Chapeau! – für Sarah Voss

Kunstturnerin Sarah Voss rüttelte die Europameisterschaften auf: Bei ihrer Kür in Basel trug sie statt des knappen Turndresses lange Ärmel und Leggins. Damit bringt sie die dringend nötige Debatte um die Sexualisierung von Frauenkörpern im Sport in die öffentliche Debatte.

Kunstturnerinnen sind bei ihren Küren körperlich besonders exponiert. / © Pixabay

Nicht die sportlichen Leistungen der Kunstturnerinnen schlugen an den Europameisterschaften in Basel die höchsten Wellen – sondern die Tatsache, dass eine von ihnen sich weigerte, sich im Wettkampf halbnackt zu präsentieren. Im Gegensatz zu den Männern, die im Kunstturnen lange Leggins tragen, ist der typische Turndress der Frauen wie ein Badekleid geschnitten und zeigt sehr viel Haut.

Dem will die deutsche Kunstturnerin Sarah Voss ein Ende setzen: Zu ihrer Kür an der EM letzte Woche trat sie in einem langärmligen Dress und Leggins bis zu den Knöcheln an. Damit hat sie nicht nur ein Zeichen gesetzt, das bei anderen Kunstturnerinnen auf begeisterte Zustimmung stiess und bereits Nachahmerinnen fand, sondern auch eine längst überfällige öffentliche Debatte angestossen. «Viele Turnerinnen haben mir geschrieben, dass sie froh sind, dass der Schritt gemacht wurde», sagte Sarah Voss gegenüber dem ZDF. «Ich habe gezeigt, dass man sich wohlfühlen und trotzdem sehr ästhetisch aussehen kann.»

Viele Kunstturnerinnen fühlen sich in den knappen Trikots unwohl, vor allem auch weil sie während der Kür verrutschen können und an den Wettkämpfen Fotos gemacht werden, auf die die Sportlerinnen keinen Einfluss haben. Dies ist auch in anderen Disziplinen ein Problem: Die Weltklasse-Tennisspielerin Serena Williams musste lange dafür kämpfen, um an den French Opens 2018  lange Leggins tragen zu dürfen statt des üblichen Minirocks. Und im Beachvolleyball war es bis vor 10 Jahren verboten, Shorts zu tragen – die Vorschrift hiess: Bikinihosen, die seitlich maximal sieben Zentimeter breit sein dürfen.

Im Kunstturnen sind lange Leggins zwar erlaubt, doch dies weiss praktisch niemand. «Wir haben uns bislang nicht getraut», sagt Voss, doch dass ihre Aktion ein so weitreichendes internationales Medienecho auslösen würde, damit hat sie nicht gerechnet. Beim Training sind Leggins zwar üblich, doch für den Wettkampf müssen sich die Frauen standardmässig entblössen. Sarah Voss und Ulla Koch, die Trainerin des deutschen Nationalteams, wollen auch eine Art Vorbildfunktion einnehmen. Sie möchten anderen Sportlerinnen Mut machen, sich gegen die Sexualisierung der Frauenkörper im Sport zu wehren, die so normal geworden ist, dass sie gar niemandem mehr auffällt.

Die ehemalige Schweizer Kunstturnerin Ariella Kaeslin, die sich 2011 aus dem Spitzensport zurückzog und von Mobbing und psychischer Gewalt am Leistungszentrum des Schweizerischen Turnverbands berichtete, bestätigt, dass die Initiative von Sarah Voss bitter nötig ist: «Ich hätte mir oft gewünscht, mehr anziehen zu können», sagte sie gegenüber dem Thuner Tagblatt. Turnerinnern sind extrem entblösst: Am Balken stehen die Kampfrichter nahe, und für manche Figuren spreizt du die Beine Vollgas gegen die Richter. Das ist unangenehm. Mich hat das immer gestört.»

Wir ziehen den Hut vor Sarah Voss, die ein Tabuthema nicht nur auf die Matten der Turnhallen, sondern auch in die Medien gebracht hat.

30. April 2021
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