Die nächste Stufe

Brennende Bärte
«Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.»

Das ist doch das grosse Glück: wenn sich selbst die unangenehmen Dinge im Leben zum Guten wenden. Wer diese Kunst beherrscht – oder diese Gnade empfangen hat – wird auf die nächste Stufe des Menschseins befördert. Nichts kann einen erschüttern. So weit bin ich allerdings noch nicht. Ich blicke mit sieben Milliarden anderen Menschen auf die Welt und frage mich: Wie um Himmels willen soll das gut herauskommen?

Meine grossen Fragezeichen liegen u. a. in der Ukraine. Dort hat nach Angaben der dem Regime freundlich gesinnten Kyiv Post George Soros zwei internationale Headhunterfirmen bezahlt, um drei neue Minister zu finden. Das Resultat: Finanzministerin wurde die Amerikanerin Natalie Jaresko, eine hochrangige Mitarbeiterin der US-Botschaft in Kiew und zuletzt Chefin des Hedgefonds Horizon Capital. Wirtschaftsminister wurde der Litauer Aivaras Abromavicius, auch er ein Hedgefondsmanager bei East Capital, Gesundheitsminister wurde der Georgier Alexander Kwitaschwili, der vorher als Gesundheitsminister Georgiens die Krankenversorgung durch massive Einschnitte «saniert» hatte. Alle drei wurden am 2. Dezember, dem Tag ihrer Amtseinführung, zu ukrainischen Staatsbürgern gemacht. Ich selber bewerbe mich hiermit bei Soros um den Posten des Wahrheitsministers, werde aber im Falle einer Ernennung Bürger der Schweizerischen Eidgenossenschaft bleiben.

Nicht nur ich mache mir Sorgen, auch der frühere deutsche Bundespräsident Roman Herzog, die früheren Vizepräsidenten des Bundestags Burkhard Hirsch und Antje Vollmer, sogar Gerhard Schröder und mit ihnen zahlreiche Politiker, Intellektuelle und Künstler klingenden Namens aus dem ganzen politischen Spektrum. Sie veröffentlichten am 5. Dezember in der Wochenzeitung «Zeit» einen Aufruf mit dem Titel «Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen», in dem sie an die Regierung, die Parlamentarier und die Medien appellieren, ihre Friedenspflicht ernst zu nehmen, die «Sucht nach Macht und Vorherrschaft» zu überwinden und den Dialog mit Russland aufzunehmen. Die grossen Sender berichteten mit keinem Wort über diesen historischen Aufruf, und die «Zeit» kommentierte am darauffolgenden Tag: «Dieser Krieg findet längst statt.» Vielleicht hat sie ja recht. Vielleicht ist der Wille zum Krieg tatsächlich so stark, dass er nicht mehr zu bändigen ist.

Dass zumindest der Wille zum Raub nicht zu bremsen ist, zeigt das Treffen der G20 von Mitte November in Australien. Für die Medien stand zwar die einheitliche Front gegen Putin im Vordergrund, aber das wichtigste Traktandum war die Verabschiedung des «Adequacy of Loss-Absorbing Capacity of Global Systemically Important Banks in Resolution». Man muss den Titel dieses Papiers des Financial Stability Boards nicht verstehen, nur den Inhalt: Beim Zusammenbruch einer systemrelevanten Bank sind die Derivate höher gestellt als die Sparguthaben. Das Luftgeld in der Derivatblase im Wert des zehnfachen globalen Bruttoinlandprodukts wird also vor dem sauer verdienten Geld von Milliarden von SparerInnen bedient. Das ist das Todesurteil über das Geld, wie wir es kannten. Es ist zwar noch nicht vollstreckt und sowohl das Gericht (das Financial Stability Board) als auch die Geschworenen (die Staatschefs der G20) haben keinerlei völkerrechtliche Legitimation. Aber die mächtigen Damen und Herren der G20 gingen mit dem Auftrag nach Hause, die Gesetze in ihren Ländern entsprechend anzupassen.
Vielleicht ist das Ganze auch nur ein legaler Trick, der es den grossen Banken im Falle einer drohenden Insolvenz erlaubt, die Bedingungen für die Weiterführung der Bankgeschäfte zu erfüllen. Dafür spricht auch eine Änderung der Sprachregelung: Während früher von «bankruptcy» die Rede war, sind Pleitebanken heute in einem «resolution proceeding», einem Lösungsverfahren. Die Probleme der Bank werden «gelöst»,  indem die Sparguthaben zu Eigenkapital gemacht werden. Aber das spielt für unsereins letztlich keine Rolle: Das Geld ist in jedem Fall weg.

Es gäbe noch viele Problemzonen auf dem Planeten Erde, auf die man schauen könnte – immer in der Hoffnung, die Dinge mögen sich zum Guten wenden. Aber bei jedem Jahreswechsel, an dem wir das tun, scheint sich der Wunsch ins Gegenteil zu verkehren. Die normalen Kräfte scheinen einfach nicht stark genug, das Blatt zu wenden. Ich schlage deshalb einen Strategiewechsel vor: Zapfen wir neue Kräfte an! Zuerst innere, dann höhere. Dann schaffen wir den Sprung auf die nächste Stufe. (Der Tipp funktioniert leider nur, wenn man nicht darauf wartet, dass ihn auch andere befolgen.)