Frieden ist nicht sein Ziel
Es gibt Bücher, die man nicht vergessen sollte, auch wenn sie ärgerlich sind. «Die nächsten 100 Jahre» des US-amerikanischen Strategen George Friedman ist so ein Werk. Es beschreibt die Strategie, mit der die USA Hegemon des Planeten Erde bleiben wollen.
Was US-Eliten wirklich denken und tun, erfahren wir nicht in den Nachrichten. Wir erfahren es in Thinktanks wie dem von Friedman gegründeten Stratfor-Institute. Etwa in folgender E-Mail, die Friedman an eine Mitarbeiterin schrieb: «Wenn dies eine Quelle ist, von der du glaubst, dass sie wertvoll sein könnte, musst du die Kontrolle über sie gewinnen. Kontrolle heisst finanzielle, sexuelle oder psychologische Kontrolle.»
In der Geopolitik kommt dann noch die militärische Kontrolle hinzu. Wie diese funktioniert, erklärt Friedman anhand des Ukrainekonflikts: Das «primäre Ziel» der USA bestehe darin, Deutschland und Russland dauerhaft im Konflikt zu halten: «Weil sie vereint die einzige Macht sind, die uns bedrohen kann, war es immer unser Interesse sicherzustellen, dass das nicht eintritt.» Schon im Kalten Krieg und den beiden Weltkriegen sei dies die beherrschende Strategie gewesen. Nach demselben Muster funktioniert militärische Kontrolle im Nahen Osten:
«Solange die islamische Welt zerrissen bleibt und sich in Aufruhr befindet, haben die Vereinigten Staaten ihr strategisches Ziel erreicht.» Damit niemand glaubt, das sei ein Druckfehler, doppelt Friedman in seinem Buch «Die nächsten 100 Jahre» (Campus, 2009) gleich nochmals nach: «Trotz aller Rhetorik haben die Vereinigten Staaten wenig Interesse an Frieden in Eurasien. Genausowenig haben sie Interesse an einem militärischen Sieg. Wie in Vietnam und Korea geht es lediglich darum, eine mögliche Hegemonialmacht einzudämmen oder eine Region zu destabilisieren, und nicht darum, Ordnung herzustellen.» Was im Fernsehen als irrationales Gemetzel verrückter Islamisten erscheint, ist nach Friedman Teil eines übergeordneten geopolitischen Programms: «Wenn man davon ausgeht, dass das Ziel in der Stabilisierung einer bestimmten Region besteht, wird die Reaktion der Vereinigten Staaten immer irrational erscheinen. Doch da es in Wirklichkeit darum geht, die Vormachtstellung einer anderen Nation oder Organisation zu verhindern, sind diese Einsätze in Wirklichkeit vollkommen rational. Sie werden immer den Anschein erwecken, keines der bestehenden Probleme zu lösen, und sie werden immer mit unzureichenden Streitkräften durchgeführt werden, die nicht im Stande sind, eine Entscheidung herbeizuführen.» Trumps Engagement in Afghanistan folgt exakt diesem Prinzip.
Aber nicht nur derjenige ist schuld, der andere zur Feindschaft anstiftet, sondern auch, wer sich anstiften lässt.
Dasselbe Muster bestimmte schon das Verhalten früherer Präsidenten: «Die amerikanische Kriegsführung im Irak war in vieler Hinsicht ungeschickt und stümperhaft», schreibt Friedman, «doch aus strategischer Sicht spielt dies keine Rolle. Solange die Muslime sich gegenseitig bekämpfen, haben die Vereinigten Staaten den Krieg gewonnen.» Diese strategische Sicht erhebt den Krieg zum systemerhaltenden Prinzip. Nach Friedman werden die USA dieses Prinzip die nächsten 100 Jahre fortsetzen, sogar im Namen der Menschlichkeit:
«Im Namen der Menschlichkeit werden sie dafür sorgen, dass das Chaos in Eurasien erhalten bleibt.» Dementsprechend kommt Friedman zu dem Ergebnis: Es sei «mehr als wahrscheinlich», dass es auch «im 21. Jahrhundert zu gravierenden Konflikten kommt.» Die «entscheidende Auseinandersetzung» werde in Europa stattfinden. Bei alledem werden sich die USA auch weiterhin «an das alte britische Sprichwort» halten, «nach dem Staaten keine dauerhaften Freunde oder Feinde haben, sondern nur dauerhafte Interessen.» Aus diesem Grund werden sie weiterhin ihr «System wechselnder Bündnisse» pflegen, «mit dem sie den Aufstieg von potenziellen Regionalmächten verhindern wollen.» Bislang scheinbar festgefügte Bündnisse zwischen Staaten können nach Belieben gelöst und neu geknüpft werden. Gerade für diesen Job ist eine scheinbare Witzfigur wie Trump der geeignete Mann. Er kann zum Beispiel Bündnisse der «westlichen Wertegemeinschaft» lockern, ohne die Öffentlichkeit merken zu lassen, was eigentlich gespielt wird. Die Öffentlichkeit denkt: Ursache davon sei die unberechenbare Person Mr. Trump. In Wirklichkeit ist sie fester Bestandteil einer «kohärenten Strategie», wie Friedman es nennt.
Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die USA auch im 21. Jahrhundert die Menschen in Eurasien gegeneinander auszuspielen versuchen. Die entscheidende Frage des Friedens lautet daher, ob wir uns ausspielen lassen! Es gibt viele offene und geheime Methoden, Menschen gegeneinander aufzubringen: Deutsche gegen Russen, Ukrainer gegen Ukrainer, Kroaten gegen Serben, Christen gegen Moslems, Sunniten gegen Schiiten, Einheimische gegen Flüchtlinge und umgekehrt – alle könnten problemlos friedlich zusammenleben, würden sie nicht künstlich gegeneinander aufgehetzt. – Aber nicht nur derjenige ist schuld daran, der andere zur Feindschaft anstiftet; sondern auch, wer sich anstiften lässt. Der Feind des Friedens sitzt also auch in unseren eigenen Köpfen und Herzen.
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