Amy Winehouse – singend, leidend, faszinierend

Ein Ausnahmetalent, dessen wildes Leben viel zu kurz zu Ende ging. Sie schien wie eine Frau aus einem anderen Jahrhundert, so wie sie gekleidet war, so wie sie auftrat. Ebenso die Lieder, die sie wählte, waren viele aus einer früheren Zeit – als die grossen Jazzerinnen die Bühnen besangen. Amy Winehouse war auch eine Jazzgrösse, nur: im 21. Jahrhundert. Sie lebte ein Leben voller Glamour mit Exzessen, Skandalen und mit Drogen. Vor zehn Jahren starb die Soul- und Jazzsängerin an einer Alkoholvergiftung und wurde damit ein weiteres Mitglied des «Clubs 27». Aus der Serie «Aussergewöhnliche Frauenbiographien».

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Als sie aufwuchs, wollte Amy Winehouse nur eines: auftreten. Die Tochter eines Taxifahrers und einer Apothekerin, die in einem Londoner Vorort 1983 auf die Welt kam und aufwuchs, langweilte sich in der Schule und rebellierte gegen ihre Lehrer, weil sie sich nur für ein Fach interessierte: Musik.

Im Alter von 12 Jahren bewarb sich die enorm talentierte Amy an der renommierten Theaterschule «Sylvia Young Theater School» in London. In ihrer Bewerbung schrieb sie: «Ich würde sagen, dass mein Schulleben und meine Zeugnisse voll von ‹könnte besser sein› und ‹schöpft nicht ihr volles Potenzial aus› sind. Ich möchte irgendwo hingehen, wo ich bis an meine Grenzen und vielleicht sogar darüber hinaus gefordert werde. Im Unterricht singen, ohne dass man mir sagt, ich soll die Klappe halten ... Aber vor allem träume ich davon, sehr berühmt zu werden. Auf der Bühne zu stehen. Das ist ein lebenslanger Ehrgeiz. Ich möchte, dass die Leute meine Stimme hören und einfach ... ihre Sorgen für fünf Minuten vergessen.»

«Sie könnte eine der ganz Grossen sein.»

Die Schulleiterin Sylvia Young war von Amy begeistert und erinnerte sich später an ihre erste Begenung mit ihr: «Man kann gar nicht genug betonen, wie sehr sie mir als Komponistin und Künstlerin aufgefallen ist, und zwar von dem Moment an, als sie im Alter von 13 Jahren mit der gleichen markanten Frisur wie heute durch die Tür kam.» Die Schulleiterin verglich die Fähigkeiten von Amy mit jenen der weltberühmten US-Sängerinnen Judy Garland oder Ella Fitzgerald. «Sie könnte eine der ganz Grossen sein.» Was sie später wurde.

Als Amy in die bekannte Londoner Theaterschule aufgenommen wurde, war sie überglücklich. Allerdings musste sie ein paar Jahre danach die Talentschmiede wieder verlassen – der Theaterschule war das Tragen eines Nasenpiercings zu rebellisch.

Nach kleineren Projekten wie zum Beispiel der Rap-Band «Sweet´n´Sour» wurden bald erste Plattenbosse auf Amys unverwechselbare Stimme aufmerksam. Sie war erst 19 Jahre alt, als sie ihren ersten Plattenvertrag unterschrieb. Ein Jahr später, 2003, erschien ihr Debütalbum «Frank». Es landete sofort auf Platz 3 der britischen Charts und erreichte in Grossbritannien dreimal Platin. Amy sang nicht nur, sie schrieb auch Lieder. Lieder über ihr Leben. «Ich schreibe Songs, weil ich krank im Kopf bin.» Oder: «Ich muss es aufschreiben und singen, um mich besser zu fühlen. So wird Schlechtes zu etwas Gutem.» Auf der Platte «Frank» verarbeitete sie die Beziehung zu ihrem Ex-Freund. Mit den Einnahmen der ersten Platte finanzierte sie sich ihr erstes eigenes Heim.

Amy sei eine weisse Frau mit einer schwarzen Soulstimme, schwärmten die Kritiker. Sie selbst liess sich von den 1960er-Jahren inspirieren und nannte Sarah Vaughan, Dinah Washington und Ella Fitzgerald als ihre Vorbilder. Die eigenwillige Sängerin machte sich auch die Modeästhetik der Sechziger zu eigen, mit ihrer charakteristischen Bienenkorbfrisur und dem dicken Eyeliner.

Doch ihr Megaerfolg ging einher mit zunehmendem Unbehagen auf der Bühne und der Angst, vor grossem Publikum aufzutreten. Vielleicht um das zu kompensieren, begann Amy nach den Konzerten durch die Clubs und Bars zu ziehen und den Leistungsdruck in Alkohol zu ertränken. Ihre Worte zum Berühmtwerden, die sie einmal in einem Dokumentarfilm gesagt hatte, schienen sich zu bewahrheiten: «Ich glaube, ich könnte damit nicht umgehen. Dann würde ich wahrscheinlich verrückt werden.»

Bei einer ihrer Kneipentouren lernte die 20-jährige Amy den heroinabhängigen Blake Fielder-Civil kennen und verliebte sich sofort in ihn. Viele Fans und ihre Familie sind der Meinung, dass mit Blake die grosse Tragödie in ihrem Leben begann. Mit ihrem neuen Liebhaber stürzte sie sich immer öfter in Drogen- und Alkoholexzesse. Als er sie nach einigen Monaten verliess und zu seiner Ex-Freundin zurückkehrte, war Winehouse am Boden zerstört und verarbeitete die Trennung und ihre turbulente Beziehung auf dem Album «Back To Black». Das Album brachte ihr fünf Grammy-Auszeichnungen ein und machte sie endgültig zum Weltstar.

«Sie versuchten mich in die Entzugsklinik zu schicken, ich sagte, nein, nein, nein.»

Aber es war vor allem der eingängige und fröhlich klingende Song «Rehab», der als Single-Auskoppelung Millionen von Menschen begeisterte und die Charts dominierte. Doch leider war das Lied nur allzu bezeichnend für ihren Seelenzustand. Denn darin besang sie den erfolglosen Versuch ihres Vaters und ihres Managers, sie in eine Rehabilitationsklinik einzuweisen. «They tried to make me go to Rehab / I said no, no, no» – Sie versuchten mich in die Entzugsklinik zu schicken, ich sagte, nein, nein, nein. Amy schrieb den Song in nur ein paar Stunden – er wurde zur Hymne für eine Generation junger gequälter Seelen.

Achtzehn Monate nach der Trennung klopfte Blake erneut an Amys Tür. 2007 heirateten sie. Aber statt glücklich gemeinsam zu leben, zogen sich beide gegenseitig immer tiefer in einen Sumpf aus Drogen und Alkohol. Amy war nicht mehr in der Lage, Konzerte bis ans Ende durchzusingen. Manchmal konnte sie kaum noch gerade stehen, so high oder betrunken war sie. Sie torkelte auf die Bühne und ihre einst kraftvolle Stimme klang schwach und hohl. Ihre Fans buhten sie aus. Konzerte wurden abgebrochen und ganze Tourneen abgesagt. Amys Management teilte mit, die Absagen seien «aus gesundheitliche Gründen». Doch jeder wusste, dass die Sängerin ein massives Alkohol- und Drogenproblem hatte. In den Jahren 2008 und 2010 musste sie wegen Ohnmachtsanfällen ins Krankenhaus. Blake und Amy liessen sich 2009 scheiden.

Schliesslich entschied sich Amy doch zu einer Entziehungskur. Dazu ging sie auf die karibische Insel St. Lucia. 2011 verkündete ihr Managment, dass die Sängerin Schritt um Schritt an ihrem Comeback arbeite, es wurden Tourneen in Brasilien und Europa angekündigt. Für ihre Auftritte in Brasilien erhielt sie positive Kritik. Danach, in Europa, stolperte sie wieder über die Bühne, wirkte abwesend und vergass zeitweise ihre Texte. Im Juni 2011 wurde sie in Belgrad erneut von der Bühne gebuht. Die Europatournee musste abgesagt werden. Einen Monat später – Juli 2011 – starb Amy an einer Alkoholvergiftung.

Damit wurde sie ein weiteres Mitglied des «Clubs 27». So wird die Gruppe von bekannten und grossen Musikern und Musikerinnen bezeichnet, die alle im Alter von 27 Jahren an Alkohol- oder Drogenkonsum verstarben. Dazu zählen unter anderem Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Kurt Cobain. Amy Winehouse war 27 Jahre alt, als sie ihr Leibwächter tot in ihrer Wohnung in London auffand – mit 4,16 Promille im Blut.

Es bleibt ihre grandiose Stimme, ihre Lieder, die bis heute gespielt und gehört werden. Auch wenn sie zu Lebzeiten zusehends von Selbstzweifeln und Ängsten geplagt war, ihre Leidenschaft und ihr Mut, beides hatte sie in ihrem Leben ebenso ausgemacht. «Wenn du handelst, als wüsstest du, was du tust, kannst du alles tun, was du willst.»

26. November 2021
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