In Ruanda sind Plastiktüten und -verpackungen seit 2008 streng verboten. Nicht nur, wer Plastiktüten importiert, exportiert, herstellt oder verkauft, hat mit hohen Strafen zu rechnen, sondern sogar, wer sie lediglich besitzt. Ebenso jene, die Müll nicht trennen oder ihn illegal entsorgen.
Und in Deutschland? Da wurden gerade mal eine Handvoll Artikel aus Einwegplastik verboten, wie Trinkhalme, Rührstäbchen, Luftballonstäbe oder Einweg-Geschirr. Seit Januar 2022 dürfen Plastiktüten nicht mehr in Supermärkten angeboten werden. Doch viele Ketten umgehen das lückenhafte Gesetz, indem sie die Tüten einfach ein wenig dicker machen, was bedeutet, dass noch mehr von dem schädlichen Material in Umlauf kommt. Stündlich werden in unserer Industrienation rund 2 Millionen Einweg-Plastikflaschen verbraucht, mehr als 47 Millionen am Tag. Umgerechnet auf den pro Kopf Verbrauch kommen wir pro Jahr auf 210 Einweg-Plastikflaschen; sie stellen mehr als die Hälfte der Verpackungen bei Getränken dar. Man muss zwar inzwischen für Einwegflaschen Pfand zahlen - doch nicht auf Verpackungen und Flaschen für Milch, Wein, Spirituosen, Frucht- und Gemüsesäfte oder Nischenprodukte wie Cider und Energydrinks.
In Frankreich sind Plastikverpackungen für Obst und Gemüse verboten. Bis 2026 soll dort Plastik vollkommen aus den Frischeregalen verschwinden. In Deutschland bieten selbst Biomärkte gänzlich ungeniert Feldsalat oder Erdbeeren in Plastikverpackung an. Und das, obwohl auch hier die verheerenden Folgen der Nutzung von auf Erdöl basierendem Kunststoff, der extrem langsam verrottet, bekannt sind.
Nachhaltigere Alternativen
Dabei gäbe es durchaus Alternativen, um eine enorme Menge an Plastik aus fossilen Rohstoffen durch Material zu ersetzen, das aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen oder mit Hilfe von biologischen Prozesse hergestellt wird. Grundstoff hierfür ist Biomasse: die Grundsubstanz von Lebewesen wie Pflanzen, Tieren, Pilzen, Bakterien oder anderen Mikroorganismen, ob abgestorben oder noch lebend, die hauptsächlich aus Kohlenhydraten, Fetten und Eiweissen besteht, die überwiegend in Verbindungen von Kohlen-, Wasser-, Sauer- und Stickstoff, Schwefel und Phosphor zusammenhalten. Biomasse ist «gespeicherte und umgewandelte Sonnenenergie», wie die Autoren Petruch und Walcher darstellen. Durch Photosynthese produzieren Primärproduzenten wie Pflanzen, Algen oder einige Bakterienarten die Zuckerart Glucose, aus der die jeweiligen Organismen alle lebensnotwendigen Stoffe herstellen können. Die Bestandteile von Biomasse können in je nach Ausgangsstoff unterschiedlichen Verfahren in ihre chemischen Grundbausteine zerlegt und neu zusammengesetzt werden. Naturverträgliche Alternativen zu Plastik sind im Grunde schon lange bekannt, ob in Form von Baumharz, das aus verschiedenen Biopolymeren besteht, Cellophan aus Holzzellulose oder Linoleum aus Pflanzenöl, Naturharzen, Kork- und Steinmehl sowie einem Gewebe aus Jutefasern.
Petruch und Walcher haben 101 teils erstaunlich innovative Produkte zusammengetragen und stellen sie vor - einige noch nicht voll ausgereift oder gänzlich frei von fossilen Stoffen oder Energie, doch alle auf dem besten Weg, erneuerbaren Kohlenstoff optimal zu nutzen. Algen, die Wälder der Meere, die über die Hälfte unseres Sauerstoffs produzieren und im Jahr bis zu 50 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus der Erdatmosphäre speichern, haben eine überragende Photosyntheseleistung, wachsen schnell und können so auf gleicher Fläche fünfmal mehr Biomasse liefern als andere Pflanzen. Dank des komplexen Nährstoffprofils der anspruchslosen Pflanzen können sie als Grundstoff für künftige Nahrungsmittel dienen und werden bereits in der Medizintechnik eingesetzt.
Innovative Ideen auf ihrer Basis sind u.a. Babywindeln aus Knotentang; Dämmung aus Seegras, diedank schlechter Brennbarkeit, guter Isolation und natürlichem Schimmelschutz sogar unbehandelt eingesetzt werden kann; Verpackung aus Seetang, die sich in sechs Wochen auf dem heimischen Kompost zersetzt; Asphalt aus Algenresten, Briefmarken aus Algenpapier oder sogar Luftfilter.
Auch die Landpflanzen haben einiges zu bieten: Aus Löwenzahn können Fahrradreifen hergestellt werden; aus Schafwolle oder Brennesselfasern, dem «Leinen der armen Leute», Möbel; Verpackung aus Kokosfasern; Kleidung aus Hanf, Leinen und Buchen; Geschirr aus Palmblättern oder Minimalschuhe aus Papier. Holz, der biologische «Kohlenstoffstaubsauger», kann hervorragend in langlebigen Produkten genutzt werden. Klimaforscher visieren deshalb Städte aus Holz als Projekt für die Zukunft an, bereits umgesetzt im 84 Meter hohen Holzhochhaus HoHo in Wien oder am ehemaligen Flughafen Berlin-Tegel, wo aktuell das grösste klimaneutrale Stadtviertel der Welt in Holzbauweise entsteht. Mit Hilfe von Bakterien, dieser winzigen «Chemiewerke», können Biopolymere, Arzneimittel, Farben oder Treibstoffe hergestellt werden – etwa der Kunststoff Polyhydroxybuttersäure, der schon seit Jahren verwendet wird, biologisch abbaubar ist und herkömmlichen Verpackungsmaterial in nichts nachsteht. Bakterien können aus pflanzlicher Biomasse sogar Wasserstoff gewinnen; darüber hinaus verdanken wir ihnen Laufschuhe aus Bakterienseide oder italienische Möbelklassiker aus Biopolymer. Ein finnisches Start-up stellt mit dem Einsatz von Bakterien und Fermentation ein neues Superfood her, das alle essenziellen Aminosäuren enthält und einen Proteingehalt von 65 Prozent aufweist.
Einen besonderen Stellenwert nehmen Pilze ein, die abgestorbene Lebewesen abbauen und so deren Nährstoffe anderen zur Verfügung stellen. Wegen ihrer enormen Bedeutung sollten wir unsereBezeichnung «Flora und Fauna» deshalb um «Funga» erweitern. Sie lassen sich in biotechnologischen Prozessen einsetzen, um Stoffe umzuwandeln, wie etwa bei der Reinigung von Abwässern, wo klassische Filtersysteme bei Medikamentenresten oder Industriechemikalien versagen. Neben Wertstoffen, Laminat, Ziegelsteinen und Verpackungsmaterialen liefern auch sie proteinreichen Fleischersatz.
Geradezu ideal ist die Verwertung von «biogenen Reststoffen» – Abfälle, oder besser Sekundärrohstoffe, die in einer Kreislaufwirtschaft in einen neuen Nutzungskontext gesetzt werden – was weniger Bedarf an neuen Rohstoffen bedeutet und zugleich weniger Abfall und Emissionen.
Abfallprodukte in Forst- und Landwirtschaft, Fischerei und Lebensmittelindustrie sind als natürliche Rohstoffe hochinteressant: Lampenschirme aus Trester, Kosmetik und Kaffeebecher aus Kaffeesatz, Papier aus Kiwischalen, Kirschkernen und Lavendelstängeln, Geschirr aus Kleie, bedruckbare und strapazierfähige Messeteppiche aus Altpapier, Möbel aus Popcorn, Oberflächen aus Maishülsen, Versandboxen aus Stroh und Lederalternativen aus Ananasresten könnten echte «Game Changer» werden.
Müllvermeidung und Konsumverhalten
Nachhaltige Plastikalternativen sind allerdings kein Freibrief für ungehemmten Konsum von Biomasse, denn biobasiert ist nicht automatisch auch nachhaltig. Wenn Rohstoffe aus pestizidintensiven Monokulturen stammen oder aus dem globalen Süden importiert werden, werden die niedrigeren CO2-Emissionen der Herstellung wieder auf andere Weise zunichte gemacht. Zudem stellt auch Boden eine wertvolle und knappe Ressource dar, die wir nicht nur unter dem Blickpunkt der Nutzbarkeit betrachten sollten, sondern auch hinsichtlich ihrer Regenerationsfähigkeit. Gerade mal auf knapp einem Drittel der weltweiten Landfläche kann überhaupt angebaut werden; davon verlieren pro Jahr rund 10 Millionen Hektar Ackerland durch falsche Nutzung an Fruchtbarkeit oder gehen als Anbaufläche gänzlich verloren. Wenn Pflanzen mit niedriger Energiedichte als Grundstoff für Kraftstoffe oder Tierfutter angebaut werden, ist dieser Boden für den Nahrungsanbau verloren.
Die globale Frage, die auch eine Frage von Solidarität, Mitmenschlichkeit und Ethik darstellt, ist immer die Entscheidung, ob für Trog, Teller oder Tank angebaut werden soll. Ein reduzierter Fleischkonsum könnte diesen Konflikt bereits entschärfen. Ebenso, wenn der Schwerpunkt künftiger Nutzung und Innovation auf die Verwertung von Reststoffen aus Industrie und Landwirtschaft gelegt wird. Kreislaufbasierte Bioökonomie wäre ein gangbarer Weg, unseren Wohlstand vom Materialverbrauch zu entkoppeln. Dies impliziert aber auch, dass wir in jeder Hinsicht Energie wie auch Rohstoffe sparen müssen und Materialien und Produkte durch langlebiges Design, Reparatur, Aufbereitung oder Wiederverwendung möglichst lange benutzen sollten. Recycling ist der allerletzte Schritt der Wertschöpfungskette und in sich keine nachhaltige Lösung. Stattdessen sollte der maximale Nutzen mit minimalem Rohstoffeinsatz erzielt werden. Der beste Müll ist nicht der nutzbare Reststoff, sondern – kein Müll; das nachhaltigste Produkt das, was überhaupt nicht produziert werden muss. Dafür muss sich unser Konsumverhalten wie auch die Wertschätzung gegenüber Rohstoffen verändern.
Markus Petruch, Dominik Walcher: «Der Stoff aus dem die Zukunft ist», FBV Verlag