Wie der Verkehrsabfall entsorgt wird
Umfahrungsstrassen sind der Versuch, mit dem «Abfall» Verkehr umzugehen. Wie beim Kehricht wird man um die Vermeidung nicht herumkommen.
Der grösste Teil des Verkehrs ist eine Art Abfallprodukt. Gewünscht wird Mobilität von A nach B. Dabei fallen beim Autoverkehr erhebliche unerwünschte Nebeneffekte an. Auf 100 kg Mensch fallen 1500 kg Auto an, verbunden mit einer Beeinträchtigung und Gefährdung unserer Lebensumgebung.
Wir haben uns in den letzten hundert Jahren weitgehend mit dem Auto im Siedlungsgebiet abgefunden, haben ihm Platz gemacht, unsere Kinder trainiert und unsere Lebensgewohnheiten angepasst. Noch immer aber fordert der Autoverkehr hunderte Tote und tausende Verletzte allein in der Schweiz. Eigentlich sind dies Kennzahlen eines Bürgerkrieges.
Es erscheint logisch, dass man auf diese Verhältnisse entschieden und grosszügig reagieren möchte. Stellvertretend für ähnliche Projekte die geplante Umfahrung im Raum Burgdorf: Stadt und Dörfer sollen umfahren, Menschen geschützt und Mobilität ermöglicht werden. Der Ansatz ist verständlich. Schaut man aber genauer hin, merkt man, dass die neue Strasse unter dem Strich vor allem eines tut: den Autoverkehr fördern. Geringere Fahr- und Stehzeiten verschaffen dem Individualtransportmittel einen Vorteil gegenüber ÖV, Velo oder den Füssen. Das Emmental wird damit automobiler, der Verkehr nimmt zu und wird die Gebiete stärker belasten, die vor oder nach der Umfahrung liegen.
Das erinnert an die Praxis der Abfallentsorgung. Was man früher über die Stadtmauer warf, brachte man ein paar Jahrzehnte später in den nahen Wald, um es dort zu entsorgen. Derzeit scheinen wir beim Verkehr in diesem Stadium zu stecken. Wir sind bereit, unsere nahe Umgebung für die Deponie von Verkehrsabfällen zu missbrauchen. Im Fall Burgdorf sind dies unberührte Wiesen und Wälder; das Naherholungsgebiet dieser Stadt. Es ist kaum anzunehmen, dass die nächste Generation dieses Verhalten wiederholen wird.
Glücklicherweise hat die Abfallbewirtschaftung weitere Schritte gemacht. Niemand würde heute seine Rückstände in der Landschaft entsorgen wollen. Und auch moderne Deponien verdienen nicht mehr unser Wohlwollen. Selbst wenn man ihn vergräbt, bleibt Abfall Abfall. Das gleiche könnte man über Tunnellösungen bei Umfahrungsstrassen sagen. Am Ende des Tunnels taucht der Verkehrt wieder auf. Wir haben erkannt: Will man an der Ursache ansetzen, kommt man nicht um die Abfallvermeidung herum.
Beim Verkehr sind wir noch nicht ganz so weit. Dabei hätten wir allen Grund, den Autoverkehr zu reduzieren. 50 Prozent aller Fahrten sind kürzer als 5km, 25 Prozent kürzer als 2km. Es erstaunt daher nicht, dass die Verlagerungseffekte der Umfahrungen so schwach ausfallen. Auf den «beruhigten» Strassen verkehren immer noch weit mehr als die Hälfte der früheren Verkehrsmenge, teilweise mehr. Damit bleiben diese Strassen Durchgangsstrassen, laut und belastend trotz Investitionen von 800 Millionen (im Fall Burgdorf).
Der Umgang mit Abfall hat uns zum Trennen, Sortieren und Rezyklieren geführt. Was beim Umgang mit Glas, Metall, Altöl oder Batterien gang und gäbe ist, wird beim Autoverkehr noch nicht gelebt. Mobilitätsbedürfnisse werden zu wenig sortiert nach Distanz, Zeitdruck, Zielort, sondern in den gleichen Topf geworfen, der anschliessend überkocht und unsere Ortskerne verstopft. Dabei liegt beim Autoverkehr eine zentrale Grösse der Effizienzsteigerung seit Jahrzehnten brach: der Besetzungsgrad. Solange pro Fahrzeug im Schnitt nicht einmal 1,5 Personen (zu Stosszeiten 1,1 Personen) sitzen, darf es nicht verwundern, dass die Strassen überquellen. Wir erzeugen ein Übermass automobilen Abfalls für das Wenige an Mobilität, das damit erreicht wird. Nur schon eine Steigerung des Besetzungsgrades zu Stosszeiten auf 2 statt 1,1 würde jeden Stau zum Verschwinden bringen und Verhältnisse bieten, die nicht einmal eine Umfahrung ermöglicht.
Die Steigerung des Besetzungsgrades ist eine unangenehme Forderung, denn sie stellt unser Verhalten in Frage. Sie postuliert eine andere Art von Mobilität, die mehr Verantwortung und Flexibilität einfordert. Man müsste sich gelegentlich ein Fahrzeug teilen, jemanden mitnehmen oder anders unterwegs sein. Das alles scheint in weiter Ferne, nachdem wir das Auto als Grundrecht auf Individualität wahrnehmen. Das gleiche beanspruchte man übrigens vor 80 Jahren für die Abfallentsorgung im nahen Wald.
Die Erhöhung des Besetzungsgrades könnte durch eine interessante Entwicklung erleichtert werden. Das selbstfahrende Auto wird wohl schon innerhalb der nächsten 20 Jahre Realität werden auf unseren Strassen. Aber nicht nur das. Es wird vielleicht sogar zum Standard für die individuelle Fortbewegung. Denn es verbindet ein paar elegante Möglichkeiten. Neben dem Zeitgewinn während der Fahrt ist es das Plus an Sicherheit und die Möglichkeit, kein eigenes Auto mehr haben zu müssen. Das Abholen- und Bringenlassen macht Autos zu Taxis oder Kleinbussen, um die man sich nicht mehr kümmern muss. Der Tiefgaragenplatz entfällt ebenso wie der Leasingvertrag und die Parkbusse. Es wird viel Geld frei für anderes.
Gerade zu Stosszeiten werden die meisten Autos in bequemen Sesseln mehrere Menschen mit sich führen, die Zeitung lesen oder Mails beantworten. Da selbstfahrende Autos keine Breitreifen mehr brauchen, keine Sportauspuffe mehr haben und auf Menschen Rücksicht nehmen, wird sich die Koexistenz im Ortskern weiter verbessern, ohne Umfahrung.
Noch aber ist es nicht soweit. In der Zwischenzeit quälen sich die automobilen Massen durch die Ortskerne, jeder mobilen Vernunft trotzend. Man argumentiert damit, das Emmental brauche diese Art Verkehr und die dazu passende Umfahrung, um zu prosperieren. Doch der Standortvorteil der besseren Strassenanbindung ist eine zweischneidige Sache. Was dem einheimischen Gewerbe hilft, dient ebenso der Konkurrenz von ausserhalb. Eines aber weiss man mit Sicherheit: Die neue Strasse fördert Strukturen, die wir seit Jahren zu verhindern suchen: verstreute Gewerbegebiete, Einkaufszentren an den Hauptachsen und die Zersiedlung der Landschaft. Erst das Auto macht diese Formen von Wohnen, Einkaufen und Arbeiten möglich – ja inzwischen nötig. Damit verlieren unsere Dörfer nach und nach ihre Versorgungsfunktion. Neue Umfahrungsstrassen verändern unsere Ortskerne daher stärker als jede Stadtplanung. Wir entwickeln uns in Richtung einer automobilen Kultur, und man kann kaum erklären, warum dies ausgerechnet für rurale Räume wie das Emmental von Vorteil sein soll, die noch geprägt sind von traditionellen Dorfstrukturen.
Vielleicht muss man das Kapitel Umfahrungsstrassen als eine wenig erhellende Episode in der wechselvollen Geschichte der menschlichen Zivilisation abtun. Man schafft sich mit Symptombekämpfung einen Haufen neuer Probleme, ähnlich wie bei den damaligen Deponien, die man heute für viel Geld wieder ausgraben muss. Die Menschheit ist gelegentlich zu faul, echte Lösungen zu suchen. Sie lässt sich auf technische Spielereien ein, um von den eigentlichen Fragen abzulenken: Wie können wir mobil sein, ohne so viel Schaden anzurichten? Wie lassen sich unsere berechtigten Mobilitätsbedürfnisse decken, ohne so viele Menschen in Mitleidenschaft zu ziehen? Wie lässt sich eine Region entwickeln, ohne damit ihr Potential als Lebensraum zu schwächen?
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Paul Dominik Hasler ist Ingenieur ETH und betreibt seit 25 Jahren in Burgdorf das «Büro für Utopien». Er war u.a. beteiligt an der Entwicklung der Flanierzone, der «Velohochstrasse» und zweier Mitfahrsysteme.www.utopien.com
Wir haben uns in den letzten hundert Jahren weitgehend mit dem Auto im Siedlungsgebiet abgefunden, haben ihm Platz gemacht, unsere Kinder trainiert und unsere Lebensgewohnheiten angepasst. Noch immer aber fordert der Autoverkehr hunderte Tote und tausende Verletzte allein in der Schweiz. Eigentlich sind dies Kennzahlen eines Bürgerkrieges.
Es erscheint logisch, dass man auf diese Verhältnisse entschieden und grosszügig reagieren möchte. Stellvertretend für ähnliche Projekte die geplante Umfahrung im Raum Burgdorf: Stadt und Dörfer sollen umfahren, Menschen geschützt und Mobilität ermöglicht werden. Der Ansatz ist verständlich. Schaut man aber genauer hin, merkt man, dass die neue Strasse unter dem Strich vor allem eines tut: den Autoverkehr fördern. Geringere Fahr- und Stehzeiten verschaffen dem Individualtransportmittel einen Vorteil gegenüber ÖV, Velo oder den Füssen. Das Emmental wird damit automobiler, der Verkehr nimmt zu und wird die Gebiete stärker belasten, die vor oder nach der Umfahrung liegen.
Das erinnert an die Praxis der Abfallentsorgung. Was man früher über die Stadtmauer warf, brachte man ein paar Jahrzehnte später in den nahen Wald, um es dort zu entsorgen. Derzeit scheinen wir beim Verkehr in diesem Stadium zu stecken. Wir sind bereit, unsere nahe Umgebung für die Deponie von Verkehrsabfällen zu missbrauchen. Im Fall Burgdorf sind dies unberührte Wiesen und Wälder; das Naherholungsgebiet dieser Stadt. Es ist kaum anzunehmen, dass die nächste Generation dieses Verhalten wiederholen wird.
Glücklicherweise hat die Abfallbewirtschaftung weitere Schritte gemacht. Niemand würde heute seine Rückstände in der Landschaft entsorgen wollen. Und auch moderne Deponien verdienen nicht mehr unser Wohlwollen. Selbst wenn man ihn vergräbt, bleibt Abfall Abfall. Das gleiche könnte man über Tunnellösungen bei Umfahrungsstrassen sagen. Am Ende des Tunnels taucht der Verkehrt wieder auf. Wir haben erkannt: Will man an der Ursache ansetzen, kommt man nicht um die Abfallvermeidung herum.
Beim Verkehr sind wir noch nicht ganz so weit. Dabei hätten wir allen Grund, den Autoverkehr zu reduzieren. 50 Prozent aller Fahrten sind kürzer als 5km, 25 Prozent kürzer als 2km. Es erstaunt daher nicht, dass die Verlagerungseffekte der Umfahrungen so schwach ausfallen. Auf den «beruhigten» Strassen verkehren immer noch weit mehr als die Hälfte der früheren Verkehrsmenge, teilweise mehr. Damit bleiben diese Strassen Durchgangsstrassen, laut und belastend trotz Investitionen von 800 Millionen (im Fall Burgdorf).
Der Umgang mit Abfall hat uns zum Trennen, Sortieren und Rezyklieren geführt. Was beim Umgang mit Glas, Metall, Altöl oder Batterien gang und gäbe ist, wird beim Autoverkehr noch nicht gelebt. Mobilitätsbedürfnisse werden zu wenig sortiert nach Distanz, Zeitdruck, Zielort, sondern in den gleichen Topf geworfen, der anschliessend überkocht und unsere Ortskerne verstopft. Dabei liegt beim Autoverkehr eine zentrale Grösse der Effizienzsteigerung seit Jahrzehnten brach: der Besetzungsgrad. Solange pro Fahrzeug im Schnitt nicht einmal 1,5 Personen (zu Stosszeiten 1,1 Personen) sitzen, darf es nicht verwundern, dass die Strassen überquellen. Wir erzeugen ein Übermass automobilen Abfalls für das Wenige an Mobilität, das damit erreicht wird. Nur schon eine Steigerung des Besetzungsgrades zu Stosszeiten auf 2 statt 1,1 würde jeden Stau zum Verschwinden bringen und Verhältnisse bieten, die nicht einmal eine Umfahrung ermöglicht.
Die Steigerung des Besetzungsgrades ist eine unangenehme Forderung, denn sie stellt unser Verhalten in Frage. Sie postuliert eine andere Art von Mobilität, die mehr Verantwortung und Flexibilität einfordert. Man müsste sich gelegentlich ein Fahrzeug teilen, jemanden mitnehmen oder anders unterwegs sein. Das alles scheint in weiter Ferne, nachdem wir das Auto als Grundrecht auf Individualität wahrnehmen. Das gleiche beanspruchte man übrigens vor 80 Jahren für die Abfallentsorgung im nahen Wald.
Die Erhöhung des Besetzungsgrades könnte durch eine interessante Entwicklung erleichtert werden. Das selbstfahrende Auto wird wohl schon innerhalb der nächsten 20 Jahre Realität werden auf unseren Strassen. Aber nicht nur das. Es wird vielleicht sogar zum Standard für die individuelle Fortbewegung. Denn es verbindet ein paar elegante Möglichkeiten. Neben dem Zeitgewinn während der Fahrt ist es das Plus an Sicherheit und die Möglichkeit, kein eigenes Auto mehr haben zu müssen. Das Abholen- und Bringenlassen macht Autos zu Taxis oder Kleinbussen, um die man sich nicht mehr kümmern muss. Der Tiefgaragenplatz entfällt ebenso wie der Leasingvertrag und die Parkbusse. Es wird viel Geld frei für anderes.
Gerade zu Stosszeiten werden die meisten Autos in bequemen Sesseln mehrere Menschen mit sich führen, die Zeitung lesen oder Mails beantworten. Da selbstfahrende Autos keine Breitreifen mehr brauchen, keine Sportauspuffe mehr haben und auf Menschen Rücksicht nehmen, wird sich die Koexistenz im Ortskern weiter verbessern, ohne Umfahrung.
Noch aber ist es nicht soweit. In der Zwischenzeit quälen sich die automobilen Massen durch die Ortskerne, jeder mobilen Vernunft trotzend. Man argumentiert damit, das Emmental brauche diese Art Verkehr und die dazu passende Umfahrung, um zu prosperieren. Doch der Standortvorteil der besseren Strassenanbindung ist eine zweischneidige Sache. Was dem einheimischen Gewerbe hilft, dient ebenso der Konkurrenz von ausserhalb. Eines aber weiss man mit Sicherheit: Die neue Strasse fördert Strukturen, die wir seit Jahren zu verhindern suchen: verstreute Gewerbegebiete, Einkaufszentren an den Hauptachsen und die Zersiedlung der Landschaft. Erst das Auto macht diese Formen von Wohnen, Einkaufen und Arbeiten möglich – ja inzwischen nötig. Damit verlieren unsere Dörfer nach und nach ihre Versorgungsfunktion. Neue Umfahrungsstrassen verändern unsere Ortskerne daher stärker als jede Stadtplanung. Wir entwickeln uns in Richtung einer automobilen Kultur, und man kann kaum erklären, warum dies ausgerechnet für rurale Räume wie das Emmental von Vorteil sein soll, die noch geprägt sind von traditionellen Dorfstrukturen.
Vielleicht muss man das Kapitel Umfahrungsstrassen als eine wenig erhellende Episode in der wechselvollen Geschichte der menschlichen Zivilisation abtun. Man schafft sich mit Symptombekämpfung einen Haufen neuer Probleme, ähnlich wie bei den damaligen Deponien, die man heute für viel Geld wieder ausgraben muss. Die Menschheit ist gelegentlich zu faul, echte Lösungen zu suchen. Sie lässt sich auf technische Spielereien ein, um von den eigentlichen Fragen abzulenken: Wie können wir mobil sein, ohne so viel Schaden anzurichten? Wie lassen sich unsere berechtigten Mobilitätsbedürfnisse decken, ohne so viele Menschen in Mitleidenschaft zu ziehen? Wie lässt sich eine Region entwickeln, ohne damit ihr Potential als Lebensraum zu schwächen?
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Paul Dominik Hasler ist Ingenieur ETH und betreibt seit 25 Jahren in Burgdorf das «Büro für Utopien». Er war u.a. beteiligt an der Entwicklung der Flanierzone, der «Velohochstrasse» und zweier Mitfahrsysteme.www.utopien.com
11. August 2016
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