Demokratie als «Immunsystem» einer offenen Gesellschaft stärken!

Das «forum ouverture» appelliert an das demokratische Gewissen. Wenn Rechtsgleichheit durch Diskriminierung, persönliche Freiheit durch Zwang sowie Eigenverantwortung durch staatliche Bevormundung ersetzt werden, droht der Demokratie als «Immunsystem» einer offenen Gesellschaft ernsthafte Gefahr.

Seitdem der Bundesrat die «normale Lage» am 28. Februar 2020 wegen dem Coronavirus beendet hat, ist die demokratisch-föderalistische Staatsordnung der Schweiz erheblich beeinträchtigt. Mit zunehmender Dauer dieses Ausnahmezustands droht dabei bei der Bevölkerung eine Gewöhnung an verfassungsrechtlich fragwürdige Verhältnisse einzutreten.

26 Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft haben deshalb den Appell «Bleiben wir in guter Verfassung!» veröffentlicht. Mit ihrem Aufruf wollen sie den demokratischen Diskurs – gewissermassen das «Immunsystem» einer offenen und toleranten Gesellschaft – beleben. Publiziert wurde der Aufruf auf der Website des politisch und konfessionell unabhängigen «Forum Ouverture». Initianten sind Simon Häusermann und Philippe Schultheiss.

Ausgangspunkt des Aufrufs ist die Überzeugung der Unterzeichnenden, dass es nicht Aufgabe des Staats ist, moralische Verpflichtungen zu schaffen. Wie das Bundesgericht in einem Urteil von 2015 ausdrücklich festgestellt hat (BGE 142 I 49, E 3.3) , ist der Staat zwecks Sicherstellung von Toleranz und gesellschaftlicher Integration nämlich verpflichtet, sich in weltanschaulichen und religiösen Angelegenheiten neutral zu verhalten.

Auch für vorsorgliches Handeln gilt die Verhältnismässigkeit.

Der Appell wendet sich im Weiteren dagegen, dass der Staat sein Handeln vorwiegend oder ausschliesslich mit einem einzigen, quasi absolut gesetzten Interesse rechtfertigt, gegenwärtig etwa mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Im Aufruf wird daran erinnert, dass sich jedes Ziel staatlicher Aufgabenerfüllung den regulativen Grundprinzipien der schweizerischen Bundesverfassung unterzuordnen hat, demokratisch legitimiertes Handeln kann deshalb nie «alternativlos» sein. Auch für vorsorgliches Handeln gilt die Verhältnismässigkeit.

Eine demokratische Gesellschaft zeichnet sich nicht allein durch Wahlen und Abstimmungen, sondern dadurch aus, dass Bürgerinnen und Bürger ihre individuelle und politische Verantwortung jederzeit wahrnehmen können, insbesondere ihre Verantwortung im Rahmen der Meinungsbildungs- und Meinungsäusserungsfreiheit. Ob der Debatte um Verschärfungen oder Lockerungen gerät der sich abzeichnende Verlust der demokratischen Kultur in Vergessenheit. So leben wir nach wie vor in einem zeitlich unbefristeten Ausnahmezustand, in dem der Bundesrat über ausserordentliche und weitreichende Kompetenzen sowie über ein nahezu freies Ermessen bezüglich der Anordnung von Massnahmen verfügt.

Es ist deshalb das Anliegen des Appells dazu aufzurufen, aus den Erfahrungen der vergangenen Monate die nötigen Lehren für die Bewahrung und die Weiterentwicklung der demokratischen Grundordnung zu ziehen. Die Unterzeichnenden appellieren an alle Bürgerinnen und Bürger, insbesondere aber an alle politischen Mandatsträgerinnen und -träger sowie an Behördenmitglieder und Medienschaffende:

  1. die ethische Instanz des eigenen Gewissens, die Normen der schweizerischen Rechtsordnung sowie der in der Bundesverfassung wirkende Geist einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zur Richtschnur ihres persönlichen Handelns zu machen;
  2. darauf hinzuwirken, dass die verfassungsmässige Grundordnung wiederhergestellt wird;
  3. auch in ausserordentlichen Situationen die im Appell genannten Grundsätze jederzeit zu beachten.

Bezüglich des dritten Punkts fordert der Appell namentlich die bedingungslose Wahrung der Menschenwürde. Zu deren Kerngehalt zählt gemäss geltender Rechtsauffassung das Verbot, den Menschen zum blossen Objekt staatlichen Handelns zu machen und ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Gegen die Menschenwürde (und zudem gegen das Gesetzmässigkeitsprinzip) gerichtet ist somit jede grundrechtsrelevante personenbezogene Massnahme, die nicht aufgrund einer richtigen und vollständigen Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhalts, sondern lediglich aufgrund eines pauschalen Verdachtsmoments angeordnet wird.

Weitere Infos: www.forum-ouverture.ch

Quelle: Medienmitteilung: Demokratie als «Immunsystem» einer offenen Gesellschaft stärken! (10.2.22)

 

10. Februar 2022
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