden, sondern der Kreis von Menschen, in dem der Prozess stattfindet. Wie sieht das praktisch aus?
Der erste Schritt ist immer das aufeinander Zugehen, die Gegenseite sehen und versuchen zu verstehen – «Walk a Mile in his Moccasins». Der zweite Schritt: einen Kreis einberufen mit allen betroffenen Parteien. Im dritten Schritt findet das Coucil statt, in dem jeder aufrichtig seine individuelle Wahrheit in die Mitte spricht. Jede Stimme zählt gleich viel.
Es wird keine Abstimmung gemacht. Die kollektive Antwort auf die Frage entsteht im Diskurs mit der Mitte – und dort wird die Antwort immer klarer. Was es braucht ist eine Kultur des aufrichtigen, verbundenen Teilens und des aufrichtigen, verbundenen Zuhörens.
Was geschieht, wenn eine Partei nicht im Kreis erscheint, sich weder mitteilen noch zuhören will?
Dann wende ich mich meiner Wahrheit und den Menschen zu, die diese Wahrheit teilen. Ich verschwende keine Kraft im Kampf gegen andere Meinungen sondern unterstütze meine Vision, so gut ich kann. Gleichzeitig trenne ich mich nicht, indem ich verurteile, sondern akzeptiere unterschiedliche Sichtweisen und Überzeugungen.
Paul Hess
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