All-Inclusive – Wochenendtrip in den Kosmos
In der Samstagskolumne macht sich Henry Sperling Gedanken über alles – im Speziellen über das All. Und warum nur alle dahin wollen.
Juri Glagarin, Kosmopilot und interstellarer Spacefluencer für orbitalen Content. Foto: KI generiert
Juri Glagarin, Kosmopilot und interstellarer Spacefluencer für orbitalen Content. Foto: KI generiert

Es ist eine Weile her, da habe ich mal mit einer sechsköpfigen Crew eine Yacht von Mallorca nach Barcelona überführt. Die Überfahrt war alles andere als «eine Seefahrt, die ist lustig». Der Wind peitschte uns mit acht Beaufort frontal ins Gesicht, und bei jeder Welle schien unten im Cockpit alles durcheinanderzufliegen.

Als mein Segelkollege der Nachtwache oben an Deck plötzlich der Seekrankheit anheimfiel, sich an der Reling festkrallte und dabei die Möwen fütterte, wusste ich: Das ist vermutlich die teuerste Art der Welt, um möglichst unbequem zu reisen.

Dachte ich.

Aber es geht noch unbequemer. Und noch teurer. Gerade eröffnet sich der Welt ein ganz neues Reiseformat und das nicht mehr nur in Science-Fiction-Serien: der Weltraumtourismus.

SpaceX, Blue Origin, Virgin Galactic und Axiom Space bieten inzwischen schwindelerregende Kurztrips ins All für gelangweilte Milliardäre, Prinzen, Influencer mit Designerlabel-Sucht und den ein oder anderen Alt-Astronauten im Unruhestand.

Was früher mit Worten wie «Raumfahrt», «Wissenschaft» und «Heldentum» verknüpft war, heisst heute: Urlaub in Schwerelosigkeit und gefriergetrocknete Bolognese. Alles ab 250 000 Dollar aufwärts, je nach Flughöhe und Dauer.

Wo sonst haben Sie die Gelegenheit, zuzusehen, wie Ihre eigene Windel zur Sternschnuppe wird?

Aber bevor es überhaupt losgeht, müssen die angehenden Orbittouristen erst mal ins Vorabtraining. Schliesslich muss der verweichlichte Grossstadtkörper auf galaktische Zustände vorbereitet werden.
Das Trainingsgerät der Wahl heisst Zentrifuge, eine Art menschenfreundlicher Betonmischer mit Schleudertrauma-Garantie.

Darin wird man wie ein schlecht verzurrter Zementsack im Kreis durch die Gegend gebeutelt, nur damit man eine leise Ahnung davon bekommt, wie es sich anfühlt, bei fünffacher Erdbeschleunigung (5G) in den Sitz gepresst zu werden.

Plötzlich wiegt man statt 75 Kilo gefühlte 350, der Kopf verwandelt sich in eine Bowlingkugel und das Einzige, was sich noch bewegt, ist das eigene Selbstmitleid. Jetzt wird auch klar, warum die Helme da oben aussehen, als hätte man eine Christbaumkugel auf ein Michelin-Männchen geschraubt.

Und der Gesichtsausdruck, den sie dann haben? Unbezahlbar. Ab 4G wird aus dem stolzen Astronautenanwärter ein nasser Dackel der bei 250 km/h aus dem Fenster schaut. Der Moment, in dem jedes Profilbild fürs Internet endgültig für die Tonne ist.

Und apropos Würde. Falls Sie bis hierhin noch nicht Ihre verloren haben und das Mittagessen überraschenderweise dort geblieben ist, wo es hingehört: Beim Start bekommen Sie trotzdem eine XXL-Windel verpasst. In Raumfahrerjargon «Maximum Absorbency Garment», was klingt wie eine Mischung aus Militärtechnik, Staubsaugerbeutel und Tamponwerbung. Die ist Pflicht. Es geht schlicht darum, dass niemand in der Schwerelosigkeit herausfinden will, was passiert, wenn Blase, Magen und Gravitation gleichzeitig kapitulieren.

Also, ab geht die Post: Für schlanke 55 Millionen Dollar pro Person schiesst man Sie in Richtung Iss, quasi Pauschalurlaub mit 400 Tonnen Kerosin unterm Sitz, den Sie an keiner Tanke bekommen.

Nach ungefähr zwölf Minuten Flug und einem Verbrauch von 125000 Liter auf 100 Kilometer docken Sie an und schweben in eine fliegende Blechdose, die entfernt an eine Mischung aus Zahnarztpraxis, Wohnwagen und Hochsicherheitslabor erinnert.

Aber hey, schlimmer als ein 3 Sterne Hotel mit Gemeinschaftstoilette in Lloret de Mar wird’s nicht, denken Sie. Warten Sie es ab. Zur Begrüssung gibt’s erst mal das festliche Willkommensdinner: eine Protein-Pampe aus dem Alubeutel, mit der Konsistenz von Knetmasse und dem Geschmack von feuchtem Karton nach einem Regenguss auf dem Festivalgelände.

Davor möchten Sie sich eigentlich noch frisch machen? Kein Problem. Duschen heisst hier: sich mit Feuchttüchern abreiben und beten, dass der eigene Geruch im Luftfilter verschwindet, bevor er andere Mitreisende zur Flucht in den Orbit treibt.

Und plötzlich verstehen Sie auch, warum Darth Vader so schwer atmet. Kein Wunder, der Mann hatte wahrscheinlich einfach auch nur schlechte Tubennahrung und eine feuchte Serviette im Helm.

Kommen wir zum Zimmerservice. Ernüchternd: Hotel Mama hat definitiv geschlossen.
Ihre alten Socken, die an Ihnen vorbeischweben, müssen Sie selbst wieder einfangen. Putzen dürfen Sie auch, inklusive Müll aufsammeln und in eine Kapsel stopfen, die dann ordentlich verschlossen abgekoppelt wird, in Richtung Erde zischt, wo sie beim Wiedereintritt als galaktische Müllverbrennung spektakulär in der Atmosphäre verglüht.

Hier muss ich gestehen, steckt sogar ein Hauch Romantik drin. Denn wo sonst haben Sie die Gelegenheit, zuzusehen, wie Ihre eigene Windel zur Sternschnuppe wird?

Apropos Romantik. Ein Ort stiller Einkehr, kontemplativer Meditation und Raum für grosse Gefühle ist das Kuppelmodul mit seinen sieben Fenstern, dem Panoramaausblick der Iss.

Hier kann man wirklich die Erde von oben bestaunen, wie auf einem Hochsitz im Rantzauer Forst. Dort beginnt dann wahrscheinlich täglich um 06:00 Uhr das kosmische Handtuchwerfen: Liege sichern, Fensterplatz erkämpfen, wie am Hotelpool auf Mallorca. Und mit 16 Sonnenauf- und -untergängen pro Tag, bekommen sie auch noch einen Dauerjetlag wie auf einem Ayahuascatrip.

Die Frage ist, ob Sie den erkämpften Platz wirklich behalten. Denn da ist Kolja Turbolew, ehemaliger russischer Hammerwerfer und Iss-Hausmeister, bei dem man nie weiss, ob er gleich putzt oder plättet. Seit seiner Dauer-Viertplatzierung (Blechmedaille) nach den Olympischen Spielen 1992 ist er verbittert wie ein leerer Wodkakrug.

Seine Schwerkraft kann man hier im All zwar nicht messen aber man spürt sie. Zum Beispiel, wenn er sich mit seiner rechten Riesenhand vor einem aufbaut. Glücklicherweise wiegt die hier oben nur zwei Gramm.

Trotzdem möchten Sie es sich mit ihm nicht verscherzen. Denn Sie schlafen zusammen in einem «Zimmer». Beziehungsweise: Sie hängen, angeklettet an der Wand, jeder mumifiziert in einem Schlafsack.

Wie eine gepökelte Kieler Sprotte, die bis zum Verkauf zum Durchtrocknen aufgehängt wurde,
versuchen Sie nun, das 70-Dezibel-Dauerrauschen von Lüftungs-, Kühl- und Wasserpumpensystemen auszublenden. Immerhin: Sie können nicht aus dem Bett fallen. Weil es keins gibt.

Und denken Sie ja nicht, sie könnten die schlaflose Zeit mit Netflix oder dem Stoff irgendeiner Onlinemediathek überbrücken. Sie haben zwar WLAN aber es ist so, als würden Sie in einem 90er-Jahre-Internetcafé in Kasachstan sitzen. Oder auch: fünfmal schlechter als im ICE.

Gut, dafür sind sie 27.000 km/h schnell. Aber wem nützt das, wenn der Ladebalken so langsam kriecht, dass man zwischen zwei Frames einen Vollbart wachsen lassen könnte.

Und nach zwei Tagen Herumgekurve im All, ganz ohne galaktischen Auftrag, geht’s dann auch schon wieder zurück zur Erde. Natürlich «würdevoll» mit Windel, wie beim Start.

Die Kapsel trennt sich von der Station, tritt in die Atmosphäre ein und wird dabei durchgerüttelt wie ein Traktor bei Vollgas über das Kopfsteinpflaster von Gross Lüsewitz.

Wenn alles gut läuft, landen Sie irgendwann mit einem grossen Plumps im Pazifik. Dort werden Sie dann, von einem Bergungsschiff aufgesammelt und nach Hause geschippert. Hoffen Sie, dass kein Orkan tobt und die Besatzung von «Uss Sea You Later» nicht seekrank ist.

Und wenn Sie das alles heil überstanden haben, samt Protein-Pampe, Schlafmangel, Koljas Faust und Zentrifugalkräften der Hölle, dann fallen Sie Sonntagabend endlich in Ihr Bett. Gerührt, erschöpft, glücklich. Und hoffen einfach, dass Sie noch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Denn am Montag geht die Arbeit auch schon wieder los.

Also wenn Sie mich fragen: Ich bleibe beim Campingplatz in Grömitz. Da hat man wenigstens WLAN, eine Dusche und wenn einem duselig werden mag: «Schlockes Bierstube». Für Schwerelosigkeit reicht mir schon mein Kontostand am Monatsende.

Houston, ich bleib hier.


P.S.: Quallenangaben:
Dies ist Satire. Die darin enthaltenen Fakten über Trainingsmethoden, technische Abläufe und Bedingungen an Bord basieren jedoch auf realen Berichten und offiziellen Quallen.¹ Leider. Lediglich die Figur «Kolja» ist frei erfunden. Sollte er dennoch auftauchen, sagen Sie ihm bitte, dass es nicht persönlich gemeint war.

¹ Quallen u. a.: NASA- und ESA-Webseiten, Erfahrungsberichte echter Astronauten und -innen, Medienberichte zu kommerziellen Raumflügen.

Henry Sperling

Henry Sperling
Henry Sperling

Henry Sperling ist Autor, Maler, Illustrator, Filmemacher, Produzent, Verleger und Musiker. 
Henry ist an den Stränden des Arbeiter- und Bauernstaates groß geworden und hat dort u.a. Aufrechtgehen, Schreiben, Sprechen und Segeln gelernt. In der Sportschule traf er auf Kati Witt und einige schwergewichtige Schwimmerinnen mit tiefen Stimmen. Bereits mit sechzehn entsagte Henry dem plagenden Leistungs- und Kaderleben – und lernte nebenbei was Anständiges, nämlich Elektromechaniker. Der nächste biografische Bruch: Nach pflichtgemäßem NVA-Aufenthalt wurde Henry bekennender Pazifist und verlieh seinem Protest jahrelang und lautstark als Metal-Schlagzeuger Ausdruck. Als die Mauer gefallen war, frönte er kurz seinem eigenen Turbo-Kapitalismus und wurde Vertreter bei – ausgerechnet! – Nestlé. Kurze Zeit später erkannte er den Wahnsinn und flüchtete – diesmal über eine innere Mauer. Er entfleuchte dem potentiellen Geldheuhaufen und machte sich auf den Weg nach Hamburg, um sich dort zunächst als Kabelfernsehverleger durchzuschlagen. Danach als Praktikant in einem großen Tonstudio. Schließlich baute er das eigene Tonstudio „Gentle Art“ auf, um selbstständiger Produzent für Musik, Radio und TV zu werden und reifte im Zuge dessen auch zum Autor für verschiedene Medienformate und zum kreativen Filmemacher. Er war sieben Jahre lang  mitverantwortlich für die kultige Miniserie „Neulich im Bundestag“ bei Extra3 (ARD/NDR). 
Das TV-Talkformat „Tiefsehtauchen“ trägt seine Handschrift in der Bild- und Schnittästhetik. 
„Wullefump- Die Reise ans Meer“ ist Henrys Debut als Kinderbuch-Autor. Das Buch wurde mit dem „Buchkönig“- Buchpreis ausgezeichnet. Zuvor schrieb und produzierte er bereits Kinder-Hörspiele unter anderem um „Käpt´n Wattenschnack“. 
Henry ist und blieb und bleibt außerdem Drummer, Zeichner, Musik- und Buchverleger, erfolgreicher Gemüsezüchter und Sinnsucher.

www.schwarzweissradio.de

www.gentleart.de

Newsletter bestellen