Die Kunst, aus wenig viel zu machen

Gibt es einen östlichen Weg für ein glücklicheres und nachhaltiges Leben? Die japanische Ökonomin Junko Edahiro ist fest davon überzeugt.

Das japanische Institut für Glückss­tudien, Ökonomie und Gesellschaft (ISHES) von Junko Edahiro macht regelmässige Erhebungen und berät Menschen und Unternehmen auf der Suche nach einem guten Leben abseits der Konsumgesellschaft. Das Inselreich liefert viele gute Beispiele.

Was wir nicht haben, brauchen wir auch nicht
Auf Ama, drei Stunden Bootsfahrt von der Hauptinsel entfernt, leben gerade einmal 2370 Einwohner. Wie viele ländliche Regionen in Japan ist Ama vom demografischen Wandel besonders stark betroffen. Die Bevölkerung altert und schrumpft besonders schnell. 2005 hat die Gemeinde beschlossen, den Kampf um ihre Zukunft in die eigene Hand zu nehmen. Der Bürgermeister kürzte sein Gehalt um 50 Prozent und das der anderen städtischen Mitarbeiter auch – allerdings nicht ganz so radikal. Alle frei werdenden Haushaltsmittel wurden in Massnahmen investiert, um die Region nachhaltig zu stärken und zu verjüngen. Ama ermutigte seine Jugend, die Hochschule zu besuchen und umwarb mit Hilfe von Stipendien und Austauschprogrammen Festlandjapaner und ausländische Studenten, in Ama zu studieren. Beides mit grossem Erfolg.
Zeitgleich starteten die Verantwortlichen eine eigenständige Regionalentwicklung unter dem Motto «Naimono-wa-nai», bedeutet so viel wie: «Was wir nicht haben, brauchen wir nicht, weil wir alles, was wir wirklich brauchen, hier finden und/oder selber herstellen können.»
Die Investition in die Jugend und in kulturelle Vielfalt hatten ebenso Erfolg wie die Ermutigung, die eigenen Fähigkeiten und den Reichtum der Natur zum Ausgangspunkt von Innovationen zu machen. Neue Produkte wurden entwickelt und eine wachsende Zahl  an Start-ups trägt dazu bei, dass junge Menschen sich wieder eine Zukunft auf Ama wünschen und sie sogar selber in die Hand nehmen.

Im Einklang mit den inneren Bedürfnissen
Auch Nishiawakura, ein kleiner Landkreis westlich von Kyoto, hat einen Weg gefunden, die Zukunft der Region zu sichern.  2008 präsentierten die Bürger ihre «Jahrhundertvision» für die nächsten 50 Jahre. Denn so wie die älteren Bewohner Nishiawakuras vor 50 Jahren in die Zukunft investiert und für nachfolgende Generationen vorgesorgt haben, indem sie die Wälder der Region pflanzten und bewahrten, ist es heute das Ziel Nishiawakuras alles zu tun, damit die Menschen auch in 50 Jahren noch gut leben können und die Gemeinde als Ganzes blüht und gedeiht.

Der Mensch ist Getriebener einer Energie, die ihm vorgaukelt, dass alles noch immer nicht gut genug ist.

Ausgehend von der Beobachtung, dass die meisten Menschen entweder zum Typ «Jäger» oder zum Typ «Landwirt» gehören, hat der Landkreis zwei Strategien entwickelt, die es der Jugend und Neubürgern ermöglichen, ihre eigene Visionen zu finden und zu leben. In der «Nishiawakura Local Venture School» wurden in den letzten drei Jahren über 100 Start-ups betreut und die Gründung von 13 Unternehmen ermöglicht, die 2017 über 800 Millionen Yen (7,2 Millionen Dollar) Umsatz gemacht haben. Wer nach der ersten Phase der Businesspläne zur Förderung ausgewählt wird, bekommt ein umfassendes Coaching und schliesslich das Kapital für die Gründung. Über die ganze Zeit hinweg werden die Jungunternehmer immer wieder ermutigt, sich die Frage zu stellen: «Ist das, was du jetzt planst, wirklich im Einklang mit deinen tiefsten inneren Wünschen?» Und wer zum Typ «Landwirt» gehört und seinen Ruf noch nicht gefunden hat, kann am Nishiawakura Local Life Laboratory (LLL) teilnehmen und ein Jahr lang mit der Dorfgemeinschaft leben, um auf diese Weise herauszufinden, was in ihm steckt.
Nishiawakura ermöglicht so den Menschen, die der Hektik der Grossstädte entfliehen wollen, den eigenen Bedürfnissen auf den Grund zu gehen – in einem Dorf, das den Zuzügern mit grosser Wärme begegnet.

Den gefühlten Mangel überwinden
Aus wenig viel zu machen ist nach Junko Edahiros Überzeugung tief in der japanischen Kultur verankert und hat seine Wurzeln sowohl in den geistigen Traditionen (Zen) als auch in der Geschichte Japans. Buddhas wichtigste Lehre beruht auf seiner Erkenntnis, dass der Mensch Getriebener einer Energie ist, die ihm immer wieder vorgaukelt, dass alles noch immer nicht gut genug ist. Um diesen gefühlten Mangel zu beheben, seien die Menschen im Westen bereit, sehr hart zu arbeiten, um Karriere zu machen und ihren Besitz zu mehren. Der östliche Weg hingegen erfordere das Loslassen unserer Begierden.  Man könnte es auch mit den Silben «sho-yoku-chi-soku» beschreiben, was so viel bedeute wie «ich werde Zufriedenheit erfahren, wenn ich weniger brauche». «Ich glaube», sagt Junko Edahiro, «wir Asiaten sollten den Gedanken der Suffizienz, der Genügsamkeit und des Respektes vor den Grenzen der Natur in die Welt tragen. Denn das ist es, was uns letztlich dauerhaft glücklich macht.»

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