Konsumieren heute ist fliegen im Blindflug und ohne Bodenhaftung. Doch Kontakt zur Erde wäre auch heute noch möglich – die Erde ist nicht unser Feind!

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Als Kind holte ich die Milch beim Bauern. Die weisse Flüssigkeit, die zusammen mit Blaubeeren und etwas Zucker zu den Köstlichkeiten meiner Kindheit gehörte, kam aus den Kühen. Das wusste ich. Mit einer Mischung aus Feingefühl und Kraft konnte eine Melkerin die Milch den Zitzen entlocken. Dem hatte ich zugeschaut. 

Auch, dass die Kartoffeln in der Erde des Feldes wuchsen, wusste ich als Fünfjähriger schon, denn mit meinen Kameraden half ich dem Kleinbauern, die Kartoffelkäfer von den Blättern der Mutterpflanzen abzusammeln. 

Sogar einen Schmied gab es noch in unserem Dorf in der nördlichen Oberpfalz, der die Hufe der letzten Pferde beschlug, die vor den letzten handbetriebenen Pflügen übers Feld trabten.

 

Die alten Harmonien respektieren

Nein, das war nicht die gute alte Zeit. Die hat es nie gegeben. Aber es war die Zeit einer sich dem Ende zuneigenden Naturnähe, als die Maschine der Konsumgesellschaft endgültig auf Düsenbetrieb umschaltete und zum Abheben beschleunigte – in den sechziger Jahren. 

Seither haben wir aus den Fenstern der immer höher steigenden Konsumgesellschaft auf die tief unten liegende Erde geblickt, seither haben wird den Boden von Mutter Erde unter den Füssen verloren. 

Seither haben wir vergessen, wie unsere Nahrung zustande kommt: Sie braucht den allmorgendlich erneuerten Sonnenschein, sie braucht den kühlenden Wind und den erfrischenden Regen, für sie arbeiten Spitzmaus und Feldlerche, Regenwürmer, Tausendfüssler, Springschwänze, Asseln und Billionen von Mikroben. Dieses unsichtbar gewordene Orchester des Lebens musiziert Tag und Nacht für uns, Sekunde für Sekunde, damit wir zu essen haben – solange wir nicht mit Bioziden und Kunstdünger in die Milliarden Jahre alten Harmonien eingreifen, weil wir es besser zu können meinen.

 

Wissen, was wir nicht wissen wollen

Wer denkt an dieses Orchester, wenn er im Supermarkt die Kartoffeln, die bei uns noch Erdäpfel hiessen, im 2-Kilo-Kunststoffnetz aus dem Metallgitterkorb hebt? 

Wer denkt daran, wenn er die Milch im Tetrapak in den Einkaufswagen legt, den in Kunststoff verschweissten Käse, die ungarische Salami, das griechische Olivenöl oder den französischen Camembert? Oder wenn er, wieder zu Hause, das Tomatenmark kochfertig aus der Tube in die Pfanne drückt? 

In eine Pfanne aus Metall, Kunststoffgriff und Teflonbeschichtung, deren Herstellung und Rohstoffe sich endgültig im industriellen Dunst der globalisierten Gesellschaft verlieren. Und von deren Umständen der Herstellung, von der damit einhergehenden Umweltzerstörung und Artenvernichtung wir gar nichts wissen wollen, damit uns nicht der Appetit vergeht. 

Und diese Pfanne steht auf einem Herd aus einer unbekannten Fabrik, der Herd steht auf einem Betonboden* aus Energie verschlingenden, klimaerhitzenden Werken, der Betonboden ist Teil eines Hauses aus Glas, Ziegel und Tropenholz, weiterem Beton, noch mehr Kunststoff, Kupferkabeln, Styropordämmungen, Raufaser und Edelstahl. 

Und zu diesem Haus führen Netze industrieller Produkte unbekannter Herkunft in einem Land voller solcher Netze und uns fremder Daten. So fliegen wir also im Blindflug wissend von nichts. Selbst wenn wir Kunststoffingenieurinnen oder Diplomchemikerinnen wären, so wären wir Spezialistinnen mit beschränktem Horizont für das Ganze und wüssten von der Erde so gut wie: nichts.

 

Ground Control to Major Tom

Wir alle sind Major Tom, von dem David Bowie in «Space Oddity» sang:

Ground Control to Major Tom
Your circuit's dead, there's something wrong
Can you hear me, Major Tom?

Und Major Tom antwortet:

And I'm floating around my tin can
Far above the Moon
Planet Earth is blue
And there's nothing I can do

 

Vielleicht erinnert uns ja die zunehmende Trockenheit daran, dass es nicht die Maschinen sind, in denen unsere Nahrung entsteht. Man kann das so leicht vergessen, denn wenigstens 90 Prozent dessen, was in den Regalen im Supermarkt steht, ist denaturiert – was man gerne auch «veredelt» nennt –, aufwendig und verführerisch abgepackt und monate-, wenn nicht jahrelang haltbar. 

Alle diese Produkte sind tatsächlich in einer Fabrik entstanden, anonym, hygienisch, weitestgehend ohne Menschenkontakt und ohne jeden Erdkontakt. Und doch, wenn man innehält und es zu Ende denkt: Alles, auch das Metall für die Maschinen und das Erdöl für ihren Antrieb, entstammt der Erde, und ohne diese Erde ist alles nichts. 

 

Noch ist Bodenkontakt möglich

Höchste Zeit also, zur Landung anzusetzen, Major Tom. Ich weiss, im Song ist dir das nicht mehr möglich, die Proteinpillen gehen langsam zur Neige und die blaue Mutter Erde wird kleiner und kleiner... aber so dystopisch wollen wir doch nicht denken. 

Wir sind zwar derart abgehoben, dass wir den verlorenen Bodenkontakt noch nicht einmal mehr bemerken. Doch möglich ist er noch. Dazu ist nicht mehr nötig, als innezuhalten, zwischendurch die Energiezufuhr fürs Hamsterrad auf Null zu schalten, nach draussen bzw. nach unten zu schauen, was da so lebt und webt und nur darauf wartet, uns die Hand zu reichen. 

Die Erde ist uns nicht feind, solange sie noch lebt. Übrigens: Hoch über den Feldern, auf halbem Weg, heissen uns die letzten Lerchen willkommen.

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* Zur Herstellung eines Kubikmeters Beton der Festigkeitsklasse C25/30 werden ungefähr 300 kg Zement, 180 l Wasser sowie 1890 kg Zuschläge benötigt. (Wikipedia)