Amnesty: Israel begeht Völkermord in Gaza
Ein umfassender Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kommt zu dem Schluss, dass der israelische Staat Genozid an der palästinensischen Bevölkerung im besetzten Gazastreifen begangen hat und weiterhin begeht. Auf welche Autoritäten wollen wir noch warten, um dieses Verbrechen zu bezeugen?
Der Bericht trägt den Titel «You Feel Like You Are Subhuman': Israel’s Genocide Against Palestinians in Gaza». «Man fühlt sich unter-menschlich» dokumentiert auf 296 Seiten, wie der israelische Staat nach den von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen verübten Kriegsverbrechen vom 7. Oktober 2023 durch seinen Militärangriff voller Absicht Leid und Zerstörung über die Palästinenser und Palästinenserinnen im Gazastreifen gebracht hat.
Das Team von Amnesty International analysierte Belege, befragte Zeugen, Vertreter von NGOs, Hilfsorganisationen und Verwaltungen. Es kam zu dem Schluss, dass
...Israel durch seine Handlungen und Unterlassungen einen Völkermord an den Palästinenser und Palästinenserinnen im Gazastreifen begangen hat und weiterhin begeht.
Die Handlungen Israels fallen demnach in den Geltungsbereich der Völkermordkonvention. Absicht sei dabei erwiesen, befand Amnesty: «Israel begeht die in der Konvention definierten Handlungen in der Absicht, Palästinenser*innen im Gazastreifen als Gruppe zu zerstören.»
Dazu gehört nicht nur das aktive Töten und Verletzen durch militärische Aktionen, sondern auch die Erzeugung von Lebensbedingungen, die «die körperliche Zerstörung der Gruppe der Palästinenser*innen im Gazastreifen ganz oder teilweise herbeiführen.» Mit anderen Worten: die Blockierung von Hilfeleistungen und Lebensmittellieferungen.
Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagt: «Unsere Recherchen ergeben, dass der Staat Israel über Monate einen Völkermord begangen hat und weiterhin begeht, in dem vollen Bewusstsein, dass den Palästinenser*innen im Gazastreifen ein nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt wurde. Dabei ignorierte die israelische Regierung zahllose Mahnungen über die katastrophale humanitäre Lage und setzte sich über rechtsverbindlich angeordnete Maßnahmen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) hinweg. Dieser hatte Israel wiederholt aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um unter anderem die humanitäre Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen sicherzustellen.
Der Genozid in Gaza muss enden – es braucht jetzt einen Waffenstillstand. Alle Staaten sind gemäß Genozid-Konvention dazu verpflichtet, dazu beizutragen, den Völkermord an Palästinenser*innen im Gazastreifen sofort zu stoppen. Notwendig ist ein umfassendes Waffenembargo. Wer weiterhin Waffen an Israel liefert, läuft Gefahr, sich an einem Völkermord zu beteiligen. Das gilt insbesondere für wichtige Rüstungslieferanten wie Deutschland.
Völkermord und andere Verbrechen müssen nach internationalem Recht geahndet werden. Die jahrzehntelange Straflosigkeit für Verbrechen im besetzten palästinensischen Gebiet und Israel muss jetzt aufhören. Die internationale Gemeinschaft muss alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen – seien es der Internationale Strafgerichtshof, der Internationale Gerichtshof, extraterritoriale Gerichtsbarkeit einschließlich des Weltrechtprinzips – um sicherzustellen, dass diejenigen, die der Verantwortung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verdächtigt werden, vor Gericht gestellt werden.»
Dennoch müssten laut Amnesty International die verbliebenen, von der Hamas und anderen Gruppen entführten Geiseln entlassen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, findet die Menschenrechtsorganisation.
Umfangreiche Verbrechen
Für den Bericht untersuchte Amnesty International detailliert die Handlungen und Unterlassungen, die Israel im Gazastreifen vom 7. Oktober 2023 bis Anfang Juli 2024 begangen hat. Die Menschenrechtsorganisation teilte seine Erkenntnisse mehrfach mit den israelischen Behörden, fragte Informationen und Treffen an, erhielt aber keine Antwort. Wie es aussieht, möchte der israelische Staat nicht mit Amnesty International kooperieren.
Für den Bericht untersuchte Amnesty International exemplarisch 15 Luftangriffe zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 20. April 2024 und konnte nachweisen: Es handelte sich um Militärverbrechen nach, die durch die Völkermordkonvention geächtet werden. Bei diesen Angriffen starben mindestens 334 Zivilpersonen, darunter 141 Kinder, Hunderte weitere wurden verletzt. Amnesty International fand keine Beweise dafür, dass diese Angriffe auf militärische Ziele gerichtet waren.
Die untersuchten Angriffe machen zwar nur einen Bruchteil der israelischen Luftschläge aus. Sie sind aber bezeichnend für ein großflächiges Muster wiederholter direkter Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte bzw. vorsätzlich unterschiedsloser Angriffe. Sie wurden außerdem so durchgeführt, dass sie unweigerlich eine sehr hohe Zahl an Getöteten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung bewirkten. Die Luftangriffe galten privaten Wohnhäusern und wurden zu einer Tages- bzw. Nachtzeit durchgeführt, zu der davon ausgegangen werden musste, dass die Bewohner und Bewohnerinnen zu Hause schliefen. Insgesamt gab es Zehntausende israelische Luftangriffe in Gaza, die zu einer beispiellos hohen Zahl an Todesopfern führten: fast alles Zivilpersonen. Knapp 60 Prozent der 40.717 Todesopfer, die vom Gesundheitsministerium in Gaza bis zum 7. Oktober 2024 identifiziert wurden, waren Kinder, Frauen und ältere Menschen.
Der Tatbestand des Völkermords ist auch dann erfüllt, wenn der Versuch, eine Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, nicht erfolgreich war. Vielmehr reicht es aus, dass völkerrechtswidrige Handlungen in der Absicht begangen wurden, diese Personengruppe zu zerstören.
Amnesty International belegt in dem Bericht die Absicht Israels, die der Palästinenser als Bewohnerschaft des Gazastreifen zu zerstören. Die Organisation kam zu diesem Schluss aufgrund einer Analyse der israelischen Angriffe sowie durch die Auswertung entmenschlichender Aussagen durch teils hochrangige Vertreter von Regierung und Militär nach und vor dem 7. Oktober 2023. Amnesty betrachtet dabei die von Israel begangenen Handlungen im Gazastreifen im Zusammenhang des «von Israel geschaffenen Apartheidsystems sowie der rechtswidrigen Blockade des Gazastreifens und die seit 57 Jahren anhaltende rechtswidrige militärische Besetzung palästinensischen Gebietes».
Amnesty International ging auch auf die Angaben Israels ein, dass seine militärischen Angriffe rechtmässig und auf Hamas und andere bewaffnete Gruppen im Gazastreifen gerichtet seien und dass die unverhältnismässig hohe Zahl an zivilen Opfern sowie die Verweigerung humanitärer Hilfe dem Verhalten der Hamas zuzuschreiben sei. Diese würde ihre Kämpfer in der Zivilbevölkerung verstecken und Hilfsgüter umleiten. Amnesty fand nach eingehender Prüfung, dass diese Behauptungen nicht glaubwürdig sind. Auch wenn sich Hamas-Kämpfer nahe oder sogar in besiedelten Gebieten verstecken, ist Israel verpflichtet, die Zivilbevölkerung zu verschonen, Vorsichtsmassnahmen zu treffen und unverhältnismässige Angriffe zu vermeiden.
Israel sei dieser Verpflichtung wiederholt nicht nachgekommen, befand Amnesty. Seine Kriegsverbrechen seien nicht durch die Hamas oder durch militärische Notwendigkeit zu rechtfertigen. Für die Einschränkung und Verweigerung von Hilfsgütern und lebenswichtiger humanitärer Hilfe durch Israel gab es zudem keinerlei Grund.
Julia Duchrow: «Einzeln betrachtet stellen einige der von Amnesty International untersuchten Handlungen schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und internationale Menschenrechtsnormen dar. Betrachtet man zusätzlich das Gesamtbild des Militäreinsatzes, den Kontext, in dem die Handlungen stattfinden, bekannte Verhaltensmuster und die kumulativen und absehbaren Folgen der israelischen Vorgehensweisen, so ist eine genozidale Absicht die einzig plausible Erklärung für die Gesamtheit israelischen Handelns. Gemäß internationalem Recht kann eine genozidale Absicht auch dann vorliegen, wenn gleichzeitig weitere Ziele – etwa militärische Ziele – verfolgt werden.»
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