Der Eine-Trillion-Euro-Umzug

Was ist der Beweis, dass ausserirdische Intelligenz existiert?
Dass sie mit uns noch keinen Kontakt aufgenommen hat!

Besuch der Ausserirdischen. Foto: Tara Winstead (Pexels)

Ausserirdische und Ufos machen derzeit mal wieder Schlagzeilen. Die drei unlängst vom US-Militär abgeschossenen Flugobjekte aber stammten Präsident Joe Biden zufolge wahrscheinlich eher von Forschungseinrichtungen oder Privatunternehmen. Vielleicht waren es tatsächlich bloss Lieferdrohnen von Amazon. Sollte Ihnen demnächst ein Staubsauger ins offene Cabrio donnern, dann gibt’s eine schlechte Bewertung auf Bezos Ali Baba-Portal. Und der mit einer 400’000-Dollar Rakete abgeschossene, vermeintlich chinesische Spionage-Ballon stammt möglicherweise aus einem Schülerprojekt. Der Heilpädagoge der betreffenden Schule habe grad viel zu tun. John Lennon hatte recht: Wir werden von Wahnsinnigen geführt. Dürrenmatts Gefängnis ist jetzt wohl eher eine offene psychiatrische Klinik; wir sind unsere eigenen Pfleger und Patienten.

Was ist der Beweis, dass ausserirdische Intelligenz existiert?
Dass sie mit uns noch keinen Kontakt aufgenommen hat!

 

Wie es sich abspielen könnte, wenn Ausserirdische uns besuchten, hat der deutsche Autor Andreas Eschbach in seiner Science-Fiction-Kurzgeschichte «Eine Trillion Euro» skizziert, die 2004 in der gleichnamigen Anthologie erschienen. Sie ist ein geistiges Kind des UTOPIALES-Festivals: Die besten SF-Geschichten der besten SF-Autoren der Euro-Zone zu den Themen Europa, Euro, Geld allgemein oder Wirtschaft - oder alles zusammen. Das Ergebnis ist eine sehr abwechslungsreiche, unterhaltsame, meist dystopische und geistreiche Lektüre.

Nach seinem 1995 publiziertem Erfolgsroman mit dem zum Verwechseln ähnlichen Titel «Eine Billion Dollar» bedient sich Eschbach auch in dieser Geschichte der irrsinnigen Idee, die unserem derzeitigen Schuldgeld- und Bankensystem zu Grunde liegt. Übrigens haben am 13. Februar 2023 – also 28 Jahre nach seiner Erscheinung – Paramount+ und die Produktionsfirma W&B Television (bekannt unter vielem anderen für ihre Serie «Dark» bekanntgegeben, dass sie gemeinsam die sechsteilige, internationale Serie Eine Billion Dollar produzieren, basierend auf eben Eschbachs gleichnamigem Roman. Gedreht werde auf Deutsch, Englisch und Italienisch. Und genau wie im Buch geht es um die ultimative «Was-wäre-wenn»-Frage: Was würdest du tun, wenn du mit einem Schlag der reichste Mensch der Welt wärst – allerdings verbunden mit der Prophezeiung, dass du mit diesem Vermögen der Menschheit die verlorene Zukunft zurückgeben wirst?

Worum geht es aber nun in der genannten SF-Kurzgeschichte?

Europa droht eine Eiszeit. Durch den stetigen Wandel des Klimas erlöschen wichtige Meeresströmungen, die die europäischen Wetterverhältnisse bisher gemässigt haben. In wenigen Jahren wird in Europa dasselbe Klima herrschen wie in Süd-Alaska. Eine halbe Milliarde Menschen müssen umgesiedelt werden, aber wohin? Nach Afrika? Die haben die Grenzen dort längst geschlossen.

Dann geschieht etwas Unglaubliches: Ausserirdische Wesen besuchen die Erde und unterbreiten dem Europaparlament ein Rettungsangebot: Verhandelt wird über den Mond, eine unfassbare Rettungsaktion und über eine Trillion Euro.

Eine Delegation von Ausserirdischen landet in Brüssel und bittet die Staatschefs und Staatslenkerinnen zur gemeinsamen Konferenz. Nachdem Europa durch irreparable Umweltzerstörung unbewohnbar geworden, bieten die Wesen vom anderen Stern den Erdlingen an, Europa, so wie es vor 150 Jahren war, auf dem Mond nachzubauen.

Der Preis inklusive Umzug errechnet sich aus den Investitionen der vergangenen 150 Jahre inklusive Biosphäre. Diese durfte damals auf der Erde zwar ohne Kostenfolge benutzt werden. Aber da sie auf dem Mond so eben nicht existiert, muss sie neu gebaut und somit bezahlt werden: alles in allem eine schlappe Trillion Euro.

Die Europäer schlagen mangels Alternative ein. Lieferzeit sechs Monate. Die Hälfte sei per sofort, der Rest innert 30 Tagen nach Übergabe zu bezahlen. Die europäischen Politiker schauen einander ratlos an, erklären ihren Rettern in spe, dass das nicht möglich sei und unterbreiten ein so jämmerliches Abzahlungsangebot, das die Ausserirdischen sehr erzürnt. Schliesslich seien sie seriöse Geschäftsleute mit ehrlichen Absichten und einem konkurrenzlosen Angebot.

«Unsere Länder sind hoch verschuldet», erklärt einer der weltlichen Finanzminister kleinlaut. «Verschuldet?!», wundert sich der Finanzbeauftragte der Weltallreisenden. «Gemäss unseren Unterlagen ist Europa seit 50 Jahren ohne Krieg, es herrscht Rechtstaatlichkeit und stetes, exponentielles Wirtschaftswachstum. Wie kann das also sein?»

Die PolitikerInnen sehen einander neuerlich achselzuckend in die Gesichter. Ja, eine gute Frage; wie konnte es eigentlich soweit kommen, fragen sie sich wie zum ersten Mal.

Soweit ich mich erinnere, sind die Ausserirdischen anschliessend unverrichteter Dinge wieder abgereist und haben sich nie mehr blicken lassen. Die ausserirdische Intelligenz hatte wohl eine schwache Minute, dass sie sich doch hatte dazu hinreissen lassen, mit der Menschheit der verlorenen Zukunft Kontakt aufzunehmen.

Und nächste Woche werden wir in der Zeitung lesen, dass Joe Biden Nenas 99 Luftballons zum Abschuss freigegeben hat.

18. Februar 2023
von:

Über

Thomas Brändle

Submitted by admin2 on Do, 08/18/2022 - 14:51

Thomas Brändle lebt im zugerischen Ägerital, ist Familienvater, Bäcker-Konditor-Confiseur, gewerblicher Kleinunternehmer, www.cafe-braendle.ch, Autor (Mitglied ISSV, AdS, PEN), alt Kantonsrat, Mitinitiant der www.vollgeld-initiative.ch. In seinem Romanerstling «Das Geheimnis von Montreux» thematisierte er Kellers Prophezeiung durch den Protagonisten Marco Keller, Nationalrat und Nachfahre des Schriftstellers Gottfried Keller.

Die Bücher von Thomas Brändle.