Wenn wir versuchen, die Antwort zu finden, wird eines klar: die digitalen Medien haben eine massgebliche Rolle gespielt, jungen Nepalesen zu helfen, ihre Stimme gegen die weit verbreitete Korruption zu erheben.
Bis vor einigen Jahren war die Nutzung sozialer Medien in Nepal gering. Die Bürger waren hauptsächlich auf einige wenige nationale Medienhäuser angewiesen, um an Informationen zu gelangen. Aufgrund des begrenzten Internetzugangs konnten viele Menschen nicht regelmässig Nachrichten lesen oder anschauen. Sogar diejenigen, die dazu in der Lage waren, waren voll und ganz davon abhängig, was die traditionellen Medien zur Auswahl boten. Infolgedessen drangen Korruption und Machtmissbrauch durch Amtsträger selten an die Öffentlichkeit.
In den letzten zehn Jahren hat sich der Internetzugang jedoch rasant ausgeweitet. Smartphones gelangten sogar in abgelegene Dörfer, und soziale Medien sind Teil des täglichen Lebens geworden. Damit einhergehend erlebte Nepal eine Medienrevolution. Zahlreiche neue digitale Plattformen entstanden, die Informationen unmittelbar und ohne Umwege an die Bevölkerung vermittelten. Als Plattformen wie Facebook, YouTube und TikTok begannen, Content-Ersteller zu bezahlen, stiegen Tausende arbeitsloser Jugendlicher in die Welt der Inhalterstellung ein.
Ein Land, das einst nur wenige Medienhäuser hatte, verfügte plötzlich über mehr als 5.000 beim Presserat eingetragene digitale Medienkanäle, zusammen mit unzähligen nicht angemeldeten Erstellern. Jeder, der über eine Kamera und ein Mikrofon verfügte, fing an, sich als Presse zu bezeichnen.
Diese digitalen Plattformen begannen, Korruption und Regelwidrigkeiten durch Audio-, Video- und Echtzeitberichterstattung aufzudecken. Die Auswirkungen waren so gross, dass die Regierung wegen des Drucks aus den sozialen Medien verschiedene Entscheidungen rückgängig machen musste. Einige Minister verloren sogar ihre Ämter, nachdem ihre Verfehlungen viral gegangen waren.
Ein bedeutendes Beispiel war der ehemalige Minister Rajkumar Gupta, dessen geleakte Audioaufnahme eines Bestechungsgeschäfts über digitale Medien in die Öffentlichkeit gelang. Der Clip verbreitete sich rasant, die öffentliche Empörung nahm zu, und er trat innerhalb von 48 Stunden zurück.
Zum ersten Mal konnten Menschen, die in abgelegenen Gegenden lebten, das Fehlverhalten ihrer Machthaber deutlich hören und sehen.
Mit der Zeit klärten die ununterbrochenen Enthüllungen junge Menschen über das politische System auf. Viele begannen, sich enttäuscht und verärgert zu fühlen, wie Politiker das Land führten. Dieses wachsende Bewusstsein trug allmählich zur Basis der Denkweise der Generation Z bei.
Das Verbot, der «Nepo-Baby»-Trend und der Wendepunkt
Während dieser Zeit bildeten die beiden grössten Parteien Nepals – Nepali Congress und UML – eine Koalition. Normalerweise bleiben in einem demokratischen System die wichtigen Parteien in der Regierung und in der Opposition, um sich gegenseitig in Schach zu halten. Aber zum ersten Mal kamen die beiden grossen Parteien zusammen, um die Regierung zu führen. Viele Menschen hofften, dass dies endlich Stabilität und bessere Regierungsführung bringen würde.
Allerdings, nach einem Jahr an der Macht scheiterte die Regierung an den Erwartungen der Öffentlichkeit. Anstatt die Regierungsführung zu verbessern, schützten die Machthaber ihre Mitglieder offenbar vor schweren Strafverfahren. Korruption, Arbeitslosigkeit, politische Instabilität und steigende Auslandsverschuldung verschlimmerten die Lage. Die Enttäuschung der Jugendlichen nahm tagtäglich zu. Die sozialen Medien stellten einen Ort dar, wo junge Menschen unmittelbar Kritik an den Politikern übten, und mitunter scharf.
Dann beschloss die Regierung, 26 grosse Social-Media-Plattformen zu blockieren, darunter Facebook, You Tube, X und Linkedin, mit der Begründung, dass sie in Nepal nicht registriert seien. Nur TikTok und Viber blieben offen, da sie bereits registriert waren.
Diese unerwartete Abschaltung brach die Einkommensquellen Tausender Content-Ersteller schlagartig ab. Nepalesen im Ausland konnten in der Regel nicht mehr mit ihren Familien kommunizieren. Und gleichzeitig entstand auf TikTok ein neuer Trend – der «Nepo Baby»-Trend.
Junge Menschen fingen an, Videos zu veröffentlichen, die den luxuriösen Lebensstil der Kinder von Politikern zeigten: Auslandsurlaube, teure Autos, Designerkleidung, und ein komfortables Leben, das weit entfernt ist von der Realität normaler Nepalesen. Der Trend wurde rasch zu einem nationalen Thema. Tausende, dann Millionen junger Menschen begannen zu fragen:
Wo liegt der Ursprung dieses Luxus? Woher kommt dieses Geld?
Jahrelange Wut, die sich durch digitale Medien, das plötzliche Verbot sozialer Medien und den Nepo-Baby-Trend angestaut hatte, sprengte die Geduld der jungen Menschen. Eine kollektive Stimme wurde laut: Genug ist genug.
Der Aufstand vom 8.-9. September und der Sturz der Regierung
Dies führte zur Geburtsstunde des Aufstands der Generation Z. Am 8. September planten junge Menschen eine friedliche Demonstration und fordern alle dazu auf, sich um 9 Uhr morgens in Schul- und Collegeuniformen in Maitighar in Katmandu zu versammeln. Tausende trafen am frühen Morgen ein. Die Demonstration verlief friedlich bis etwa um 11 Uhr, als die Menge das Parlamentsgebäude in New Baneshwor erreichte.
Dort kippte die Stimmung. Einige Gruppen mischten sich unter die Demonstration und die Lage war spannungsgeladen. Die Polizei reagierte mit unverhältnismässiger Gewalt. Eine friedliche Demonstration verwandelte sich innerhalb weniger Stunden in Gewalt.
An diesem Tag wurden 19 Menschen von der Polizei erschossen – die meisten von ihnen Minderjährige. Das Land stand vollkommen unter Schock. Am Abend trat der Innenminister zurück. Eine Krisensitzung des Kabinetts wurde abgehalten, aber Premierminister Oli weigerte sich, das Verbot der sozialen Medien aufzuheben. Selbst nachdem der Vorsitzende des Kongresses Sher Bahadur Deuba ihn unter Druck gesetzt hatte, blieb die Entscheidung unverändert. Die Regierung vermied eine klare Stellungnahme zu den Tötungen und der übermässigen Polizeigewalt.
Am nächsten Tag, am 9. September, setzten aufgebrachte Jugendliche wichtige Regierungsgebäude in Brand, darunter den Singha Durbar, das Parlamentsgebäude und den Obersten Gerichtshof. Auch einige Häuser von politischen Führern wurden angegriffen. Später räumten die nepalesische Polizei und die bewaffneten Polizeikräfte öffentlich ein, dass sie die Lage nicht mehr unter Kontrolle hatten.
Am 9. September zwischen 15 und 16 Uhr trat Premierminister Oli zurück und wurde per Militärhubschrauber ausgeflogen. Innerhalb von nur 30 bis 32 Stunden brachte eine von Jugendlichen angeführte Bewegung die Regierung zu Fall – etwas, das weltweit nicht oft zu beobachten ist.
Dieser Aufstand jedoch begann nicht nur aufgrund des Verbots sozialer Medien oder des Nepo-Baby-Trends. Er war das Ergebnis jahrelanger Bewusstseinsbildung durch digitale Medien, die Korruption aufdeckten und junge Menschen für ihre Rechte und Pflichten sensibilisierten. Das Verbot und die virale Strömung waren lediglich die endgültigen Auslöser.
Nepal ist heute ein eindeutiges Beispiel dafür, wie digitale Medien, wenn sie richtig eingesetzt werden, die Bürger bewusster und verbundener machen können. Aber digitale Medien haben auch negative Seiten – Falschinformationen, Fake News, verdrehte Fakten und Inhalte, die die Privatsphäre verletzen.
Jedes Werkzeug hat Stärken und Schwächen. Trotz ihrer Probleme haben die digitalen Medien dazu beigetragen, die nepalesischen Jugendlichen anzuspornen, ihre Stimme gegen Korruption zu erheben und sich für Veränderungen einzusetzen. Und dieser Einfluss ist nun in der Geschichte Nepals erkennbar.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Doris Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!