Auf dem Weg zum Weltstaat

Unser Geld will die Macht. Der emeritierte St. Galler Ökonomieprofessor Hans Christoph Binswanger über die Wirkung von Eigentum und politischer Macht.

Die Tendenz zur Bildung eines Weltstaats folgt einer ökonomischen Logik. Diese Tendenz steht in besonderem Zusammenhang mit der Einführung des Geldes als Basis der Marktwirtschaft.

Das Geld strebt seinem Wesen nach grenzenlose Geltung an. Warum? Es ist ein stellvertretendes Gut, das heisst ein allgemeines Tauschmittel, das der Verkäufer eines Gutes entgegennimmt, weil er weiss, dass er es später für den Kauf eines anderen Gutes weitergeben kann. Damit wird der Nachteil des Naturaltauschs überwunden, der darin besteht, dass jeder Tauschende einen Partner finden muss, der nicht nur sein Gut begehrt, sondern seinerseits auch das Gut anbietet, das er selber begehrt. Wenn das Geld als allgemeines Tauschmittel eingeführt wird, können sich separate Märkte für einzelne Güter entwickeln, in denen sich Anbieter und Nachfrager treffen, ohne dass sich der Anbieter darum kümmern muss, wofür er das Geld, das er gerade verdient, später ausgeben wird. Auch der Nachfrager muss keine Rücksicht darauf nehmen, womit er das Geld verdient hat, das er jetzt ausgibt. Dies erhöht die Chancen des Austauschs und damit auch die Nutzung der eminenten Vorteile der Arbeitsteilung durch Unternehmungen im arbeitsteiligen Prozess.

Das Ausmass dieser Vorteile hängt allerdings davon ab, wie universal die Geltung des Geldes, das heisst, wie gross das Gebiet ist, in dem man mit dem gleichen Geld zahlen kann. Wenn man nicht überall mit dem gleichen Geld zahlen kann, wenn es also in verschiedene Währungen aufgeteilt ist, wird der Markt durch die möglichen Änderungen der Wechselkurse zwischen den Währungen und die sich daraus ergebenden Risiken gestört. Daher besteht ein unwiderstehlicher Anreiz zur Universalisierung des Geldes, damit diese Risiken verschwinden und die Vorteile des Markts und der damit verbundenen Arbeitsteilung voll zur Geltung kommen können.


Das dem Geld inhärente Streben nach Universalisierung allein würde allerdings noch keine Weltstaatbildung nötig machen. Das Geld hatte nämlich schon bei seiner Einführung in Vorderasien und Griechenland vor circa 2700 Jahren einen universellen Charakter, ohne dass ein Weltstaat existierte. Der universelle Charakter des Geldes ergab sich daraus, dass das Geld aus Gold- oder Silbermünzen bestand und dass Gold und Silber von Natur aus als Edelmetalle mit hohem Eigenwert eine universelle Geltung hatten. Die von Land zu Land unterschiedliche Ausprägung der Münzen spielte nur eine untergeordnete Rolle. Dies änderte sich jedoch durch die Einführung der Banknoten, das heisst des Papiergeldes. Das Papiergeld hatte ja keinen eigenen Wert und konnte sich nur durchsetzen, weil es vom Staat zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt wurde. Daraus ergab sich eine Aufteilung des Geldes in nationale Währungen, weil Gesetze nur innerhalb eines Nationalstaats verbindlich gemacht werden konnten.

Der Übergang vom universalen Gold- und Silbergeld zum Papiergeld wurde vor allem dadurch veranlasst und ist heute noch dadurch veranlasst, dass die Staaten immer mehr Geld benötigen, um ihre Machtansprüche durchzusetzen, aber auch, um dem Markt durch die Finanzierung immer neuer Investitionen ständig neue Chancen zu eröffnen. Diesem Drang zur Expansion von Macht und Markt stand der beschränkte Umfang der Gold- und Silbermenge im Wege. Die wachsende Nachfrage nach Geld liess sich aber durch das Drucken von Banknoten befriedigen, also durch die Schaffung von Papiergeld. Die Banknoten waren zwar zuerst noch in Gold oder Silber einlösbar. Als aber das Bedürfnis nach Vermehrung der Geldmenge immer stärker in den Vordergrund rückte, wurde die Einlösbarkeit der Banknoten immer weiter eingeschränkt und schliesslich ganz aufgehoben. Die Geldschöpfung in Banknoten wurde zudem ergänzt durch die Geldschöpfung in Buchgeld, das aus den Sichtguthaben bei den Banken besteht. Diese können zwar in Banknoten, aber, ebenso wie die Banknoten selbst, nicht mehr in Gold oder Silber eingelöst werden.

Die Attraktion zur Geldschöpfung ist so gross geworden, dass an eine Rückkehr zur Gold- und Silberwährung und eine Universalisierung des Geldes auf diesem Wege nicht mehr zu denken ist. Ein Zwischenschritt zur neuen Universalisierung ist die Gründung von Währungsunionen, wie sie die Europäische Währungsunion darstellt. Solche Unionen sind aber, weil ihnen die echte staatliche Grundlage fehlt, auf Dauer nicht funktionsfähig. Eine dauerhafte Universalisierung des Papier- und Bankgeldes setzt vielmehr die Gründung eines Weltstaats voraus, der imstande ist, die nötigen gemeinsamen gesetzlichen Grundlagen für eine Weltwährung zu schaffen, also Universalisierung und Geldschöpfung zu verbinden.
Damit wird allerdings die Frage umso bedeutsamer, über welche Zwischenstufen der Weg zum Weltstaat führt und ob dieser Weltstaat gegebenenfalls eher ein föderales oder imperiales Gebilde sein wird, weil die Vorteile der Geldschöpfung und damit des Marktes im einen oder im anderen Fall sehr unterschiedlich verteilt sein werden.

Zudem stellt sich die Frage, wie der Weltstaat mit der Tatsache umgehen wird, dass zwar die Geldschöpfung unendlich weitergehen und damit der Umfang der Investitionen, die mit dem Geld finanziert werden, immer weiter gesteigert werden kann, die Welt aber endlich ist und damit die natürlichen Ressourcen, die in der Welt vorhanden sind und im Investitionsprogramm verbraucht werden, schliesslich immer knapper werden.
Es ist anzunehmen, dass es zu einer weltweiten Rationierung der Ressourcen und zu einer entsprechenden Einschränkung der Eigentumsrechte kommen wird, die eine weitere weltstaatliche Gesetzgebung erfordert.


Zusammenfassend ist festzustellen, dass wir uns schon seit der Ablösung des Stammesprinzips durch das Staatsprinzip auf dem Weg zur Gründung eines Weltstaats befinden. Dies ist durch die politische Logik des Staates als Rechtsgemeinschaft und durch die ökonomische Logik des Marktes als Geldgemeinschaft, deren gesetzliche Grundlage vom Staat geschaffen werden muss, vorgegeben. Allerdings kann der Weltstaat nicht am Reissbrett entworfen werden. Er ist nur auf dem Weg über verschiedene Zwischenstufen zu erreichen. Zudem kann er weder theokratisch noch in vollem Ausmass demokratisch legitimiert werden. Deshalb sind auf dem Weg zum Weltstaat, wie auch innerhalb einer künftigen Weltinnenpolitik, langwierige Auseinandersetzungen zu erwarten. Der Weltstaat wird daher auf jeden Fall ein hybrides Gebilde bleiben. Offen bleibt auch, ob er eher dem Erhalt beziehungsweise dem Ausbau bestehender Machtpositionen oder eher einer umfassenden Förderung des Gemeinwohls dienen würde.

Das Projekt des Weltstaats kann auch scheitern. Die Zielrichtung ist jedoch vorgegeben. Die Sachlogik einer Entwicklung ist der Willkür der jeweils handelnden Personen übergeordnet. Dies ist zu bedenken, wenn man sich ein Bild von der Entwicklung der künftigen Weltgeschichte machen und sich in dieser Entwicklung orientieren und an ihr beteiligen will.
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Der 87-jährige Hans Christoph Binswanger ist einer der grossen Ökonomen dieser Zeit und einer der wenigen Gelehrten der Schweiz, im Bild im Gespräch mit dem Zeitpunkt-Herausgeber Christoph Pfluger.
Der vorliegende Aufsatz ist der letzte Teil des Essays «Die Ursprünge des Staates und seine Entwicklung zum Weltstaat». Darin beschreibt der emeritierte St. Galler Ökonomieprofessor Hans Christoph Binswanger die Wirkung von Eigentum und politischer Macht. In der Zeit der Stammesherrschaft waren Besitz und politische Macht geeint in der Hand von Sippen und ihren Anführern. Die Römer schufen die rechtlichen Grundlagen für die Trennung von Eigentum und Macht. Das Eigentum wurde über Geld und Markt verwaltet, die Macht über demokratische Regeln. Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Regelkreisen bestimmen die Geschichte bis zum heutigen Tag und werden gemäss Binswanger in einer unbestimmten Zukunft zur Bildung eines Weltstaates führen – ein einfaches und schlüssiges Erklärungsmuster.

Der Essay «Die Ursprünge des Staates und seine Entwicklung zum Weltstaat» findet sich im lesenswerten neuen Buch Binswangers «Die Wirklichkeit als Herausforderung – Grenzgänge eines Ökonomen» (Murmann, 2016. 184 S., geb. Fr. 28.90/€ 20.–). Der Band enthält zwölf Aufsätze über die Magie des Geldes und ihre Wirkung auf die Welt.

Auf die Frage am letzten Zeitpunkt-Apéro, ob das Geld nun eher einer weissen oder schwarzen Magie entspringe, zitierte er das Neue Testament und den darin beschriebenen Schuldenerlass als Beispiel, wie unser Geldsystem mit weisser Magie gerecht gestaltet werden könne. «Die Ratschläge der Bibel zur Gestaltung der Wirtschaft zeichnen sich durch ihren Realismus aus.» Die Aktualität dieser Einschätzung ist unübersehbar.  Christoph Pfluger