Hacken ist ein spielerischer, tüftelnder Weg zur Lösung eines Problems. Der Begriff aus der Computertechnologie hat seine Bedeutung längst verallgemeinert. Hacken lassen sich alle möglichen Dinge, auch die Arbeit und die Organisationen, in denen sie verrichtet wird.

(Foto: sipgate

Ein Buch wurde zum Bestseller: «Geranien & Kaffeesatz», ein Ratgeber für die prekären Fälle im Alltag. Flecken auf der Kleidung, Wachs im Teppich – Mary Allen wusste Rat. Mit ihren ungewöhnlichen Haushaltstipps hatte sie eine Marktlücke entdeckt. Haushaltstipps?

Heute sagt man «Lifehacks» dazu. Tipps waren mal, heute ist Hacken. Der Unterschied indes ist alles andere als marginal. «Tipp» stammt vom englischen «tip» für «Andeutung», «geheime Information», «Wink» und kommt aus dem Pferderennsport. Empfehlungsrichtung: vom Insider oder Experten an jemanden, der weniger weiss. Lifehacks hingegen sind anders. Inhaltlich mag sich ein Geranien-und-Kaffeesatz-Tipp von einem Lifehack vielleicht gar nicht so sehr unterscheiden. Sehr wohl aber in der Haltung. Sie ist grundlegend anders.

Ein Lifehack ist eben kein Top-down-Tipp von einem höheren Wissenslevel zu einen niedrigeren, sondern eine ungewöhnliche, kreative Lösung für ein Problem. Eine Lösung, die nicht durch Expertenstatus, sondern ihre pfiffige Art für sich einzunehmen sucht. Die Haltung ist nicht mehr: «Dünge deine Geranien mit Kaffeesatz!», sondern «Hey, wenn du Kaffee trinkst, probier doch mal aus, die Geranien mit Kaffeesatz zu düngen.»

Vom Hack zum Lifehack
Dieses Probieren ist schon beim Hacken selbst ein zentrales Motiv. Hacken meint laut Wikipedia «Tüfteln im Kontext einer verspielten selbstbezüglichen Hingabe im Umgang mit Technik». Oder auch «eine rasch erstellte, ‹unschöne› und ungeschliffene Anpassung», eine temporäre Problemlösung. Gemeinsam ist beiden Bedeutungen, dass eine experimentelle oder schnell zusammengezimmerte, also keinesfalls fertige und bewährte Problemlösung angeboten wird. Schnell und effektiv soll ein Hack sein und kann dabei auch unelegant daherkommen, so Wikipedia – und ganz wichtig: Ein Hack «erreicht das gewünschte Ziel, ohne die Systemarchitektur, in die er eingebettet ist, komplett umformen zu müssen, auch wenn er im Widerspruch zu ihr steht». Der spielerische, tüftelige Zugang zum Problem ignoriert die Logik des Systems, die dieses hat entstehen lassen – und öffnet gerade damit die Tür zu einer kreativen, ungewöhnlichen Lösung. Die funktioniert dann zwar im System, lässt dieses aber alt aussehen.

Schnell und effektiv soll ein Hack sein und kann dabei auch unelegant daherkommen.

Von der Technik sprang der Begriff bald zum alltäglichen Leben über. «Life» und «Hack» wurden zu «Lifehack». Der Begriff verbreitete sich schnell im Internet, wurde 2005 von der American Dialect Society zum zweitnützlichsten Wort des Jahres gekürt (nach Podcast) und fand Eingang in den «Oxford Dictionary». In der Folge entwickelte sich eine wahre Flut von Publikationen in Zeitschriften, Büchern und im Web. Abertausende von kreativen Minilösungen tummeln sich in den Sammlungen – wie man Handy-Kopfhörer aufrollt, ohne Kabelsalat zu produzieren, wie man Foldback-Klammern zu Kabelführungen umfunktioniert oder Knoblauchzehen schält, ohne ewig an der feinen Schale herumzufummeln. Und, und, und.  

Hacking Work
Und weil die Arbeit im Leben immer wichtiger wird, war es vom Lifehack zum Work Hack nicht weit. Wer den Begriff letztlich erfunden hat, lässt sich wohl nicht mehr klären. Die erste umfassende Publikation, die die beiden Begriffe «Work» und «Hack» zusammenführt, ist das Buch «Hacking Work» von Bill Jensen und Josh Klein, erschienen 2010 bei Penguin. Für Jensen und Klein ist Hacking Work ein Weg, um Effizienz und Arbeitszufriedenheit zu steigern. «Hacken ist eine starke Lösung für all die stupiden Vorgänge, Werkzeuge, Regeln und Prozesse, die man uns im Büro aufzwingt.» Die Top-Performer von heute nehmen die Dinge selbst in die Hand, schreiben Jensen und Klein. Ihre Mittel: «heilige Strukturen umgehen, verbotene Werkzeuge einsetzen und dumme Konzern-Erlasse ignorieren». Für Jensen und Klein ist Hacken der Kern von Innovation schlechthin: «Die Geschichte des Hackens ist die Geschichte der Innovation.»

Zur Ideengeschichte von Work Hack gehört auch der Entrepreneur Jason Shah, der – allerdings ohne den Begriff selbst zu nennen – in einem Aufsatz vier wissenschaftlich fundierte «simple life hacks for enjoying work every day» vorstellt. Hack 1: «Probiere jeden Tag etwas Neues aus.» Hack 2: «Bleibe fit, aktiv und gesund.» Hack 3: «Verwende deine Zeit weise.» Und Hack 4: «Vertrödle keine Zeit in Meetings.» Simple Regeln, die helfen sollen, die Komplexität des Arbeitsalltags zu meistern. 

In diese Richtung zielt auch der Ansatz der Unternehmerin und Futuristin Julia Roy, die sich als Miturheberin des Begriffs Work Hack bezeichnet und die englische Website workhacks.com hält. Sie publiziert Productivity Guides als E-Books und will neurowissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, um die Art und Weise, wie wir arbeiten, zu verändern. Produktivität als Ziel – damit sind diese Work Hacks nah an den Lifehacks, die stets auf eine effiziente Lösung abzielen.

Work Hacks in Organisationen
Im Unterschied dazu ist die Auslegung des Begriffs in Deutschland weniger auf persönliche Produktivität und Arbeitszufriedenheit gerichtet, sondern klar auf die Verbesserung der Zusammenarbeit. Die deutsche Domain hat sich die Berliner Organisationsentwicklerin und Co-Autorin des Buches «Management Y» Lydia Schültken gesichert. Das erste Buch stammt dennoch nicht von ihr. Schneller war das Düsseldorfer Telefonieunternehmen Sipgate, das schon 2016 das Buch «24 Work Hacks» auf den Markt brachte.
2010 hat Sipgate angefangen, agil nach Scrum (eine Art der Softwareentwicklung, von engl. scrum = Gedränge) zu arbeiten. «Das Buch zeigt, was wir dabei gelernt haben.» Eine Erklärung, was Work Hacks denn sein sollen, findet sich im Buch indes nicht. Es geht einfach los. Und die Work Hacks selbst sind so unterschiedlich, dass sich eine Definition oder auch nur ein gemeinsamer Begriff nicht unmittelbar erschliesst. Lean, Agile, Scrum und Kanban sind ebenso als Work Hacks angeführt wie crossfunktionale Teams, Stand-up-Meetings, Pairing, Peer Recruiting, Peer Feedback, die Retrospektive aus der Scrum-Methodik oder – wie bei Sipgate - originelle Vorschläge wie «alles vollkleben», «Selbermachen» oder «eigenes Restaurant».

Wer hier ein wenig stutzt, findet sich beim letzten Hack bestätigt: «Kommt vorbei» ist eine Einladung, das Unternehmen bei einer Abendveranstaltung oder einer Einladung zum Essen näher kennenzulernen. Hier scheint auch der eigentliche Zweck des Buches zu liegen: Es ist eine zweifellos attraktive Selbstdarstellung des Unternehmens im Sinn von Employer Branding. Vor ein paar Jahren hätte man so etwas wahrscheinlich als Unternehmensbroschüre noch kostenlos verteilt. Heute verlangt das Unternehmen immerhin fast 25 Euro dafür. Employer Branding mit Selbstbeteiligung. Ein Nutzwert ist dem Buch aber keinesfalls abzusprechen. Die Texte von Tim Moos und Corinna Baldauf sind prägnant und gut geschrieben, die Fotos von Oliver Tjaden ansprechend und sehr gelungen. Insgesamt bietet das Buch eine anschauliche und inspirierende Darstellung, wie ein Unternehmen komplett anders organisiert werden kann. Und wer nach Work Hacks sucht, um seine eigene Arbeit oder Zusammenarbeit zu hacken, wird in dem Buch zweifellos fündig. Die Work Hacks sind gut beschrieben und dem Anschein nach leicht nachzuvollziehen. Drei Beispiele.

■ Alles vollkleben: Was in Meetings gedacht, erarbeitet und priorisiert wird, mit bunten Stickies an den Wänden der Teamräume und Flure veranschaulichen. Ziel ist, «dass jeder ganz einfach sehen kann, woran wir gerade arbeiten und was uns beschäftigt».
■ Pairing ist eine Praxis aus extreme programming. Dabei teilen sich zwei Entwickler einen Rechner, der eine tippt, der andere hält den Überblick, und die Partner wechseln die Rollen regelmässig und häufig. Bei sipgate eine allgemeine Praxis: «Wir pairen übrigens nicht nur beim Programmieren, sondern auch bei vielen anderen Aufgaben und über Rollen hinweg.»
■ Selbermachen macht nicht nur unabhängig von externen Anbietern, sondern ist auch die Voraussetzung dafür, kreative, eigene Lösungen zu entwickeln. Bei Sipgate gilt die Selbermachmentalität selbstredend auch für die Entwicklung der eigenen Organisation.  Das Buch bietet eine Fülle solcher Anregungen.

Workhacks werden als Experimente eingeführt und konsequent wieder abgeschafft, wenn sie nicht hilfreich sind.

Veränderungsdesign für die Organisationsentwicklung
Im Herbst 2017 ist nun das Buch «workhacks» (klein und zusammengeschrieben) auf den Markt gekommen, das Lydia Schültken zusammen mit einem Autorenteam verfasst hat. Es stellt in sechs Kurzgeschichten aus der Arbeitswelt Workhacks vor und gibt so Einblick in deren Funktionsweise, verbunden mit der Aufforderung, selbst welche zu erfinden: «ebenso minimalinvasiv, praxisnah und mit grosser Hebelwirkung» sollen sie sein wie die im Buch vorgestellten. Diese sind: Workhack Fokuszeit – Zeitinseln für konzentriertes Arbeiten; Slack Time – wie freie Zeit zu Innovationen führt; Timeboxing – durch Zeitbegrenzung zu mehr Produktivität; Stärkenfokus – Stärken gezielt nutzen; Retrospektive – eine Kultur der Offenheit fördern. Und schliesslich der Workhack Y-Talk – das Warum-Experiment.

Schültken und ihre Co-Autoren präsentieren  Workhacks als Veränderungsdesign für die Organisationsentwicklung. Dies basiert auf der Erfahrung, «dass die Veränderung von sowohl grossen als auch kleinen Unternehmen im Ganzen nicht planbar ist». Dieses Veränderungsdesign basiert auf vier Prinzipien: Erstens verändern Workhacks Arbeitsabläufe und durchbrechen eingefahrene Routinen. Zweitens werden Workhacks nicht von oben angeordnet, sondern jedes Team entscheidet für sich selbst. Drittens werden Workhacks «als Experimente eingeführt und konsequent wieder abgeschafft, wenn sie nicht hilfreich sind». Und viertens können Workhacks schnell eingeführt werden, ohne langwierige Entscheidungen und tiefschürfende Analysen. Ganz entscheidend ist der Unterschied zum klassischen Change, den Lydia Schültken anspricht: «Veränderung kann man nicht kognitiv vermitteln, Veränderung muss man spüren.»  

Winfried Kretschmer ist Chefredaktor der Website www.changeX.de, eines Online-Mediums für Zukunftsideen, neue Wirtschaft und Innovation.