Was die Wissenschaft eines sinnvollen Lebens über den Weg zum Glück herausgefunden hat.

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Wir alle streben nach Glück und meinen, es sei auf direktem Weg am schnellsten zu erreichen. Um gesünder zu sein, essen wir gesünder; um die verbreitete Apathie zu bekämpfen, ermuntern wir andere, sich zu engagieren; zur Verlängerung der Jugend verwenden wir anti-aging-Produkte. Aber manchmal ist der Umweg der bessere Weg, wie man am «Greater Good Science Center» der Universität in Berkeley festgestellt hat. Die WissenschaftlerInnen haben die zehn wichtigsten Erkenntnisse aus verschiedenen Studien des Jahres 2019 zusammengefasst.

1. Glückliche Menschen sind eher bereit, sich für gesellschaftliche Themen zu engagieren

Ärger, Wut und negative Gefühle treiben das soziale Engagement voran. Das ist die vorherrschende Meinung, nicht zuletzt auch in der Umweltbewegung. Empörung ist politisches Kapital. Verschiedene wissenschaftliche Studien zeigen aber, dass glückliche Menschen eher geneigt sind, sich sozial zu engagieren.

2. Diversität ist ein Gewinn – auf lange Sicht

Wie die deutsche Mutti sagen würde: «Wir schaffen das!» – wenn wir wollen.

Starke Zuwanderung hat unmittelbar soziale, religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Spannungen zur Folge – der Befund ist unbestritten. Auf lange Sicht sieht das Bild allerdings anders aus, wie eine Studie der Yale University zeigt, die Daten aus über 100 Ländern und 22 Jahren ausgewertet hat. In einer ersten Phase führt Zuwanderung tatsächlich zu einem gesellschaftlichen Vertrauensverlust. Aber nach zehn bis zwölf Jahren beginnt sich das Blatt zu wenden. Die Einheimischen betrachten die Zugewanderten nicht mehr als Fremde, sondern als menschliche Wesen, mit denen man in einen fruchtbaren Austausch kommen kann. Dies geschieht allerdings nicht automatisch, wie Douglas Massey, Ko-Autor der Studie feststellt, sondern hängt vom Willen zur Integration der politischen Führung, der Bevölkerung und der Zugewanderten selbst ab. Oder, wie die deutsche Mutti sagen würde: «Wir schaffen das!» – wenn wir wollen.

3. Staunen verbessert unser Gehirn

Wenn wir staunen, befassen wir uns weniger mit uns selber und öffnen uns den Wundern der Welt. An der Universität Amsterdam wurde die Gehirnaktivität während des Betrachtens von Videos über Naturphänomene gemessen und eine deutliche Reduktion der Gedankenwanderung festgestellt, das oft in selbstbezogene Schaltkreise führt. Wer zu kopfig ist, das ist die Empfehlung, soll sich eine Erfahrung gönnen, die einen staunen lässt. Der einfachere Weg – aber den haben die Wissenschaftler nicht untersucht – wäre der, über das zu staunen, was gerade ist – z.B. über unsere Fähigkeit, einen Text wie diesen lesen und verstehen zu können.

4. Anderen Gutes zu tun macht glücklicher, als sich selber zu verwöhnen

Der Genuss eines Besuchs im Lieblingsrestaurant verblasst rasch, wenn man täglich hingeht. Psychologen nennen dies «hedonistische Anpassung». Gemäss einer Studie hält der positive Effekt länger an, wenn man anderen Gutes tut. In einem Experiment erhielten die Studienteilnehmer 25 Dollar, die sie im Verlauf der folgenden fünf Tage ausgeben konnten. Die Hälfte der Teilnehmer wurde angewiesen, das Geld für sich auszugeben, die andere Hälfte für andere. Während der positive Effekt in der Gruppe, die sich selbst verwöhnte, rasch sank, blieb er bei der altruistischen Gruppe hoch. Die Forscher  führen das Ergebnis auf die evolutionäre Tatsache zurück, dass unser Überleben die meiste Zeit – und auch in der individualistischen Gegenwart – vom sozialen Zusammenhalt abhängig war. Die Resultate bedeuten natürlich nicht, dass man sich selber nichts Gutes tun soll, sondern dass sich dieser Effekt im Gegensatz zu den guten Taten zugunsten anderer schneller abnützt.

5. Liebende Zuwendung verlangsamt das Altern

Anti-Aging-Produkte sind ein weltweiter Markt von rund 300 Mrd. Franken. Aber es gibt einen wesentlich günstigeren Weg, das Altern zu bremsen – tatsächlich gratis: liebevolle Güte. PsychologInnen an der University of North Carolina in Chapel Hill nahmen 142 Menschen mittleren Alters in ein sechswöchiges Programm auf, in dem die Teilnehmer  regelmässig eine Meditation der liebevollen Zuwendung praktizierten. Eine andere Gruppe praktizierte eine Achtsamkeits-Meditation, die Kontrollgruppe stand auf der Warteliste. Vor und nach dem Programm wurden die Blutwerte erhoben und vor allem die Länge der Telomere gemessen, DNA-Proteine, die Zellen vor Abnützung schützen und mit zunehmender Lebensdauer kürzer werden. Die Resultate waren eindeutig: In der Gruppe der liebevollen Güte-Meditation war die Verkürzung am geringsten, etwas stärker in der Gruppe der Achtsamkeits-Meditation, während die Kontrollgruppe die üblichen Alterungswerte aufwies. Die Forscher sind in ihrem Fazit allerdings vorsichtig: Alle Teilnehmer seien willens gewesen zu meditieren, zudem könnten die Längenunterschiede der Telomere auch auf Umstände ausserhalb des Trainings zurückgehen. Aber stichhaltige Argumente, nicht liebevolle Güte zu praktizieren, sind das nicht, selbst wenn man dabei, wie alle andern auch, weiterhin älter wird.

6. Die emotionale Gesundheit des Partners beeinflusst die eigene Langlebigkeit

Wer länger leben will, sollte sich nicht nur um die eigene Gesundheit kümmern.

ForscherInnen der Universität Tilburg in den Niederlanden haben die Daten von 4300 Ehepaaren analysiert, mit einem erstaunlichen Ergebnis: Menschen mit einem glücklichen Partner hatten im Verlauf von acht Jahren eine 13 Prozent geringere Sterbewahrscheinlichkeit. Für die Mortalität spielt das Glück des Partners sogar eine grössere Rolle als die eigene Zufriedenheit. Auf anderem Weg gelangten US-ForscherInnen, die 1200 Paare während 20 Jahren untersuchten, zu einem ähnlichen Resultat: Emotionaler Stress beim Partner verkürzt das eigene Leben. Fazit: Wer länger leben will, sollte sich nicht nur um die eigene Gesundheit kümmern, sondern mehr noch um die emotionale Zufriedenheit des Partners.

7. Vergebung führt zu besserem Schlaf

Für alle, die mit Schäfchen zählen und anderen Methoden nicht einschlafen können, gibt es einen besseren Weg: sich und anderen vergeben. US-Forscherinnen befragten 1400 Amerikaner zur ihrer Gesundheit, der Schlafqualität und ihrer Fähigkeit zu vergeben. Resultat: Wer sich und anderen vergeben kann, schläft besser, ist gesünder und zufriedener im Leben. Prof. Lauren Toussaint, der die Studie leitete, schreibt: «Vergebung kann den Menschen helfen, die Sorgen des Tages hinter sich zu lassen» – eigentlich selbstverständlich. Wer nicht vergeben kann, vergräbt sich dagegen in unangenehme Gefühle, Schuldzuweisungen und Sorgen – und bringt sich damit um den Schlaf,

8. Künstlerische Aktivitäten geben Kindern ein besseres Selbstwertgefühl

Kinder im mittleren Schulalter vergleichen sich zunehmend mit anderen und verlieren dabeioft die Selbstachtung. Digitale Lerntechniken, das zeigen verschiedene Studien, helfen nicht. Künstlerische Tätigkeiten dagegen, dies das Ergebnis einer Untersuchung von 6000 Elfjährigen aus Grossbritannien, stärken den Selbstwert und die Lernfähigkeit. Beim Musizieren und Lesen ist die Teilnahme der Eltern wichtig, zeichnen und malen wirken jedoch auch, wenn sich Kinder ganz alleine beschäftigen. Künstlerische Tätigkeiten unterstützen das Gefühl der Einzigartigkeit und ermuntern dazu, auch andere Ziele zu verfolgen, meinen die Wissenschaftler; sie vermitteln zudem ein Gefühl der Verbundenheit wie zum Beispiel beim Chorsingen.

9. Dankbarkeit macht ehrlicher

Dankbarkeit hat viele positive Effekte: niedriger Blutdruck, höhere Fähigkeit, mit Aufgaben zurechtzukommen, stabilere Beziehungen und einige mehr. In einer etwas komplizierten Studie haben Psychologen der amerikanischen «Northeastern University» nun ermittelt, dass Dankbarkeit auch den Mut zu Ehrlichkeit fördert.

10. Ziele als Reise zu betrachten fördert persönliches Wachstum

Unser Weg durchs Leben ist mit Zielen gepflastert: Diät, Fitness, Ausbildungen, Häusle bauen, Karriere und vieles mehr. Ist ein Ziel erreicht, geht es oft erst mal nicht mehr weiter. Psychologen der Stanford Graduate School of Business liessen drei Gruppen von Studenten, Akademikern und Geschäftsleuten uns den USA und Ghana Tagebuch über ihre Ziele führen. Die eine Gruppe wurde angewiesen, ihre Erfahrung als Reise zu beschreiben, die andere als Schritte auf ein konkretes Ziel; die dritte Gruppe erhielt keine Vorgabe. Wie sich zeigte, hatte die «Reise-Gruppe» die höchste Bereitschaft, unmittelbar Schritte zu unternehmen und erreichte auch stabilere Resultate als die «Ziel-Gruppe» und die Studienteilnehmer ohne Leitgedanken. Die Metapher der Reise vermittelte zudem ein stärkeres Gefühl persönlichen Wachstums und animierte dazu, sich nach Erreichung eines Ziels neue zu setzen.

All diese wissenschaftlichen Erkenntnisse fühlen sich nach simplem, gesundem Menschenverstand an. Aber ist es nicht tröstlich, dass die Wissenschaft immer wieder bestätigt, dass die Doktrin des individualisierten «homo oeconomicus» nichts mehr ist als illusionäres Herrschaftswissen eines Wirtschaftssystems unter Wachstumszwang, das versucht, das letzte Hindernis auf dem Weg zur totalen Dominanz zu überwinden: unsere Gefühle, unsere Intuition und unser Gewissen.

Versucht man, die zehn Erkenntnisse auf einen einfachen Satz zu reduzieren, kommt man auf eine 2000 Jahre alte Maxime: «Liebe deinen Nächsten!» Kann man sich auch auf ein Post-it schreiben und an den Badezimmerspiegel kleben.

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Details und Quellenangaben zu den erwähnten Studien finden sich hier:
The Top 10 Insights from the “Science of a Meaningful Life” in 2019 (https://greatergood.berkeley.edu/article/item/the_top_10_insights_from_…)