Die Natur hat immer recht – aber keine Rechte
Drei Konferenzen zum Thema «Rechte der Natur» haben in den letzten Wochen auf ein wichtiges Thema aufmerksam gemacht, das seit Mitte der 80er-Jahre kaum noch Beachtung fand.
Den Anfang machte Mitte Oktober die Gründung des internationalen Netzwerks ELGA, das sich als Lobby für die Rechte der Natur versteht. Grundlage dieser Zusammenarbeit von Umweltjuristen, Umweltwissenschaftern und Umweltorganisationen ist das Oslo-Manifest das einen juristischen Paradigmawechsel fordert. Die Erde und alles was lebt, darf nicht länger als «Sache» behandelt werden. Alle Mitgeschöpfe – darunter auch Flüsse, Wälder, Täler und andere Biotope – sollen ihr Recht auf Existenz und Entwicklung (mit Hilfe geeigneter Institutionen) vor Gericht einklagen können.
Alle Mitgeschöpfe – darunter auch Flüsse, Wälder, Täler und andere Biotope – sollen ihr Recht auf Existenz und Entwicklung vor Gericht einklagen können.
ELGA – dessen Mitglieder heute schon in nationalen oder internationalen Gremien, an Hochschulen oder als Anwälte lokaler Initiativen für diese Forderung leidenschaftlich eintreten – wollen so den Druck auf die Menschheit erhöhen, sich der Tatsache zu stellen, dass sie auf dem Wege ist, die eigenen Existenzgrundlagen zu zerstören. Sie sind davon überzeugt, dass die Belange der Natur solange unterliegen, solange nur der Mensch Rechte hat.
Unser unerklärter Krieg gegen die Natur
Drei Wochen später eröffnete das vierte «Rights of Nature Tribunal» in Bonn seine Verhandlungen. Zwei Tage legten Aktivisten und Betroffene aus aller Welt bewegende Zeugnisse über den unerklärten Krieg auf allen Kontinenten gegen die Natur ab. Fracking, Bergbau, Strassenbau und Pipelines zerstören Wälder und Lebensräume, belasten das Grundwasser und beschleunigen den Klimawandel. Und sie zerstören die Heimat und die Lebensgrundlage der dort lebenden Menschen. Neben der nicht enden wollenden Flut an Brutalitäten, die im Namen von Konzernen und Regierungen begangen werden, die ihre Interessen durchsetzen, waren die Teilnehmerinnen des Tribunals aber auch mit Männer und Frauen konfrontiert, die trotz Übermacht von Konzernen und Regierungen nicht aufgeben, ihre Heimat zu verteidigen. Gerichtet wurde in Bonn «im Namen der Natur», deren Rechte in der «Rights of Mother Earth-Deklaration» festgehalten sind.
Die Ankläger und Zeugen kamen aus den USA, aus Bolivien, Ecuador, Französisch-Guyana und Deutschland. Nicht nur wurden konkrete und besonders eklatante Beispielen aus aller Welt verhandelt, sondern erstmals auch «Prinzipien», darunter die Finanzialisierung der Natur oder der Freihandel.
Die Ankläger stellen fest: Immer öfter wird die Natur zur Ware. Neoliberale Konzepte machen Verschmutzungsrechte handelbar oder etablieren Kompensationsmechanismen, mit denen der Raubbau an der Natur erkauft werden kann. Natur wird als ein ortsunabhängiges Gut behandelt, das zerstört werden darf, wenn an anderen Orten eine Kompensation erfolgt – ein von Ökonomen erdachtes Regelwerk, das business as usual und einen gefährlichen Ablasshandel legitimiert.
Die Verhandlung des Falls «Freihandel» machte mehr als deutlich, wie sehr die Ermächtigung der Konzerne durch Freihandelsverträge und insbesondere mit dem Institut der Investorengerichte, dieser Zerstörung den Weg bereiten. Denn während die Natur selber keine Stimme hat und indigene Völker ohnmächtig mit ansehen müssen, wie ihre Lebensräume zerstört werden, können Konzerne ihre Interessen vor Gerichten wahren und durchsetzen. Ganze Staaten werden erpressbar.
Rechte der Natur – geht das?
Den Gedanken, der Natur Rechte zu geben, finden Bürger, die sich nie mit diesem Thema beschäftigt haben, absonderlich. Dabei steht meist ihre Beobachtung im Vordergrund, dass weder Nashörner noch Flüsse oder Biotope vor Gericht erscheinen können, um selber ihre Rechte einzuklagen. Doch dieses Argument ist schwach. Denn rechtssystematisch finden wir viele Entitäten, auf die dieser Einwand gleichermassen zuträfe, was aber niemanden daran hindert, sie als Rechtssubjekt zu respektieren. Beispiele sind nicht nur ungeborene Kinder oder unmündige Menschen, sondern auch so abstrakte Konstrukte wie Körperschaften privaten und öffentlichen Rechts. Es ist noch nicht lange her, dass der weisse Mann es für völlig absurd hielt, dass Sklaven oder Frauen auch Rechte haben könnten, womöglich sogar dieselben wie er.
Selbst immer mehr Richter sehen das so: In den letzten Jahren wurden in Lateinamerika, Indien und Neuseeland Flüsse und ein Regenwaldgebiet als Rechtssubjekte anerkannt. In den USA gibt es inzwischen 36 Gemeinden, die die Rechte der Natur in ihre kommunalen Verfassungen festgeschrieben haben. Dies gilt auch für die Stadt Mexiko.
Das reflexhafte Befremden hat aber nicht nur juristische Gründe. Westliches Denken phantasiert sich als Herrscher über die Natur und nicht als ein Teil derselben. Schon das Wort Umwelt ist entlarvend. Denn hat und braucht nicht jedes Lebewesen seine eigene Umwelt? Und ist nicht der Mensch die (bedrohliche) Umwelt dieser Lebewesen und wir alle einander Mitwelt?
Mit einem Fokus auf die rechtlichen Aspekte, diskutieren die Teilnehmer der dritten Tagung in Nürnberg und Ottensoos4 diese Fragen. Die Tagung in Ottensoos stellte sich grundsätzlichen ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Aspekten und einer juristischen Bestandsaufnahme.
Die Initiative «Rechte der Natur» und das «Haus der Zukunft Hamburg» hatten zu ihrer vierten Tagung eingeladen. Das vor zehn Jahren gegründete Netzwerk hat weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit eine bemerkenswerte interdisziplinäre Reihe von 20 Bänden im Metropolis Verlag publiziert. Betriebswirte, Volkswirte, Soziologen und Philosophen machen sich in diesen Veröffentlichungen auf die Suche nach einer anderen Wirtschaft und nach den Grundbedingungen für eine «Biokratie».
Staatsziel neu formulieren
Konkrete Handlungsansätze wurden für Deutschland vor allem in einer Neufassung des Verfassungsgrundsatzes 20a identifiziert, der Anfang der 90er-Jahre fixiert wurde. Er verpflichtet den deutschen Staat dazu, die Natur als «Lebensgrundlage des Menschen» zu schützen. Die Natur ist folglich nur insoweit schützenswert, als sie dem Menschen nützt. Sie hat weder eine Würde, noch wird sie um ihrer selbst willen geschützt.
Solange wir die Gesetze der Natur nicht anerkennen, ist die Zukunft der Menschheit auf diesem schönen und einzigartigen Planeten gefährdet.
Auch die Ausweitung des Verbandsklagerechts wurde diskutiert, denn auch das könnte ein Weg sein, schnell und pragmatisch den Schutz der Natur um ihrer selbst willen zu stärken. Am Beispiel des Wolfes wurde deutlich gemacht, wie so etwas aussehen könnte. Denn Wölfe und andere Tiere und Pflanzen, die unter strengem Artenschutz stehen, wurden insoweit Rechte zuerkannt, als sie nicht nur ein Recht auf Leben haben, sondern auch auf eine «Umwelt», die ihr Gedeihen braucht. Dem Menschen sind klare Grenzen gesetzt, um ein gutes Miteinander zu ermöglichen.
Im Nürnberger Rathaus brachte Gemeinwohlökonom Christian Felber mit seinem Kopfstand die Herausforderung auf den Punkt: Wir müssen unser Denken und unsere Wahrnehmung der Natur vom Kopf auf die Füsse stellen. Denn ob es uns gefällt oder nicht: Die Natur sitzt jeden Tag über uns zu Gericht. Solange wir die Gesetze der Natur nicht anerkennen und uns ihr mit Demut, Intelligenz und Kreativität beugen, ist die Zukunft der Menschheit auf diesem schönen und einzigartigen Planeten gefährdet.
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