Befreit die Liebe
Eine Beziehung, in der alles in völliger Freiheit geschieht und alles dadurch zum Geschenk wird, könnte eine lebenslange Liebesaffäre bleiben.
Wenn wir glauben zu lieben und geliebt zu werden, dreht es sich oft um nicht mehr als das ganz normale Chaos unseres Gefühlslebens. Nach der renommierten Anthropologin Helen Fisher ist leidenschaftliche Verliebtheit wie eine Sucht und Liebeskummer wie ein Drogenentzug. Der Mythos der romantischen Liebe, jene Art der Liebe, ohne die kein Popsong und kein Hollywoodfilm auskommen, überstrahlt unser Leben.
Wir wollen Beständigkeit und Freiheit zugleich. Die lebenslange Liebe in der Partnerschaft und Erotik mit vielen.
Fakt aber ist, dass die Scheidungsraten steigen! Romantische Liebe hat ein Verfalldatum. Die serielle Monogamie und die Patchwork-Familie sind zum Normalfall geworden und diese gesellschaftliche Instabilität ist oft problembehaftet. Wie bringt man nun die Liebe mit dem alltäglichen Leben zweier Liebender zusammen, wenn nicht gleichzeitig von der Selbstliebe und der Freiheit die Rede ist?
Verliebtheit wird von den meisten Menschen als rauschhaftes Glücksgefühl empfunden. Dieses Hochgefühl erleichtert die Vorstellung, sich auf eine monogame Beziehung einlassen zu können. Nach dieser absoluten Ekstase, welche beseelt ist von aussergewöhnlicher Energie, wachen viele auf. Der graue Alltag kehrt zurück. Wir merken, dass wir uns nicht mit einem Gott vermählt haben, sondern mit einem gewöhnlichen Menschen. Unsere Erwartungen wurden nicht erfüllt. Wir sind frustriert. Wir haben nichts als Bilder im Kopf aufgebaut. Anstatt diese Tatsache als Chance zur Selbsterziehung und zur Persönlichkeitsentwicklung wahrzunehmen, trennt man sich oft zu schnell und sucht den nächsten Mr. oder die nächste Mrs. Right! Blind-Dates sind das neue Gesellschaftsspiel schlechthin. Myriaden von Singles suchen auf Partnerbörsen die Liebe fürs Leben.
Die Suche nach dem perfekten Partner ist zur Ersatzreligion geworden. Zum Lebenssinn und Lebensglück hochstilisiert. Und dies nur, weil man nicht wahrhaben will, dass echte Liebe zunächst an unsere Bereitschaft und Fähigkeit appelliert, dem anderen Freiheit zu gewähren.
Die meisten von uns sind widersprüchlich. Wir wollen Beständigkeit und Freiheit zugleich. Die lebenslange Liebe in der Partnerschaft und Erotik mit vielen. So wahr wir einen Körper haben, so wahr ist das Paradies auf Erden für die meisten von uns von sinnlicher Natur und nicht platonisch. Die erotische Liebe spricht mit dem Körper, deshalb boomen die Erotik-Börsen im Internet. Männer wie Frauen, die in einer Partnerschaft leben, suchen gezielt den Seitensprung. Heimlich. Die Lüge boomt mit. Sie haben noch nicht erfahren, dass Wahrheit die Liebe nähren kann. Frieden = Befriedigung in die Beziehung bringen.
Männer und Frauen suchen gezielt den Seitensprung. Heimlich. Die Lüge boomt mit. Wir haben noch nicht erfahren, dass Wahrheit die Liebe nähren kann.
Wir werden die Probleme der menschlichen Liebesbeziehungen nicht lösen können, wenn nicht eine Evolution im Liebesbild geschieht. Wir sollten versuchen, die alten Strukturen mit Hilfe der Intelligenz zu verändern, neue Formen des Zusammenlebens kreieren und wir sollten nachdenken über die Fragen der Liebe. Ist dieses Sich-Einnisten in die Seele und ins Fleisch des andern Abhängigkeit oder Liebe? Ist es Liebe, wenn ich Sicherheit suche? Etwas zu tun, weil es meine Pflicht ist, weil es der Konvention entspricht – ist das Liebe? Muss ich manchmal untreu sein, um mir selbst wieder treu zu werden? Kann ich jemandem Empfindungen versprechen oder nur Handlungen? Ich kann lebenslang verheiratet und treu sein. Diese Handlung der Liebe kann ich versprechen. Kann ich auch meine Empfindungen und sexuellen Wünsche steuern? Wir glauben heute an die Machbarkeit fast aller Dinge, aber im Sexuellen und in der Liebe sind wir meistens noch durch die eingefleischten Muster der Vergangenheit belastet. Wäre es nicht an der Zeit, die uns von unseren Familien, unserer Kultur, den Religionen eingebläuten Verhaltensmuster abzustreifen? Sich einzugestehen, dass kein einzelner Mensch die ganze universelle Liebessehnsucht des andern erfüllen kann. Sich einzugestehen, dass die Zweierliebe oft in eine Sackgasse führt, könnte ein Schritt sein zu einem neuen Liebesmodell.
Es sollte endlich Klartext gesprochen werden:
• Die romantische Liebe ist vergänglich.
• Eifersucht sollte als Krankheit anerkannt werden, die der Heilung bedarf.
• Echte Partnerschaft und wahre Liebe basiert auf dem Prinzip der Freiheit.
Der Mensch und seine Bedürfnisse verändern sich laufend. Reife Liebe weiss, dass sexueller Kontakt zu einem Dritten kein Grund ist, sich zu verlassen, denn nur die sich verändernde Beziehung bleibt spannend und damit von Dauer.
Für mich ist wahre Treue gelebte Freundschaft, absolute Verbundenheit, Ehrlichkeit und konkrete Solidarität. Freie Liebe und Partnerschaft schliessen sich nicht aus. Ich muss meinen Partner nicht verlassen, wenn ich mich verliebe, denn ich weiss, dass das wunderbare Mysterium der Verliebtheit ein Verfalldatum hat. Ich muss meinen Partner nicht verlassen, wenn er seine erotischen Fantasien neben mir auch mit andern auslebt, denn Besitzanspruch und Eifersucht hat nichts mit Liebe zu tun, sondern nur mit meiner Angst, ihn zu verlieren.
Was ist denn Liebe anderes, als sich darüber zu freuen, wenn es dem andern gut geht und zu verstehen, dass der andere auch in andrer Weise als ich empfindet und lebt?
Wenn wir in unserem Verlangen und zur Erfüllung unserer Bedürfnisse nicht mehr auf den andern angewiesen sind, dann können wir dem Liebsten die Freiheit lassen, die er braucht. Die Liebe, die befreit ist von den Ansprüchen an den andern, könnte der Weg sein, um dem Ideal der wahren Liebe tatsächlich zu begegnen.
Die Autorin ist Künstlerin und lebt in Fribourg. www.wilma.ch
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