Fürchtet euch nicht! Eine Weihnachtsbotschaft aus Bethlehem
Über die Weihnachsfeiern in Bethlehem wird es, wie schon vor einem Jahr, keine Berichte geben: Sie finden nicht statt. Doch Pfarrer Mitri Raheb aus Bethlehem schickte eine Weihnachtsbotschaft an die Welt, die wir hier veröffentlichen. Danke der Gesellschaft Schweiz-Palästina für die Übersetzung!
Vor ein paar Wochen traf ich mich mit christlichen Verantwortungsträgern aus dem Nahen Osten. Obwohl jeder von uns aus einem anderen Kontext kam, war es doch klar, dass ein einziges Thema in all unseren Beratungen eine Rolle spielte: Furcht.
Die Angriffe jüdischer Siedler im Westjordanland, die Zerstörungen, die die israelischen Luftangriffe im Libanon hinterlassen haben, und der Regimewechsel in Syrien mit einer ungewissen Zukunft machen den Christen grosse Angst vor ihrer Zukunft. Die Angst scheint das Zeichen unserer Zeit zu sein.
Doch die Ängste der palästinensischen Bevölkerung in Gaza sind unbeschreiblich. Die Hälfte der Bevölkerung in Gaza sind Kinder. Die meisten dieser Kinder haben in nur 16 Jahren fünf Kriege und den aktuellen Völkermord miterlebt. Ein Kind, das 2007 geboren wurde, erlebte den ersten israelischen Angriff, als es zwei Jahre alt war, den zweiten, als es fünf Jahre alt war, den dritten, als es sieben Jahre alt war, den vierten und fünften, als es ein Teenager von vierzehn/fünfzehn Jahren war, und mit 16 Jahren den aktuellen Völkermord.
Ein solches Kind hat miterlebt, wie sein Zuhause bombardiert wurde, wie seine Geschwister bei Luftangriffen ermordet wurden, wie sein Viertel in Schutt und Asche lag. Er wurde bereits zwölf Mal vertrieben und kann wegen der ständigen Lärmkulisse von Drohnen, Luftangriffen und Beschuss nicht schlafen.
Wir hatten einen Universitätscampus in Gaza. Er wurde in der Karwoche dieses Jahres durch einen israelischen Luftangriff zerstört. Wir haben 36 Mitarbeiter, die alle vertrieben wurden. Sie weigern sich, vor der Angst zu kapitulieren. Sie sind entschlossen, etwas gegen die Angst, das Trauma und die Depression zu tun. Sie engagieren sich täglich ehrenamtlich, um den Tausenden von vertriebenen Kindern in ihrer Umgebung mit Kunsttherapieprogrammen zu helfen, damit die Kinder zumindest teilweise geheilt werden können.
Die Erfahrungen unserer Freiwilligen in Gaza haben mir ein neues Verständnis von «Fürchtet euch nicht!» eröffnet. Jesus ist gekommen, um uns von Ängsten zu befreien, die uns lähmen. Heisst das, dass wir vor Problemen und Kriegen gerettet sind? Ganz und gar nicht. Wir werden immer noch durch unruhiges Wasser gehen, aber wenn wir durch unruhige Wasser gehen, wird er mit uns und für uns da sein, damit die mächtigen Flüsse uns nicht überwältigen. Wir werden weiterhin Feuer erleben, aber wenn wir durch Feuer gehen, wird die Flamme uns nicht verzehren. Gott macht uns unverwüstlich.
«Fürchtet euch nicht, ich mache euch widerstandsfähig!» «Fürchte dich nicht, ein Retter ist geboren!» Retter steht für Befreier. Die Engel versprachen Befreiung und Freiheit für ein Volk unter römischer Besatzung. Unser Volk wünscht sich nichts sehnlicher als Freiheit und Befreiung von der Besatzung.
Als Christen müssen wir die nekrophile Politik unserer Zeit in Frage stellen, alle Politik, die weiterhin Todeswelten schafft, und die Rüstungsindustrien, die weiterhin von Kriegen profitieren. Es reicht nicht aus, zu einem Waffenstillstand aufzurufen. Wir müssen Gottes Werkzeug der Befreiung sein und uns für eine Welt ohne Kriege einsetzen, damit die Kinder in Gaza ihre Kindheit leben können und die Christen im Nahen Osten nicht nur überleben, sondern gedeihen.
Dies war auch die Botschaft von Papst Franziskus, nachdem er die Krippe eingeweiht hatte, die von Künstlern der Dar al-Kalima Universität entworfen und von Handwerkern und behinderten Kindern aus Bethlehem handgeschnitzt und hergestellt wurde.
Betrachten wir schliesslich die Krippen von Bethlehem, die in dem Land errichtet wurden, in dem der Sohn Gottes geboren wurde... Denken wir aber auch an die Brüder und Schwestern, die stattdessen genau dort und in anderen Teilen der Welt unter der Tragödie des Krieges leiden. Mit Tränen in den Augen lasst uns unser Gebet für den Frieden erheben. Brüder und Schwestern, genug Krieg, genug Gewalt! Wisst ihr, dass eine der profitabelsten Investitionen hierzulande in der Waffenproduktion liegt? Profit durch Töten... Aber wie kommt das? Genug der Kriege!
Es möge Frieden sein in der ganzen Welt und für alle Menschen, die Gott liebt (vgl. Lk 2,14)!
Inmitten all dieser Ängste konnten die Künstler und Kunsthandwerker von Dar al-Kalima zeigen, dass die Angst sie nicht lähmen kann, sondern dass sie durch ihre Kunstwerke weiterhin Kreativität beweisen und Schönheit verbreiten. Sie wollen ihr volles Potenzial ausschöpfen und aufblühen. Ein Waffenstillstand ist dringend erforderlich und ein gerechter Frieden muss her.
Aus der kleinen Stadt Bethlehem wünschen wir Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und unserer Welt ein friedliches Jahr 2025.
Pfarrer Dr. Mitri Raheb ist Gründer und Präsident der Dar al-Kalima Universität Bethlehem, Palästina
Originalartikel: www.daralkalima.edu.ps/en/news/1733815593
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