Braucht es die 13. AHV-Rente? Und ist sie finanzierbar?
Die AHV prognostiziert bis 2030 jährliche Gewinne von zwei bis vier Milliarden Franken und hat ein Vermögen von 50 Milliarden. Die Mehrkosten der 13. AHV-Rente von 4,1 Milliarden treiben die Sozialversicherungen nicht in den Ruin, wie die Gegner behaupten.
An diesem Wochenende wird über eine 13. AHV-Rente abgestimmt. Dass man mit einer durchschnittlichen Rente von 1874 Franken nicht wirklich leben kann, ist offensichtlich.
Die durchschnittlichen Mietkosten pro Person in der Schweiz betragen 633 Franken pro Monat. Dieser Betrag ergibt sich aus dem durchschnittlichen Mietpreis pro Wohnung von 1393 Franken und der durchschnittlichen Belegung von 2,2 Personen.
Zu den Mietkosten kommen noch die Krankenkassenprämien von knapp 400 Franken, zusammen 1060 Franken. Wie soll mit den restlichen 814 Franken der «Existenzbedarf» – das ist der Zweck der AHV – bestritten werden?
814 Franken für Essen, Kleidung, Mobilität, Telefon und vielleicht ein bisschen Vergnügen? Der Bedarf für eine 13. AHV-Rente scheint aus dieser Sicht angemessen.
Ist sie auch bezahlbar? Die Initianten sagen nicht, wie die 13. AHV-Rente finanziert werden soll. Das machen ihnen die Gegner zum Vorwurf.
Wie sieht das konkret aus? Die 13. Rente kostet nach Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen 4,1 Mrd. Franken. Der Gewinn der AHV liegt bis 2030 bei zwei bis knapp vier Milliarden. Die Kosten können also knapp gedeckt werden.
Die AHV hat aber ein Vermögen von rund 50 Milliarden, mehr als sie während eines ganzen Jahres auszahlen muss. Die 13. Rente ist also finanzierbar. Die Behauptung, sie würde die AHV ruinieren – der Begriff stammt übrigens nicht von Baerbock – trifft also nicht zu.
Die 13. Rente gibt der AHV eine weitere Aufgabe, deren Finanzierung ohne Stress im Zusammenhang mit anderen Reformen an die Hand genommen werden kann.
Ich lege also am Sonntag ein Ja in die Urne.
Wir sollten bei dieser ganzen Thematik das grundlegende Problem der Rentenfinanzierung nicht aus dem Auge verlieren. Die AHV ist ein Umlageverfahren: Rund zehn Prozent der gezahlten Löhne fliessen in die AHV, die das Geld an die Rentner weitergibt.
Die Gewinne der Firmen werden für die Finanzierung nicht herangezogen. Müssten sie aber. Warum?
Die grundlegenden Anreize im Kapitalismus liegen in der Erhöhung der Gewinne und der Senkung der Lohnkosten. Das ist die fundamentale Dynamik, die natürlich den Gesellschaftsvertrag erodiert.
Der Gesellschaftsvertrag besteht darin, dass die, die Geld verdienen, den Lebensunterhalt derjenigen bestreiten, die altershalber nichts mehr verdienen. Dafür kommen sie später in den Genuss derselben Leistung.
Die grundlegende Dynamik des Kapitalismus wird zwar etwas gebremst durch politische Vorstösse, zum Beispiel von Gewerkschaften, aber nicht in ausreichendem Mass.
In den meisten Ländern sinken die Reallöhne, in den USA seit den Reagan-Jahren, in der EU seit den Nullerjahren und in der Schweiz stagnieren sie – trotz Gewinnen bei der Produktivität.
Die Gewinne der Wirtschaft fliessen also den Vermögenden zu und nicht den Arbeitenden, die sie erwirtschaften.
Man müsste aus diesem Grund auch die Gewinne der Schweizer Firmen zur Finanzierung des Gesellschaftsvertrags, d.h. der AHV heranziehen. Und diese Gewinne sind beträchtlich, wie eine Studie der Hochschule St. Gallen zeigt. Gemäss den Daten haben allein börsenkotierte Schweizer Unternehmen zuletzt 92 Mrd. ökonomische Gewinne erzielt, ungefähr das Doppelte, was die AHV 2022 gekostet hat.
Natürlich sollte man auch die steuerfreien Kapitalgewinne der Privaten heranziehen, die ebenfalls die kapitalistische Dynamik zur Minimierung der Löhne verstärken.
Man sieht: Wir sind noch ein schönes Stück entfernt von sozialer Gerechtigkeit. Aber mit einem Ja am Sonntag haben wir schon etwas getan.
Links:
Bundesamt für Sozialversicherungen: Sinn und Zweck der AHV
Bundesamt für Statistik: Mietwohnungen (durchschnittlicher Mietpreis)
Bundesamt für Statistik: Belegungsdichte
Bundesamt für Sozialversicherungen: Finanzielle Lage und Perspektiven der AHV
Bundesamt für Sozialversicherungen: Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter» (Initiative für eine 13. AHV-Rente)
Ungefähr dasselbe als Video:
von:
Über
Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können