Etappensieg gegen 5G: Die Lockerung der vorsorglichen Emissionsbegrenzung war unzulässig

Rebekka Meier vom Verein Schutz vor Strahlung findet: Der angebliche Korrekturfaktor war de facto eine Grenzwertlockerung und gehört abgeschafft – auch um weitere 3 000 Einspracheverfahren zu verhindern!

Rotes Licht für Mobilfunkantennen und Korrekturfaktor! Foto: Schutz vor Strahlung

Um die Einführung von 5G zu erleichtern, griff der Bundesrat im Jahr 2021 zu zweifelhaften Massnahmen: zur Einführung eines so genannten «Korrekturfaktors» (Grenzwertüberschreitungen) und zur Abschaffung des Einspracherechts gegen den Korrekturfaktor. 

Damit ist das Bundesgericht nicht einverstanden! Es widerrief in seinem Urteil BGE 1C_506/2023 die Abschaffung des Einspracherechts und erachtet den Korrekturfaktor als baubewilligungspflichtig. Das ist ein wegweisender Entscheid, meint der Verein Schutz vor Strahlung.

Das Bundesgericht erklärte zudem, die Anwendung des Korrekturfaktors führe zu höheren Leistungsspitzen als bewilligt. Diese Erhöhung der Leistung stellt einen Wegfall einer vorsorglichen Emissionsbegrenzung dar. Faktisch war die Einführung des Korrekturfaktors also eine Grenzwertlockerung.

Alle Antennen, auf denen der Korrekturfaktor ohne Baubewilligung angewandt wird, sind somit rechtswidrig in Betrieb. Die BPUK – das sind Vertreter der Kantonsregierungen – empfiehlt ein neues Baubewilligungs-Verfahren oder die Einstellung des Korrekturfaktorbetriebs ab 2025.

Der Verein Schutz vor Strahlung hingegen fordert die sofortige Abschaltung und die vollständige Abschaffung des rechtswidrigen Korrekturfaktors sowie die Wiederherstellung des Schutzniveaus von 2019, um das aktuelle Chaos von Grund auf zu beseitigen.

Aus der Medienmitteilung:

Nach dem Bundesgerichtsentscheid «Wil SG» ist klar: Rund 3 000 Mobilfunkantennen funktionieren derzeit mit nicht bewilligter, zu grosser Leistung. Die meisten von ihnen überschreiten durch die Anwendung des sogenannten «Korrekturfaktors» regelmässig die Grenzwerte. Die Kantone empfehlen daher den Gemeinden neu, von den Mobilfunkbetreibern ein neues Baugesuch oder das Ende des Korrekturfaktor-Betriebs zu verlangen. Damit ist bis Ende Dezember 2024 eine Verdoppelung der hängigen Verfahren von heute 3 000 auf 6 000 zu erwarten.

Diese Situation ist für Behörden, Antennen-Anwohner und Gerichte untragbar geworden. Hauptursache für diese Einspracheflut sowie das Ausbau-Chaos sind der Korrekturfaktor und die damit verbundenen Grenzwertüberschreitungen. Die stetige Zunahme an Mobilfunkanlagen, trotz Abschwächung des mobilen Datenwachstums, verstärkt das Problem. 

Der Verein Schutz vor Strahlung und die Einsprechenden verlangen unisono die Abschaffung des Korrekturfaktors und einen Antennen-Neubau-Stopp! Stattdessen sollen das Glasfasernetz zur Entlastung des Mobilfunknetzes (bis minus 30% der Antennen durch Trennung von Innen-/Aussenbereich) ausgebaut sowie eine Mobilfunkplanung mit Mitspracherecht eingeführt werden. Nur so nimmt das immer komplexer werdende Mobilfunk-Ausbau-Chaos ein Ende und macht den Weg frei für Rechtssicherheit für alle Beteiligten.

Das Bundesgericht stellte bereits im März 2023 im Steffisburger Mobilfunk-Fall den Anwohnern ein Recht auf ein ordentliches Einspracheverfahren für die Anwendung des Korrekturfaktors in Aussicht. Trotz diesem Gerichtsentscheid nahmen die meisten Kantone fortlaufend Meldungen zur Neuanwendung des Korrekturfaktors entgegen, ohne ein Baubewilligungsverfahren einzuleiten. Im Fall Wil SG schaffte das Bundesgericht Klarheit. Der Korrekturfaktor sei baubewilligungspflichtig. Damit sind auf einen Schlag über 3‘000 adaptive Antennen in der Schweiz illegal in Betrieb. Die Anwendung des Korrekturfaktors muss entweder beendet werden oder es ist ein neues Baubewilligungsverfahren durchzuführen.
Bedeutet das nun: Ende gut alles gut? Nein! Die Anwohnenden befürchten nun eine nachträgliche Bewilligung des Korrekturfaktors sowie weitere Grenzwertüberschreitungen und werden sich voraussichtlich mit Einsprachen dagegen wehren.

Wie ist es so weit gekommen?

Nach zweimaliger Ablehnung einer Grenzwertlockerung im Parlament und dem Entstehen grosser Rechtsunsicherheiten bei der 5G-Einführung, erliess der Bundesrat per 1. Januar 2022 eine Sonderregelung für die sogenannten adaptiven Antennen. Er wollte die 5G-Einführung erleichtern, dabei aber die Grenzwerte nicht (oder jedenfalls nicht erkennbar) lockern und zugleich tausende Baubewilligungsverfahren umgehen. Adaptive Antennen können die Energie bündeln und einen oder mehrere sogenannte «Beams» erzeugen. 

Weil die Strahlung dadurch angeblich gesamthaft abnähme, dürfte die Antenne um bis zu 10 Mal stärker als bewilligt strahlen, argumentierten die zuständigen Behörden. Die Sonderregelung für adaptive Antennen sieht vor, dass sie die Grenzwerte nur im Durchschnitt anstatt jederzeit konstant einhalten müssen. Das Prinzip: «Die Antenne darf mehr strahlen, um gesamthaft weniger Strahlung zu erzeugen», wird in der Bevölkerung nicht verstanden, denn es ist unlogisch und trifft direkte Anwohnende besonders hart. Da die Grenzwerte dadurch massiv überschritten werden, haben seit 2019 tausende Anwohnerinnen und Anwohner Einsprache gegen den Um- oder Neubau von Antennen eingereicht.

Ebenso viel Ärger ist auch durch die Abschaffung der Einsprachemöglichkeit gegen den Korrekturfaktor entstanden. Bei den ohne Korrekturfaktor bewilligten Antennen erhielten die Anwohnenden das Versprechen, dass die Grenzwerte eingehalten würden. Einige Tage oder Monate später funktionierten die Antennen dann doch – mittels Softwareänderung – mit Anwendung des Korrekturfaktors, worauf sich viele Anwohnende betrogen fühlten. Zahlreiche Betroffene mussten sogar dem Umbau auf adaptive Antennen machtlos zuschauen (Schutz vor Strahlung berichtete hier), wobei nach kurzer Zeit auch bei ihnen die Grenzwerte überschritten wurden. Nach wie vor blockieren rund 3‘000 Einsprachen und Beschwerden die Um- und Neubauten von Antennen.

Das Chaos droht zu eskalieren

Seit 2019 erschienen jedes Jahr neue Rechtsgutachten, die den Korrekturfaktor und insbesondere die Abschaffung [PDF]der verfassungsmässig garantierten Rechte auf Einsprache als unzulässig einstuften. Die Abschaffung des Einspracherechts erkannte nun auch das Bundesgericht als gesetzes- und verfassungswidrig an. Nun könnte sich die Anzahl der hängigen Verfahren von 3‘000 auf 6‘000 verdoppeln. Hätte der Bundesrat von Anfang an die Grenzwertregelung beibehalten und die Einspracherechte der Anwohnenden respektiert, wäre es höchst wahrscheinlich nie zur aktuell verfahrenen und zermürbenden Situation gekommen.

Jetzt ist es Zeit, aus der Geschichte zu lernen: Der Korrekturfaktor ist genauso unzulässig wie die Abschaffung der Einspracherechte. Nebst der Baubewilligungspflicht erkannte das Bundesgericht (E. 4.2): «Die Anwendung des Korrekturfaktors bedeutet insofern den Wegfall (bzw. die Abschwächung) einer bisher geltenden, vorsorglichen Emissionsbegrenzung ("Worst-Case-Szenario") im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Umweltschutzgesetz [...]». Faktisch ist dieser Wegfall eine Grenzwertlockerung. Eine Lockerung der Grenzwerte wäre nur dann zulässig, wenn die Begrenzung technisch oder betrieblich nicht möglich oder wirtschaftlich nicht tragbar wäre (Art. 11 Abs. 2 USG). Da aber adaptive Antennen effizienter sind als bisherige Antennen, haben sie keine Lockerung der Vorschriften nötig. Mit den Worten des Bundesgerichts: «Im Übrigen können adaptive Antennen auch ohne Anwendung eines Korrekturfaktors adaptiv betrieben werden, mit den sich daraus ergebenden Vorteilen». Also ist ein Wegfall der vorsorglichen Emissionsbegrenzung rechtswidrig.

Der Verein Schutz vor Strahlung fordert: Wiederherstellung des Schutzniveaus!

Der Verein Schutz vor Strahlung fordert den Bundesrat auf, keine weiteren Bundesgerichtsentscheide abzuwarten, die schrittweise vieles rückgängig machen werden. Der Bundesrat ist nicht berechtigt, irgendwelche (aktuell vorgesehene) Anpassungen von Berechnungsmethoden oder Vollzugsempfehlungen vorzunehmen, die zu versteckten Leistungserhöhungen der Mobilfunkantennen führen. Rechtsunsicherheit, Gerichtsverfahren und Unbehagen in der Bevölkerung würden so nur weiter zunehmen. Stattdessen fordern wir die sofortige Abschaltung und Abschaffung des Korrekturfaktors sowie die Wiederherstellung des bis 2019 geltenden Schutzniveaus. Zudem sollen keine neuen Mobilfunkanlagen mehr bewilligt, sondern eine nationale Mobilfunkplanung unter Einbezug der Bevölkerung erstellt werden.

Weiterführender Artikel: Alle Informationen zum Korrekturfaktor hier