Der Kampf um Aufmerksamkeit

Landwirtschaftspolitik hat Hochkonjunktur. Eine Flut von Initiativen wird in den nächsten Jahren über die StimmbürgerInnen hereinbrechen. Schon heute kann man voraussagen, dass sich an der Ausrichtung des soeben fein justierten agrarpolitischen Regelwerks nichts ändern wird. Das bremst den Elan der InitiantInnen nicht, ihre Ziele liegen anderswo, mit einer Ausnahme.

Wenn man die Namen der fünf hängigen agrarpolitischen Initiativen vor dem inneren Auge paradieren lässt, könnte man meinen, in den helvetischen Ställen und auf den Äckern zwischen Genf und Rorschach stehe der letzte Tag kurz bevor: Für Ernährungssicherheit! Gegen Nahrungsmittelspekulation! Fair Food! Für die Würde des Tieres! Für Ernährungssouveränität! lauten die Appelle. Dabei können sich die Schweizer Bauern und ihre echten und opportunistischen Freunde keineswegs beklagen. Die heimische Landwirtschaft floriert, die Einkommen sind stabil bis steigend, die Liberalisierungsschritte (an denen die EU noch schwer zu beissen hat) sind vollzogen und die Kräfteverhältnisse trotz weiter schrumpfendem Bevölkerungsanteil stabil. Unlängst gelang es dem Bauernverband und seinen Vertretern im Parlament, eine minime Kürzung der Direktzahlungen rückgängig zu machen. Die NZZ titelte mit einer Mischung aus Respekt und liberaler Verzweiflung: «Die Bauern sind wieder auf dem Vormarsch».


Kein natürlicher Bauernbonus mehr
Diese aber – wenn man die Stimmen der verbandstreuen Vertreter auf allen Stufen zum Massstab nimmt – sind weit entfernt davon, zufrieden zu sein. Sie würden durch das 2014 in Kraft gesetzte Gesetzespaket Agrarpolitik (AP) 2014/17 zu ökologiepflichtigen Landschaftsgärtnern degradiert, lautet einer der bevorzugten Vorwürfe an die Politik, dem landwirtschaftlichen Unternehmertum würden systematisch Knüppel zwischen die Beine geworfen. Nun, an der einen oder anderen Geranienkiste sind dem Gesetzgeber die Amtsschimmel in der Tat durchgebrannt, man denke etwa an die Landschaftsqualitätsbeiträge, die je nach kantonaler Interpretation ziemlich absurde Blüten treiben. Aber das sind nur Blumenrabatten an einem Feldweg, der insgesamt konsistent in die richtige Richtung gebaut und verfassungskonform ist. Wenn Väterchen Staat alljährlich gut drei Milliarden über der Scholle ausschüttet, dann wird man ihm Mitbestimmungsrecht einräumen müssen, alles andere würde von der nach wie vor sehr bauerntoleranten 98-prozentigen nicht-bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit wohl nicht goutiert.


Dies zu ignorieren, wie das viele Bauernvertreter gerne tun, birgt Risiken. Der Geduldsfaden ist dünner geworden. Die Schweiz entwickelt sich zur Grossagglomeration, und die Zeiten, als jede Städterin und jeder Stimmbürger noch mindestens einen Grossätti oder eine Tante mit bäuerlichen Wurzeln hatte, sind vorbei. Es gibt keinen natürlichen Bauernbonus mehr, auf den sich viele Landwirte und Bäuerinnen wie selbstverständlich zu verlassen scheinen. Gleichzeitig wollen die bürogestressten Miteidgenossen ein gewichtiges Wort mitreden, wenn es um die Gestaltung ihrer Speisepläne und der letzten Grünräume geht, zu denen halt häufig auch Landwirtschaftsland gehört. Ein wenig Verständnis für diese Bedürfnisse – Stichwort Gewässerrenaturierung – stünde dem Durchschnittsbauern gut an. Solidarität kann keine Einbahnstrasse in Richtung der Bauern sein, zumal man jetzt, nach der massiven Abwertung des Euros, umgehend auf zusätzliche Unterstützung des Bundes für den Milchmarkt angewiesen sein wird.


Eine Mischung aus Trotzreaktion und Machtdemonstration
Wie soll man also den politischen Aktivismus deuten, den die traditionelle Bauernlobby derzeit umtreibt? Die Ernährungssicherungsinitiative ist eine Mischung aus Trotzreaktion und Machtdemonstration. In der Debatte um die AP 2014/17 war es dem Schweizer Bauernverband (SBV) und der über 20-köpfigen Bauerndelegation im Parlament anders als in früheren Debatten nicht gelungen, die gewünschten Korrekturen vorzunehmen, sprich die erhöhten ökologischen Anforderungen zu entschärfen. Deshalb griff man zum demokratischen Zweihänder und schritt zur Unterschriftensammlung. Und wie: Innert drei Monaten, einem Sechstel der offiziellen Sammelfrist, wurden die nötigen 100 000 Signaturen locker um 50 Prozent übertroffen.


Die Sammlung für die Initiative für Ernährungssicherheit wurde zwar begünstigt durch den relativ zahnlosen Text, der in erster Linie eine Rückkehr zur produzierenden Landwirtschaft und einem nicht näher definierten Selbstversorgungsgrad fordert. Letztlich ist der Inhalt aber sekundär, es ging viel mehr darum, dem politischen Establishment vor Augen zu führen, dass die Bauern nach wie vor nach Belieben referendumsfähig und deshalb politisch ernst zu nehmen sind. Der Bundesrat reagierte umgehend mit einem ähnlich harmlosen Gegenvorschlag, eine Art Ritterschlag für die Mannen um SBV-Präsident Ritter. Die Initiative ist keineswegs chancenlos, sollte sie aber angenommen werden, wird deswegen kein Prozent mehr Inlandware verkauft werden. Die Sortimentsgestaltung im Detailhandel wird längst anderswo – bei den zwei orangen Riesen – festgelegt. Vielmehr würde die politische Macht der Bauern gestärkt, was ihnen hülfe – und das entbehrt nicht der Ironie -, künftig noch besser dazustehen, wenn es darum geht, Bundesmanna lockerzumachen; genau das Gegenteil von dem, was ein produzierender Landwirt und Unternehmer eigentlich für wünschenswert halten sollte.


Der Stiefelwerfer: Kampf um Aufmerksamkeit
Vollkommen anders ist die Ausgangslage für die Bauerngewerkschaft Uniterre und ihr Volksbegehren «für Ernährungssouveränität». Uniterre ist eine kleine Gruppe mit 2000 Mitgliedern, die ein einziges Mal wirklich Schlagzeilen machte: als einige ihrer Vertreter mit (sauberen) Gummistiefeln nach Alt-Agrarministerin Leuthard warfen. Das dürfte der Organisation in der politisch immer noch relativ gesitteten Schweiz allerdings mehr geschadet als genützt haben. Der Bauerngewerkschaft mit Verwurzelung in der Westschweiz fehlt eine charismatische Leaderfigur wie José Bové, ehemals Sprecher der französischen «Confédération paysanne». Mit ihrem Vorstoss kämpft Uniterre deshalb primär für das rare Gut Aufmerksamkeit, um so die schmale Basis zu stärken. Das Ansinnen – im Zentrum steht die Förderung einer bäuerlichen Landwirtschaft durch verstärkten Grenzschutz kombiniert mit der Unterstützung von Direktvermarktung und der Stärkung von bäuerlichen Angestellten auf dem Arbeitsmarkt – ist durchaus löblich. Nur ist die Initiative so gut wie chancenlos, falls es den Bauerngewerkschaftern überhaupt gelingen sollte, die nötigen Unterschriften zusammenzubringen.


Auch für linke Parteien ist das Thema «heiss»
Um Aufmerksamkeit kämpfen auch die Grünen mit ihrer Fair-Food-Initiative und die JungsozialistInnen (Juso) mit ihrem Vorstoss gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln. Beiden Formationen geht es – wie leider unterdessen üblich, wenn Parteien Volksbegehren lancieren – primär um mediale Begleitung im Vorfeld der Wahlen vom kommenden Herbst. Dass beide Parteien ihr Heil in landwirtschaftlich-ernährungstechnischen Fragen suchen, ist trotzdem interessant. Das zeigt, dass die Themen, ungeachtet des politischen Standpunkts, «heiss» sind. Die Linke überliess dieses Feld bis weit in den Herbst des vergangenen Jahrhunderts weitgehend bürgerlichen Politikern. Erst mit dem Aufkommen der Grünen erlangten oppositionelle Bauern Parlamentssitze und Einfluss. Dieser ist eher gewachsen, seit sich die Konsumenten und Konsumentinnen weit über Kühltheke und Verkaufsregal hinaus für die Herkunft ihrer Nahrungsmittel interessieren.


Mit «Fair Food» streben die Grünen eine Erhöhung der Produktionsstandards auch für eingeführte Lebensmittel an. Importware soll durchwegs helvetischen Standards genügen. «Der Bund stärkt das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität und sicher sind, und die umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden», heisst es im Text. Zudem soll er «die Anforderungen an die Produktion und die Verarbeitung festlegen». Das tönt schön und ist trotzdem keine vielversprechende Perspektive. Auch wer, wie der Schreibende, ein relativ etatistisches Politikverständnis pflegt, kann nicht wirklich dafür sein, dass der Staat seine ohnehin schon ausgeprägte Regulierungsaktivität im Landwirtschaftsbereich noch weiter ausbaut. Denn wenn er es trotz intensivster legislativer Tätigkeit nicht einmal im Inland schafft, diese Anforderungen flächendeckend durchzusetzen, wie sollte er es denn auf globaler Ebene verwirklichen können? Solche Impulse müssen nachfrageseitig primär von der Käuferschaft kommen. Diese wird man mit einem Verfassungsartikel nicht zum Gesinnungswandel zwingen können. So wenig wie man im Grundgesetz das friedliche Zusammenleben aller Menschen dekretieren kann.


Vielmehr braucht es einen Bewusstseinswandel, der hierzulande schon recht weit fortgeschritten ist, wie der verhältnismässig hohe Anteil an naturfreundlich heranwachsendem Gemüse und Früchten sowie von tiergerecht gewonnenen Fleisch- und Milchprodukten zeigt. Die Schweiz ist etwas klein für die Rolle des Weltverbesserers auf den internationalen Agrarmärkten. Das äussert sich auch (für die Schweizer Bauern und Detailhändler sehr schmerzhaft) darin, dass eine grosse Mehrheit der Bevölkerung in weniger als einer Stunde ins Ausland fahren und dort nach Gutdünken günstiger einkaufen kann; ein Freizeitspass – und sei er noch so unerwünscht –, der im Falle einer Annahme von «Fair Food» mit Garantie noch verstärkt in Mode käme.


Ähnlich verhält es sich mit dem Spekulationsstopp der Juso. Klar, die Schweiz ist einer der wichtigsten Rohstoffhandelsplätze, wenn auch nicht primär für Agrarprodukte. Trotzdem könnte man mit einem Ja zum jungsozialistischen Ansinnen durchaus den einen oder anderen Spekulanten in Verlegenheit bringen. Erfahrungsgemäss ist die Halbwertszeit solcher Massnahmen aber äusserst gering. Die Finanzindustrie hat in den letzten Jahren zur Genüge bewiesen, dass ihr die Landesgrenzen etwa gleich viel bedeuten, wie einem durchschnittlichen Juso das WEF, nämlich so gut wie nichts. Eine Regelung auf Schweizer Ebene würde am weltweiten Hunger und der prekären Versorgungslage aber mit Garantie nichts ändern. Leider führt so eine Initiative auch nicht zu wirklich breiten Diskussionen an der Basis, gerade auch zur Nahrungsmittelspekulation, wo kaum ein Normalbürger durchblickt, und sich selbst kritische Spezialisten uneinig sind, in welchem Mass sie verantwortlich sind für die Misere auf den betroffenen Märkten.


Hornkühe versus Geranienkisten
Bleibt noch die IG Hornkuh und ihre Initiative für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere. Was sie angenehm unterscheidet von sämtlichen anderen Vorstössen, ist, dass die InitiantInnen nichts im Schild führen ausser dem, was sie verlangen: finanzielle Unterstützung für die Halter von behornten Kühen und Ziegen. Ob Kühe Hörner tragen sollen, darum geht es weniger, hier hat die Mehrheit der Viehhalter längst entschieden. Mindestens drei Viertel der Tiere sind enthornt. Vielmehr geht es darum, ob der erhöhte Aufwand für die Haltung und Pflege behornter Tiere und damit auch für Tourismusförderung und Landschaftspflege entschädigt werden sollen. Nun mag man monieren, dass auch dies keine Staatsaufgabe sei. Doch solange der Bund Beiträge für schöne Bauerngärten und das Einsammeln von Kuhfladen mitunterstützt, sollten für dieses Anliegen, das tierschützerisch recht gut begründet ist, auch noch ein paar Fränkli bereitliegen. Allzu grosse Hoffnungen sollten sich die InitiantInnen aber nicht machen. Die bäuerlichen Verbände bekämpfen das Anliegen ziemlich vehement, und damit schliesst sich der Kreis zur ersten Initiative, die den Einfluss dieser Kreise eher stärkt, was ihnen das Parieren des Angriffs der Hornfreunde vermutlich noch leichter machen wird.


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Adrian Krebs (Dipl. Ing. Agr. ETH) ist seit 2013 Hausjournalist und Medienbeauftragter am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL). Vorher war er 13 Jahre Redaktor bei der NZZ. Daneben führt er als «Polizist für agrarpolitische correctness» einen Blog mit reichlich Klartext zu Scholle, Konsum und Politik: adisagroblog.wordpress.com