Aus dem Podcast «Fünf Minuten» von Nicolas Lindt.

Wieder hat es nicht gereicht. Aber Pessimismus wäre ein schlechter Ratgeber. / © Nicolas Lindt

Auch ich war enttäuscht nach dem Abstimmungssonntag. Wir hatten so sehr gehofft, dass eine Mehrheit vom ganzen Corona-Diktat genug hat und das Covidgesetz ablehnen würde. Wir hatten so sehr gehofft, dass die Leute den Angstmachern nicht mehr glauben, dass sie kein Klimagesetz wollen, das unser Land verunstaltet, zu wenig Strom bringt und nur viel kostet – und dass sie deshalb Nein stimmen würden.

Doch wir hofften vergeblich. Wir waren einmal mehr zu wenige, wir waren nur 40 Prozent, das reichte nicht. Wie aber kam das Ja zustande? Wer hat denn Ja gestimmt? – Zunächst all jene, die hinter dem Staat stehen und aus Überzeugung staatstreue Parteien wählen. Sie sagten Ja, weil sie einen starken Staat befürworten, der die Menschen zu ihrem gesundheitlichen und ökologischen Glück zwingen soll, auch wenn sich das vermeintliche Glück, wie wir bei Corona gesehen haben, als Unglück erweist. Alle diese staatstragenden Kräfte von den Linken über die Grünen bis zu den Freisinnigen haben am Wochenende erfolgreich dafür votiert, dass das Covidgesetz verlängert und das Klimagesetz angenommen wird.

Aber das hätte noch nicht gereicht. Denn auch jene, die klar hinter dem Staat stehen, machen aus meiner Sicht nur etwa 40 Prozent aus. Woher kamen die anderen Ja-Stimmen, die einmal mehr dazu beigetragen haben, dass aus der Minderheit eine Mehrheit wurde? Wie immer gab es ein drittes Lager, und dieses dritte Lager umfasst vielleicht etwa 20 Prozent all derer, die abstimmen gehen. Es sind die Unentschiedenen. Sie zählen sich weder zur einen noch zur anderen Seite. Sie sind politisch durchaus informiert, aber Politik hat für sie nicht so viel Bedeutung. Deshalb haben sie auch keine eindeutige Haltung. Sie gehen auch nicht konsequent abstimmen, sondern nur von Fall zu Fall, sie vergessen es manchmal sogar.

Vor allem jedoch haben sie immer noch Vertrauen in die Regierung, und dieses Vertrauen gründet in unserem schweizerischen Zusammenhalt. Es gründet in der Institution der direkten Demokratie, die dazu beiträgt, dass die Regierung nach wie vor näher beim Volk ist als die Staatsoberhäupter im Ausland. Und wenn die Regierung zu weit geht, können wir sie mithilfe unserer demokratischen Rechte immer noch stoppen. Dieses Grundgefühl, dass die Macht in der Schweiz letztlich beim Volk liegt, haben auch die Unentschiedenen. Sie fühlen sich der Regierung nicht ausgeliefert.

Vielleicht, liebe Leserin, lieber Leser, gehören auch Sie zu den Bürgerinnen und Bürgern, die sich zu keinem politischen Lager bekennen. Das darf auch so sein. Man darf unentschieden sein. Man muss überhaupt nichts, wenn es um politische und weltanschauliche Standpunkte geht.

Bei der letztjährigen Abstimmung über das Klimagesetz sagten nicht nur die entschiedenen Gegner, sondern auch die Unentschiedenen Nein, weil der Bundesrat in ihren Augen zu weit ging, weil die Gesetzesvorlage zu autoritär  war. Das neue Gesetz wurde deshalb in Watte verpackt. Es enthält – auf den ersten Blick zumindest – keine Verbote, nur Anreize. Deshalb sagten die Unentschiedenen diesmal Ja. Und ebenso stimmten sie Ja zum Covidgesetz, weil auch dieses Gesetz keine unmittelbaren Einschränkungen beinhaltet. Also waren die Unentschiedenen willens, dem Bundesrat zu vertrauen.

In anderen Fällen folgten sie dem Bundesrat nicht. Da waren sie ebenso ausschlaggebend - in jüngster Zeit gleich mehrere Male. So gab es ein Ja zur Initiative für ein Verhüllungsverbot, ein Ja zum Verbot muslimischer Minarette, ein Ja zum Stopp der Masseneinwanderung und eine Zustimmung zur Ausschaffung krimineller Ausländer. Mit ihren Stimmen haben die Unentschlossenen jedes Mal dazu beigetragen, dass die regierungskritische Forderung durchkam. 

Das war in jüngster Zeit gleich mehrmals der Fall. So gab es ein Ja zur Initiative für ein Verhüllungsverbot, ein Ja zum Verbot muslimischer Minarette, ein Ja zum Stopp der Masseneinwanderung und eine Zustimmung zur Ausschaffung krimineller Ausländer. Mit ihren Stimmen haben die Unentschlossenen jedes Mal den Ausschlag gegeben, dass eine regierungskritische Forderung durchkam.

Ihre erste Eigenschaft jedoch ist ihre Unberechenbarkeit. Im Vorfeld weiss man nie so genau, was die Unentschiedenen finden. Lassen sie dem Bundesrat freie Hand, tolerieren sie die Entwicklung? Oder sind sie der Sand im Getriebe? – Die Propaganda in den staatstreuen Medien hat es deshalb vor allem auf die unberechenbaren 20 Prozent abgesehen. Ihr «instinktives» Verhalten soll manipuliert und gebrochen werden – was bis jetzt nicht gelungen ist. Deshalb zögert der Staat bei heiklen Geschäften, beispielsweise beim Thema EU, dem Volk etwas aufzuzwingen, von dem er nicht weiss, wie die Unentschiedenen reagieren.

Wenn sich die Situation an der Klimafront zu verschärfen beginnt, wenn es zu ersten Einschränkungen, zu ersten Verbote kommt, wenn die Menschen finanziell immer mehr unter Druck geraten – dann werden auch die Unentschiedenen sich entscheiden. Dann werden sie der Regierung ihr Vertrauen entziehen. Dasselbe würde geschehen, wenn die WHO eine neue «Pandemie» deklarieren und unser Staat neue Zwangsmassnahmen verordnen würde. Auch dann ist damit zu rechnen, dass sich die Unentschiedenen – die dann persönlich betroffen wären – den Protesten anschliessen würden.

Das erlebten wir schon vor zwei Jahren. Unter den Zehntausenden, die in Bern gegen die Corona-Politik demonstrierten, waren viele Unentschiedene. Wie häufig hörte man damals den Satz: «Ich war noch nie an einer Demonstration.» Viele von denen, die damals in Bern zum ersten Mal auf die Strasse gingen, sind heute keine Unentschiedenen mehr.

Sollte die Schweiz im Ukraine-Konflikt immer mehr zur Kriegspartei werden und sollten wir erste Konsequenzen dieser Entwicklung zu spüren bekommen – auch dann werden immer mehr Menschen in unserem Land sich dagegen erheben. Die soeben lancierte Neutralitätsinitiative wird dann eine Mehrheit erreichen können – dank der Stimmen der heute noch Unentschiedenen.

Unsere momentane Enttäuschung muss deshalb nicht in der Gosse des Pessimismus enden. Denn wir haben die Unberechenbaren in einem gewissen Sinne auf unserer Seite. Wir dürfen uns darauf nicht verlassen, doch wenn es zum Äussersten kommen sollte, dann werden auch grosse Teile der Unentschiedenen spüren, dass sie Schweizerinnen und Schweizer sind. Dann werden sie spüren, dass auch in ihnen der Geist des Wilhelm Tell lebt.

Wilhelm Tell, glaube ich, war im Grunde ein Unentschiedener. Die Sage will es, dass er sein Leben als einfacher Jäger und Bergbauer lebte. In politische Händel mischte er sich nicht ein. Als aber von ihm verlangt wurde, er müsse den Hut des Landvogtes grüssen – da fand der Tell, das gehe zu weit. Da sagte er Nein.

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