Ich liebe Geld. Ich liebe Bargeld. Ich liebe es, wenn ich ein Honorar bar in die Hand erhalte. Ich liebe die Noten in meiner Hand. Ich liebe das Klimpern der Münzen. Ich liebe mein kleines ledernes Portemonnaie.
Und ich liebe es, bar zu bezahlen. Bares Geld ist richtiges Geld. Man kann es sehen. Man kann es anfassen. Man kann es zählen. Ich möchte nie auf den Besitz von Bargeld verzichten müssen.
Ich bin aufgewachsen mit Bargeld. Bezogen habe ich es am Schalter. Und später jeweils am Bankomat. Wie alle anderen auch.
Dann, eines Tages lag in meiner Post eine Karte. Eine Kreditkarte. Und zum ersten Mal bezahlte ich «mit der Karte». Wie fast alle anderen auch. Was für eine Revolution in mein Leben kam, merkte ich nicht. Ich bezahlte weiter in bar und gelegentlich mit der Karte. Ich bezahlte weiter in bar und immer mehr mit der Karte. Es war eine schleichende Digitalisierung, die auch in diesem Bereich meines Lebens ihren Siegeszug antrat.
Sie führte dazu, dass ich wiederum eines Tages das ersten Mal mit dem Smartphone bezahlte. Ich hielt mein kleines digitales Gerät auf ein magisches Zeichen und löste die Zahlung aus. Und ich lernte ein neues Wort zu gebrauchen: Ich twintete*. Wollte ich in einem Hofladen Alpkäse kaufen und mir fehlten die richtigen Münzen, twintete ich den Betrag. Sass ich mit einem Freund in einem Lokal und er bezahlte, der Einfachheit halber, für beide, twintete ich ihm meinen Teil. Wie unglaublich einfach das war.
So einfach, dass ich mein Portemonnaie in der Tasche liess.
Doch die Welt war schon wieder schneller als ich. Eines Tages akzeptierte das erste Openair nur noch Zahlung mit Karte. Eines Tages akzeptierte das erste öffentliche Verkehrsmittel nur noch Zahlung mit Karte. Eines Tages akzeptierte das erste Restaurant nur noch Zahlung mit Karte. Bargeldzahlung war nicht mehr möglich.
Und dann ertönte erstmals der Ruf: Nur Bares ist Wahres!
Der Ruf weckte auch mich. Bargeld hatte für mich etwas Ewiges, Immerwährendes, es gehörte zur Menschheitsgeschichte, und der Gedanke, es könnte abgeschafft werden, war für mich unvorstellbar gewesen. Nun schien es plötzlich gefährdet. Das durfte nicht sein. Bargeld wurde zur Kostbarkeit, auch für mich, und ich achtete wieder vermehrt darauf, immer Noten und Münzen bei mir zu haben. Ich achtete wieder darauf, mit Geld zu bezahlen. Mit richtigem Geld.
Doch so leicht war das nicht. Der Mensch liebt die Gewohnheit, weil die Gewohnheit etwas Gemütliches hat. Sie lässt uns in Ruhe. Ich war es inzwischen gewohnt, mit der Karte zu zahlen. Weil es so praktisch war. So ganz mühelos. Und so ertappte ich mich, wie ich zur Karte griff, als wäre sie etwas Verbotenes. Ich erlaubte mir, sie zu verwenden, aber ich fühlte mich wie der Umweltbewusste, der in die Ferien fliegt, obwohl ihm die Flugscham im Nacken sitzt. Meine Scham war die Kreditkartenscham – und sie verfolgt mich auch jetzt. Jedesmal, wenn es auswärts ans Zahlen geht, zögere ich. Darf ich das Essen mit Karte bezahlen? Darf ich den Alpkäse twinten? Dürfen wir der Versuchung erliegen?
Wir erliegen ihr aus Bequemlichkeit. Aber dahinter steht ein tieferer Grund.
Es gab einmal eine Zeit, als die Menschen noch mit Papier, Tinte und Federkiel schrieben. Dann wechselten sie zur Schreibmaschine, dann zum Computer. Jetzt brauchen sie keine Werkzeuge mehr, um etwas Schriftliches zu fixieren. Sie sprechen, und ihr kleines digitales Gerät schreibt es auf.
Es gab einmal eine Zeit, als sich die Menschen aus Büchern und Zeitungen informierten. Jetzt brauchen sie keine Bücher und keine Bibliotheken mehr. In ihrem kleinen digitalen Gerät ist alles enthalten.
Es gab einmal eine Zeit, als die Menschen Musik auf Schallplatten pressten. Dann verkleinerten sie die LP zur CD. Jetzt brauchen sie gar keine Tonträger mehr. Ihr kleines digitales Gerät trägt ihnen jeden Ton, den sie hören möchten, bis in ihr Ohr.
Wer schreibt noch von Hand?
Wer liest noch Bücher und Zeitungen?
Wer legt noch Schallplatten auf?
Die Zahl jener, die noch analog durch ihr Leben gehen, schwindet schnell. Sie sterben aus, während wir andern, wir alle, ob gewollt oder nicht, unser Leben in die Hände der Elektronik legen. Unsere ganze Kommunikation mit der Aussenwelt – soweit wir uns nicht physisch begegnen – findet digital statt.
Wohin aber führt uns das? Digitalisierung bedeutet Entmaterialisierung. Die Materie schrumpft auf ein Display von wenigen Zentimetern zusammen.
Dagegen sträubt sich alles in uns. Aber warum eigentlich? Wenn wir davon ausgehen, dass alles Irdische einer Idee entsprang, dann stand auch am Anfang der Menschheitsgeschichte eine Idee. Sie verfestigte sich, wurde Körper und Schwerkraft. So vergingen Jahrtausende. Jetzt aber sind wir Zeugen einer fundamentalen Veränderung. Während das Geistige bleibt, tendiert die Materie zur Auflösung. Wir erleben ihr Kommen und Gehen – wie keine Generation vor uns. Die physische Zeit beginnt, sich ihrem Ende zu nähern. Wie das Jahr, wenn es Winter wird. Wie der Mensch, wenn er sein irdisches Dasein zurücklässt. Wir stehen gewissermassen dazwischen. Zwischen der Hardware der Gegenwart und der Software der Zukunft.
Dasselbe geschieht mit dem Geld. Als Masseinheit wird es uns weiter erhalten bleiben, doch materiell wird es verschwinden. Das ist der wahre Grund, warum uns die Karte verführt, das bare Geld in der Tasche zu lassen. Weil Noten und Münzen ein Relikt der Vergangenheit sind. Wenn wir das Bargeld verteidigen, wenn wir politisch für seine Wertschätzung kämpfen, dann tun wir es, weil wir befürchten, dass die Bezahlung mit Karte missbraucht werden kann. Weil die Karte uns abhängig macht. Der Kampf für das Bargeld ist ein Kampf für die Freiheit des Menschen.
Ich liebe die Noten und Münzen noch immer, aber ich bin mir bewusst, dass es eine nostalgische Liebe ist. An den Ewigkeitswert der Materie glaube ich nicht. Ich liebe Bargeld – genau so, wie ich Bücher immer noch liebe. Aber ich lese sie kaum noch in Buchform. Ich liebe Bargeld – genau so, wie ich noch immer gerne ein Albumcover betrachte. Aber ich höre keine Schallplatten mehr. Ich liebe Bargeld – genau so, wie der Gedanke, von Hand auf Papier zu schreiben, noch immer ein schöner Gedanke ist. Aber ich schreibe nicht mehr von Hand. Ich geniesse die Annehmlichkeiten des Laptops. Ich schätze die Angebote der Technologie.
Weil auch ich ein Kind dieser Zeit bin.
* Anmerkung für alle Nicht-SchweizerInnen: «Twinten» bedeutet, mit der Schweizer Bezahl-App TWINT zu bezahlen oder Geld zu senden.
Kommentare
Typisch boomer ;)
Kann man so sehen, muss man aber nicht.
Das Leben ist und bleibt Materie, dazu werden wir hier auf die Erde geboren. Erde = Materie!
Man kann durchaus gewisse Hilfsmittel nutzen, aber die Gefahren der totalen Überwachung durch digitales Geld, verknüpft mit einem digitalen Wallet, ständigen Standortangaben durch die Wanze in der Tasche usw. ist einfach immens. Das "nichts zu verbergen" ""Argument"" zählt nicht, hat nie und wir nie! Wer sich davon überzeugen möchte, schaue bei den Technerds:
https://digitalcourage.de/suche?keys=nichts+zu+verbergen
https://www.digitale-gesellschaft.ch/ratgeber/
https://norberthaering.de/ mit weiteren interessanten Meldungen rund um Bargeld und Machtapparat.