Wie halten Sie's mit der Neutralität? (13)
«Alle Seiten anhören und zur Kenntnis nehmen. Jeder dem zugehört wird, hört auch den anderen zu. Bis jeder fertig ist!» Dreizehnter und letzter Teil der Antworten auf unsere Leserumfrage. Danke!
Was bedeutet es für Sie heute, neutral zu sein? Was wünschen Sie – oder fordern Sie von der Politik? Dürfen wir uns heraushalten aus Kriegen? Welche politische Haltung finden Sie angebracht – für die Schweiz oder für Deutschland – auch angesichts der ökonomischen Verflechtungen und Bündnisse? Welche Einflussnahme hat ein neutraler Staat heute?
Danke für die vielen, auch kontroversen Antworten, von denen wir auch heute einige veröffentlichen...
Welche Konsequenzen?
Eine gute Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Kann ich einfach zusehen, wie andere Leute unterdrückt oder sogar abgeschlachtet werden oder muss ich Partei ergreifen? Was kann ich tun und was sind die Konsequenzen für einen selber, manchmal sogar für die eigene Familie oder für die ganze Schweiz? Ja – ich denke, es lohnt sich, darüber nachzudenken. Sicher ist keine einfache Antwort möglich, will man sich nicht fanatisch oder verbohrt und mit Scheuklappen für eine Seite entscheiden oder nur die Vorteile aus der Situation ziehen.
Für die Schweiz, und das gilt wahrscheinlich für alle Staaten, muss die Regierung abwägen, wie man sich politisch zu einem Konflikt stellen will. Gilt es, die Interessen einer kleinen Gruppe von Geschäftsleuten zu schützen, die von einem fragwürdigen Geschäftssystem profitieren? Oder kann der Bevölkerung zugemutet werden, auch negative Konsequenzen zu tragen? Wieviel Wohlstand sind wir bereit, für ein sauberes Gewissen zu opfern? Was darf es also kosten, nicht neutral zu sein? Diese Fragen sind öffentlich zu diskutieren, wobei hier wohl eine klare Trennlinie zwischen Profitdenken und humanistischer Einstellung verläuft.
Was ich erstaunlich finde, ist die Haltung der Bundesrepublik Deutschland. Diese scheint mir noch wankelmütiger zu sein als der Blindflug der Schweiz. Immer wieder frage ich mich, wie es passieren kann, dass ein Volk, das zwei blutige Weltkriege mitzuverantworten hat, überhaupt auch nur im Traum darauf kommt, Konflikte mit Waffen lösen zu wollen. Ich hatte grösste Hochachtung von den Friedensmärschen in Deutschland, die sogar Hunderttausende mobilisieren konnten. Was ist nur von diesem Geist geblieben, der Deutschland durchzogen und sogar eine Regierung zum Rücktritt gezwungen hat?
Heute liefern unsere nördlichen Nachbarn sogar wieder Waffen nach Saudi Arabien, Panzer in ein Kriegsgebiet und vernebeln das teilweise mit der «Verantwortung», die das Land wieder übernehmen sollte. Das alles sogar mit einer Ampelkoalition, wo die roten und grünen Partner eine Kröte nach der anderen schlucken, welche ihnen von der Juniorpartnerin in den Hals gestopft wird. Offensichtlich verfangen die angstdurchtränkten, bluttriefenden und hetzerischen Töne, einer in allen Parteien im Bundestag vertretenen Fraktion, die auch mal an den Grenzen der Wahrheit für ihre kriegslüsternen Ziele in jeder zweiten Talkshow wirbt. Das finde ich abstossend und erinnert an eine dunkle Zeit in Europa.
Zur Schweiz: Auch hier gibt es eine grösser werdende Stahlhelmfraktion, die sich selber möglichst aus jedem Konflikt heraushalten will, um noch lukrativere Geschäfte zu machen. Mit einem der grossen Finanzplätze der Welt hätten wir eine riesige Hebelwirkung auf die Politik. Allerdings muss man sich im Klaren sein, dass ein «Geschäft» im Einzelfall nur ein Mausklick von einem asiatischen Bankenplatz entfernt ist. Wir Schweizer sind so sehr auf unseren Wohlstand fixiert, dass es häufig schon schmerzt. Und die offizielle Haltung trägt leider auch nichts dazu bei, dass der Kurs erträglicher und verständlicher wird. Wortreich versucht die offizielle Schweiz, ihre Haltung zu erklären, und sieht sich offensichtlich in der Rolle des ertappten naschenden Kindes, das mit hochrotem Kopf nach Ausflüchten sucht. Mit einer unübertrefflichen Nonchalance klopfen wir uns auf die Schultern und sprechen uns von jeder Schuld frei, weil wir zu den Guten gehören.
Könnten wir uns mit der Mücke verständigen, so würden wir vernehmen, dass auch sie mit diesem Pathos durch die Luft schwimmt und in sich das fliegende Zentrum dieser Welt fühlt. (F. Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn)
Kurt Stöckly
Wir DÜRFEN nicht nur neutral sein, sondern wir MÜSSEN (es lernen)!
Neutral ist so etwas vielschichtiges und dennoch Transparentes
Neutral geht weder nach rechts noch nach links
Weder nach oben noch nach unten
Weder bevorzugt es Etwas noch Jemanden
Doch kann neutral auch etwas verwischtes, unsicheres, farbloses sein,
wenn man sich einfach entziehen und nicht präsent sein will.
Neutral ist/hat keine Meinung.
Wenn ich eine Meinung habe und die fest glaube, bin ich festgefahren.
Und kann nicht neutral sein, weil ich dann die Meinung des anderen nicht neutral sehe.
Könnte Neutral so sein?
Offen sein!
Alle Seiten anhören und zur Kenntnis nehmen.
Bestätigen: ich höre!
Die eventuelle eigene Meinung hinterfragen, im Stillen oder verbal.
Jeder dem zugehört wird, hört auch den anderen zu. Bis jeder fertig ist!
Hören mit offenen Sinnen, ohne Werten.
Dann die Frage: Was können wir tun, gemeinsam?
Wieder hören und nicht werten.
Im Alltag üben, damit bei Konflikten schon Erfahrung da ist.
Charlotte Wehrli, Ourique (Portugal)
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