«Das Putzen hat meine Skepsis über den aufgeblasenen Intellektualismus voll und ganz bestätigt»
Wie ein Philosophieprofessor die Universität verliess und als Putzmann zu arbeiten begann.
Hans Harbers, Professor für Philosophie an der niederländischen Universität Groningen, erklärt in diesem Gespräch, warum er heute Befürworter einer sozialen Dienstpflicht ist, ihm die Rechthaberei mancher Intellektueller auf den Geist geht und er gerne sein Geld mit Putzen in Privathaushalten verdient hat:
Stephan Schleim: September 2019 haben Sie Ihre Stelle an der Universität gekündigt und bis zum Erreichen des Rentenalters noch etwas Anderes gemacht. Wie kamen Sie darauf, als Putzmann zu arbeiten?
Hans Harbers: Ich wollte bis zur Rente noch einmal etwas Anderes machen. Es war für mich ein Experiment, einmal eine Arbeit zu haben, für die man gar keine Ausbildung braucht. Selbst die Arbeit als Taxifahrer war mir zu hoch, denn dafür brauchte man einen Personenbeförderungsschein.
«Ich habe einen vitalen Beruf.»
Mir ging es um eine dienende Aufgabe, die den Menschen direkt etwas bringt. Am liebsten wäre ich als städtischer Strassenfeger mit so einem Karren herumgezogen. Bei privaten Reinigungsunternehmen gab es aber das grösste Angebot. So fand ich innerhalb eines Monats eine Stelle in der individuellen Pflege hilfsbedürftiger Menschen, die zuhause nicht mehr selbst saubermachen konnten.
In jeweils rund zwei Stunden habe ich dann Woche für Woche bei einer Reihe von festen Kunden die Wohnung geputzt. Ich musste schmunzeln, als es in der Corona-Pandemie auf einmal hiess, dass ich einen «vitalen Beruf» hätte. Den habe ich als akademischer Philosoph nie gehabt!
Wie war das als putzender Philosoph? Hatten Sie mit den Menschen Gespräche über den Sinn des Lebens?
Gar nicht. Ich habe schlicht geputzt. Tatsächlich fragte man mich im Bewerbungsgespräch, ob ich mit meiner akademischen Ausbildung nicht eine höhere Funktion übernehmen wolle. Das kam für mich aber nicht in Frage. Ich wollte den Kopf gerade frei haben von allem Akademischen. Und die Kunden fragten mich auch nicht danach. Vielleicht mit Ausnahme von einer Frau, die hin und wieder Buch- und Filmtipps von mir wollte.
Bei meinen Kolleginnen – im Wesentlichen waren es alleinstehende Frauen in den 40ern und 50ern, die für den gesetzlichen Mindestlohn jede Woche 36 bis 40 Stunden schufteten – war ich schnell als «der Professor» bekannt. Da wir aber sowieso alle individuell arbeiteten, gab es nicht so viel Kontakt. Und dann kamen auch noch die Corona-Massnahmen dazu.
«Seht her, wie sozial ich bin!»
Ich hatte lange mit mir gehadert, diese Erfahrung intellektuell auszuschlachten. Eine alte Kollegin meinte dann auch, ich würde sicher ein Buch über meine Zeit als Putzmann schreiben. Das kam dann für mich aber nicht in Frage.
Dabei dachte ich auch an diese westlichen Touristen, die in die ärmsten Länder Afrikas reisen und dann Selfies mit schwarzen Kindern machen: «Seht her, wie sozial ich bin!» Ich wollte als Akademiker nicht für die Menschen ohne Hochschulstudium sprechen. Die sollen für sich selbst sprechen.
Welche Lehre haben Sie für sich selbst aus dieser Zeit gezogen?
Das Putzen hat meine Skepsis über den aufgeblasenen Intellektualismus voll und ganz bestätigt. Ich bin jetzt Befürworter einer sozialen Dienstpflicht – und ich würde als Erstes mit den akademischen Philosophen anfangen! Die sollten einmal selbst mit den Füssen im Matsch und in der Welt stehen, anstatt noch ein Buch oder noch eine Analyse mehr zu lesen.
Mir geht auch diese Rechthaberei mancher Intellektueller auf den Geist, die meinen, dass jeder, der eine andere Meinung hat als sie selbst, gleich ein dummer Populist sein müsse. Die haben zwar einen grossen Mund aber einen Mangel an Bescheidenheit und Demut. Letztere lernt man bei solchen einfachen Tätigkeiten.
Zu meiner Überraschung lernte ich durch das Putzen in den verschiedenen Haushalten auch verschiedene Vorstellungen dessen kennen, was Menschen als sauber ansehen. Wo man bei dem Einen als «sauber» aufhört, fängt es beim Anderen als «schmutzig» an. Es gibt verschiedene Lebensweisen und man sollte sich davor hüten, die eigenen Standards auf andere Menschen zu übertragen. In so einem Beruf lernt man also auch Einfühlungsvermögen.
Hans Harbers, Assoziierter Professor für Philosophie der Wissenschaft, Technologie und des Zusammenlebens an der niederländischen Universität Groningen.
www.hansharbers.nl
Das vollständige Interview ist auf Telepolis erschienen
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