Wird die EU-Ausbildung für ukrainische Offensivsoldaten als Kriegseintritt gewertet?

Der EU-Ausbildungseinsatz für 15.000 ukrainische Soldaten startet in Kürze. Trainiert wird auch für Offensiven gegen die russisch besetzten Gebiete.

Die EU trägt mit ihrem kurz bevorstehenden Ausbildungseinsatz für ukrainische Soldaten gezielt zur ukrainischen Offensive gegen die von Russland besetzten Gebiete bei. Das geht aus den am Wochenende bekannt gewordenen Details zu dem EU-Trainingseinsatz hervor, der am Montag nächster Woche beschlossen werden soll.

Insider hatten bereits vor geraumer Zeit darauf hingewiesen, dass die ukrainischen Streitkräfte sich in den vergangenen Jahren auf Defensivtaktiken zur Abwehr eines russischen Angriffs spezialisiert hatten, jetzt aber offensive Fähigkeiten benötigen, um russische Stellungen zu erobern.

In Großbritannien trainieren ukrainische Soldaten schon heute den Häuserkampf, um Städte wie etwa Cherson einnehmen zu können. Weitere Kompetenzen sollen ihnen Ausbilder aus EU-Staaten vermitteln, darunter Soldaten der Bundeswehr.
Die Frage, ob damit die Schwelle zum aktiven Kriegseintritt überschritten ist, stellt sich nun mit neuer Dringlichkeit. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem mutmaßliche Sabotageakte in Deutschland einen Bundeswehrgeneral zu der Äußerung veranlassen, man befinde sich in der Schwebe zwischen Frieden und Krieg.

Die militärische Ausbildung ukrainischer Soldaten findet in Europa bislang auf rein nationaler Ebene statt. Die umfangreichsten Aktivitäten entfaltet bisher Großbritannien, dessen Trainingsprogramm Operation Interflex inzwischen rund 5.000 ukrainische Militärs durchlaufen haben; zur Unterstützung haben mehrere NATO-Staaten sowie Neuseeland Militärausbilder in das Vereinigte Königreich entsandt.

Geplant ist zunächst, gut 10.000 Ukrainer zu trainieren. Eine etwaige Verlängerung der Maßnahme wird zur Zeit positiv bewertet. Frankreich räumt offiziell nur ein, rund 40 ukrainische Soldaten in den Gebrauch der Haubitze Caesar eingewiesen zu haben; allerdings bestätigen Insider, man führe auch spezialisierte Trainingsprogramme durch, gebe diese nur nicht offiziell bekannt. …

Eine zentrale Rolle kommt demnach zwei Einsatzhauptquartieren zu, von denen eines in Polen, das zweite in Deutschland angesiedelt werden soll. In Polen sind Trainingsmaßnahmen in der Cyber-, ABC- und Luftabwehr geplant, aber auch im Artillerieeinsatz.[4] In Deutschland stehen, wie es heißt, Minenräumen und Taktikschulungen im Vordergrund.…

Die Bundesregierung hatte nach Kriegsbeginn zunächst gezögert, die Bundeswehr mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten zu beauftragen, weil unklar war, ob dies als Kriegseintritt gewertet werden kann.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kam Mitte März in einer Analyse zu dem Schluss, Waffenlieferungen seien unbedenklich; wenn man allerdings „auch die Einweisung der Konfliktpartei“ in den Gebrauch der gelieferten Waffen leiste, „würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen“.

Zwar gibt sich das Verteidigungsministerium gewiss, dies sei nicht der Fall; Justizminister Marco Buschmann wird mit der Einschätzung zitiert, „95 Prozent der Völkerrechtswissenschaft“ erklärten Ausbildungsmaßnahmen für absolut unproblematisch. Allerdings weckt erstens die Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags Zweifel daran; zweitens ist unbekannt, welche völkerrechtliche Auffassung Russlands Regierung vertritt.

Dies hatte die Bundesregierung zunächst dazu bewogen, zumindest einer Ausweitung der militärischen Trainingsmaßnahmen einzelner EU-Staaten zu einem umfassenden EU-Ausbildungseinsatz eine Absage zu erteilen. Davon ist Berlin jetzt abgerückt.

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German Foreign Policy: Zwischen Frieden und Krieg, 10.10.2022