Corona bringt Armut und Hunger

Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise werden immens sein – weltweit. Regionen aber, die bereits vor Corona mit Missständen zu kämpfen hatten, werden besonders betroffen sein. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass die Pandemie die Zahl der Menschen in Armut in Lateinamerika und der Karibik um 45 Millionen steigen lässt.

Bolivien ist von der Krise schwer betroffen. In La Paz haben regierungskritische Demonstranten protestiert.

Grosse Sorge in Lateinamerika und in der Karibik: In vielen Ländern dieser Region stehen die Menschen nach wie vor unter Quarantäne oder dürfen sich nur wenig ausserhalb ihrer Häuser bewegen – Arbeit, Geld und Lebensmittel fehlen aber von Tag zu Tag mehr. Als Folge der Coronakrise werden Ende des Jahres 37,3 Prozent der Bevölkerung in Armut leben. «In Sachen Armut wird die Region um zwanzig Jahre zurückgeworfen», sagte Alicia Bárcena von der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik (Cepal). «Wir schätzen, dass die Zahl der Menschen in Armut um 45,4 Millionen zunehmen wird“, erklärte Bárcena während der Vorstellung des Reports zu Covid-19 diesen Juli.

Die Cepal vereint 33 Staaten aus der Region, in denen rund 620 Millionen Menschen leben. Zu den Folgen des weltweiten Lockdowns – wie dem Einbruch beim Handel und dem Sinken der Rohstoffpreise – kommen in Lateinamerika und der Karibik der Zusammenbruch der Tourismusindustrie und das Ausbleiben von Überweisungen von Angehörigen, die in der Ferne arbeiten.

Noch im vergangenen Dezember hatte die Cepal ein moderates Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 1,3 Prozent für 2020 prognostiziert. Aktuell rechnet sie mit einem Absacken der Wirtschaftsleistung im Schnitt um 9,1 Prozent. «Der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit ist so gross, dass das Pro-Kopf-Einkommen Ende 2020 auf den Stand von 2010 sinken wird», erklärt Bárcena. 2,7 Millionen Unternehmen werden im laufenden Jahr schliessen, davon 2,6 Millionen Kleinst- und Mittelbetriebe. Als Folge steigt die Arbeitslosenquote bis Ende 2020 auf 13,5 Prozent.

In der Regionen arbeiten zudem unzählige Menschen im informellen Sektor, zum Beispiel als Strassenhändler. In den aktuellen Zahlen und Einschätzungen ist dieser Sektor nicht erfasst – viele Menschen also, die bereits vor der Krise in ärmlichen Verhältnissen lebten und die jetzt wohl in extreme Armut fallen werden. Die Cepal-Chefin warnt davor, die Region alleinzulassen. «Die nationalen Bemühungen müssen durch internationale Zusammenarbeit unterstützt werden, wie etwa eine verstärkte Finanzierung zu günstigen Konditionen und einen Schuldenerlass», so Bárcena. Als eine soziale Schutzmaßnahme schlägt die Cepal die Einführung eines «Bonus gegen den Hunger» vor. Dieser würde nach ihren Berechnungen jährlich 27,1 Milliarden Dollar kosten.

Die Sorge bei den Menschen in den lateinamerikanischen Ländern nimmt zu. Unmut macht sich breit. In Bolivien haben sich tausende regierungskritische Demonstranten über die Corona-Restriktionen hinweggesetzt und sich letzte Woche in der Regierungstadt La Paz versammelt. Sie protestierten gegen die zahlreichen Entlassungen und gegen Mängel im Gesundheitswesen.

20. Juli 2020
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