Ausgepowert! Das Ende des Ölzeitalters als Chance

Zum neuen Buch von Marcel Hänggi

Der Zürcher Journalist Marcel Hänggi legt mit seinem Buch »Ausgepowert - Das Ende des Ölzeitalters als Chance« ein Grundlagenwerk vor. Wer sich in Diskussionen über Energiefragen nicht vor allem auf die eigenen Überzeugungen, sondern auf sachgerechte Argumente verlassen will, findet in dem Buch die nötigen Informationen. Dem Autor gelingt es, bei einem beeindruckenden Reichtum an Detailkenntnissen, immer den Gesamtzusammenhang im Auge zu behalten, der sich als Frage formulieren lässt: Können wir es noch schaffen, unseren Energiekonsum so zu verändern, dass die drohende Klimakatastrophe abgewendet werden kann? Hänggis Antwort: »Wir brauchen, was wir wissen, nur umzusetzen. Ob wir es schaffen, hängt wohl davon ab, wie gut es gelingt, die richtigen Kräfte zu stärken. Derzeit sind die falschen stark.« (273)

»Die richtigen Kräfte stärken« - das ist die Arbeit, die die Umweltbewegungen, insbesondere die wachstumskritischen, in nächster Zeit zu leisten haben. Für die zu erwartenden Auseinandersetzungen bietet ihnen Hänggis Buch eine unschätzbare Argumentationshilfe. Wer die Notwendigkeit einer Suffizienzwirtschaft verstanden hat, aber im Einzelnen nicht immer über die nötigen Sachkenntnisse verfügt, findet im Buch eine Fülle von Fakten und Argumenten für die klima- und energiepolitische Diskussion. Pflichtlektüre also für Leute, die gleichzeitig engagiert und sachlich diskutieren wollen.

Aufklärungsarbeit auf solider Grundlage
Die richtigen Kräfte stärken - das ist Aufklärungsarbeit. Hänggi leistet sie und hilft uns, sie zu leisten, indem er gängige Ansichten, Theorien und Urteile auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft und dann bestätigt oder widerlegt. Die solide Grundlage seiner Thesen ist gegeben durch seine eindrucksvolle Belesenheit und sein scharfsinniges Argumentieren. Dazu statt einer Zusammenfassung des Buchs einige Beispiele als Kostproben:
- Wer immer noch glaubt, unsere Probleme seien vor allem eine Folge der zu großen Bevölkerungszahlen, den belehrt Hänggi eines Besseren, indem er aufzeigt, dass mit dieser Theorie heute wie vor fünfzig Jahren vor allem bestehende politische und wirtschaftliche Machtverhältnisse gestützt - eben die falschen Kräfte gestärkt - werden sollen. (14)
- Wer meint, das Solarenergieprojekt Desertec bezwecke im großen Stil die Substitution fossiler Energieproduktion durch erneuerbare, muss zur Kenntnis nehmen, dass die Investoren das Projekt offensichtlich als zusätzliche Energie- und Einnahmequelle planen und nicht als Ersatz für bestehende. (234)
- Wer der Ansicht ist, die Lösung unserer Energieprobleme sei vor allem eine Frage der Effizienz, dem hält der Autor vor, dass es zum Beispiel angesichts von 1,2 Millionen Verkehrstoten jährlich nicht nur um die Herstellung energieeffizienterer Autos gehen kann, sondern jenseits von Effizienzproblemen um die Frage, was für eine Mobilität wir wollen. (60ff.)
- Wer das Transportmittel Auto als unverzichtbar betrachtet, kann in Hänggis Buch eine kleine Geschichte des Autofahrens nachlesen und dabei erfahren, dass das Auto nie vor allem als Transportmittel gedacht war, sondern von Anfang an als »Sportgerät«, und dass es hauptsächlich dieser Tatsache seinen Erfolg verdankt. (98ff.)
- Wer behauptet, die »Grüne Revolution« sei eine Erfolgsgeschichte der industriellen Landwirtschaft gewesen, erfährt in dem Buch, dass sie vor allem zwei Ziele hatte: in den armen Ländern das Überleben der einheimischen Subsistenzlandwirtschaften zu verhindern und Landreformen vorzubeugen. Entsprechend bescheiden waren - alles in allem - ihre Ergebnisse. (82ff.)
- Wenn im Kampf gegen den Klimawandel oft ein Technologietransfer von den reichen Ländern in die armen als Lösung gefordert wird, so legt Hänggi einleuchtend dar, dass schon bald ein Wissenstransfer in der umgekehrten Richtung angesagt sein dürfte. Wir können nämlich von den armen Ländern Methoden der dezentralen Energieversorgung lernen, die für eine Suffizienzwirtschaft mehr bringen als jeder noch so gut gemeinte Technologietransfer. (235f.)

Diese Beispiele zeigen, was Hänggi unter einer Stärkung der richtigen Kräfte versteht: Es geht ihm im Zusammenhang mit Energiefragen in allen Bereichen um eine Stärkung der autonomen lokalen Strukturen und der Demokratie und um eine Rückbesinnung auf das menschliche Maß. Letztlich geht es ihm um die Frage, in was für einer Welt wir leben wollen. Hänggi plädiert für eine Welt der Bescheidenheit und der Entschleunigung, gibt gute Hinweise und macht Vorschläge, wie der dafür nötige Gesellschaftswandel zu bewerkstelligen sei. Zwar hat auch er kein Patentrezept parat. Aber er scheint auf die Fähigkeit zivilgesellschaftlicher Bewegungen zu vertrauen, die fest zementierten Machtverhältnisse in Wirtschaft und Politik aufzubrechen und so neue, zukunftsverträglichere Formen des Zusammenlebens zu ermöglichen und vorzubereiten.

Kulturelle Wasserscheide
Dem Rezensenten drängt sich zum Schluss eine Feststellung auf: Wäre dieses Buch nicht diesseits der kulturellen Wasserscheide zwischen dem deutschen und dem französischen Sprachraum geschrieben worden, sondern jenseits, so würde Hänggi bald als wichtiger Autor der Décroissance-Bewegung gelten. Wohl möglich, dass er eine solche Zuordnung nicht schätzen würde. Dennoch ist dem Buch dringend eine französische Übersetzung zu wünschen. Sie könnte zur Verständigung zweier Kulturkreise beitragen, die einander heute in Europa und selbst in der mehrsprachigen Schweiz kaum zur Kenntnis nehmen, obwohl sie auf die gleichen Fragen die gleichen Antworten finden.                    



Marcel Hänggi: Ausgepowert - das Ende des Ölzeitalters als Chance. Rotpunktverlag, Zürich 2011. 364 Seiten, 38 Franken/28 Euro, ISBN 978-3-85869-446-1