Der grüne Robert Habeck hat die Wahl in seinem Wahlkreis gegen die CDU-Kandidatin Petra Nicolaisen verloren – und erhält trotzdem ein Mandat im Bundestag. In Augsburg verliert die ehemalige Grünen-Chefin und jetzige Staatsministerin Claudia Roth gegen ihren Rivalen Volker Ullrich, bleibt aber im Bundestag. In 21 weiteren Wahlkreisen sind die Gewinner in Tat und Wahrheit die Verlierer: 18 Kandidaten der CDU/CSU, vier von der AfD, aber nur ein SPDler und kein Grüner sind betroffen.
Die Antwort auf die schwer verständlichenWahlergebnisse liefert das komplizierte deutsche Wahlrecht, das durch eine Revision der Ampelregierung noch undurchsichtiger geworden ist.
In Deutschland gibt es bei der Bundestagswahl zwei Stimmen:
- Mit der Erststimme wählt man einen Kandidaten in einem der 299 Wahlkreise. Wer am meisten Stimmen erhält, zieht – im Prinzip – mit einem sog. Direktmandat in den Bundestag ein.
- Mit der Zweitstimme wählt man die bevorzugte Parteiliste im jeweiligen Bundesland. Die Zweitstimme entscheidet über die Sitzverteilung der Parteien im Bundestag.
Das von der Ampelregierung durchgeboxte neue Wahlrecht koppelt die Direktmandate an das Zweitstimmenergebnis einer Partei. Wenn eine Partei weniger Sitze im Bundestag beanspruchen kann, als sie Direktmandate gewonnen hat, können Gewinner von Direktmandaten leer ausgehen.
Das neue System bevorzugt die bevölkerungsreichen städtischen Wahlkreise mit höherem Anteil an linken und grünen Wählern und benachteiligt die ländlichen, eher bürgerlichen Wahlkreise.
Ein gewonnenes Direktmandat geht ebenfalls verloren, wenn die Partei des Kandidaten die Fünfprozenthürde im Bundesland und in Gesamtdeutschland verfehlt; kommt aber selten vor.
Für grosse Diskussionen mit vermutlich höchstgerichtlichen Folgen sorgten bei dieser Wahl die Stimmen der im Ausland lebenden Deutschen. Von insgesamt drei bis vier Millionen haben allerdings nur 200’000 den Weg durch die Bürokratie gefunden und sich als Wählende registriert.
Aber selbst die registrierten Wählerinnen und Wähler erhielten ihre Unterlagen so spät, dass sie nicht an der Wahl teilnehmen konnten. Betroffen sind vor allem die AfD – denn viele Auslanddeutsche dürften ihrem Staat eher kritisch gegenüberstehen.
Betroffen ist aber auch das Bündnis Sahra Wagenknecht, das den Einzug in den Bundestag um rund 13’000 Stimmen verfehlte. Die Sache wird vermutlich die höchsten Richter in Karlsruhe beschäftigen – ein potenziell gefährlicher Schatten über der Regierung, die Friedrich Merz jetzt bildet. Oder gar ein Damoklesschwert.
Ebenfalls wichtig ist das grosse Übergewicht der Parteien im deutschen Wahlrecht. Gewählt werden nämlich die jeweils obersten Namen auf der Parteiliste.
Wer von der Parteileitung weiter unten platziert wird, hat kaum Chancen, gewählt zu werden. Dies ist der Grund für die hohe Parteidisziplin und die geringe Zahl von Aussenseitern und Abweichlern im Bundestag.
Wenn die deutschen Wähler eine echte Wahl hätten, würden auch unabhängige Kandidaten mit freier Meinungsbildung gewählt, und die Brandmauer hätte wegen fehlender Parteidisziplin keine Chance.
Dass jetzt zwei Verlierer-Parteien die Regierung bilden können, die das schlechteste (SPD), bzw. das zweitschlechteste Ergebnis (CDU/CSU) seit Gründung der Bundesrepublik erzielten, ist ein deutliches Zeichen, dass das deutsche Wahlrecht das Ende seiner Laufzeit erreicht hat und eine demokratische Erneuerung braucht.
Wie wenig der Wählerwille gilt, zeigte der mutmassliche künftige Bundeskanzler Friedrich Merz 24 Stunden nach der Wahl. Während er an der letzten Veranstaltung am Vorabend der Wahl noch eine solide Haushaltsdisziplin anmahnte, «um Deutschland wieder auf die Beine zu bringen», tönte es zwei Tage später ganz anders.
Plötzlich soll wieder über die Schuldenbremse und ein «Sondervermögen für die Ukraine» (neudeutsch für Schulden) verhandelt werden, und zwar so schnell wie möglich. Denn im neuen deutschen Bundestag verfügen AfD und Linke zusammen über mehr als zwei Drittel der Sitze und damit eine Sperrminorität bei verfassungsändernden Gesetzen. Dabei zählten die Schuldenbremse und Sondervermögen zu den Themen, die die Ampel stürzten.
Armes Deutschland: 84 Prozent gingen zur Wahl und zeigten deutlich, dass eine Änderung der Politik gewünscht wird. Sie werden dasselbe wie bisher bekommen, vielleicht ein bisschen weniger Klimastress und aussenpolitische Fettnäpfe. Aber Frieden wird es mit dieser Regierung so schnell nicht geben.
Es sei denn, der Frieden komme ihr zuvor und bringe die Kriegstreiber zu Fall. Denn die bevorstehende Niederlage der Ukraine wird keine Regierung heil überstehen, die den Krieg unnötig verlängert hat und grossen Schaden über das eigene Land gebracht hat.