«Ich kenne keinen Bauern, der seinen Boden gern ruiniert»
Landwirt Hubert Stark aus Lutschau im Waldviertel von Österreich macht mit der von ihm gegründeten Humusbewegung einen Spagat: Er lässt den Bauern ihren Wunsch, die Produktion zu steigern, um auf dem Markt zu überleben – und vermittelt ihnen gleichzeitig den Wert des gesunden Bodens. Ich fragte ihn, was ihn am Humus so fasziniert und wie er ihn retten will.
Zeitpunkt: Du bist Ökolandwirt im Waldviertel, betreibst Schweinemast und Mutterkuhhaltung, hast ein Dutzend Gänse, seit 20 Jahren pflugfreien Getreideanbau und sicher genug zu tun. Du begleitest ausserdem mit deinem Netzwerk Bauern in ganz Österreich in der Kunst, ihren Boden gesund zu erhalten. Und zwar als Hobby! Warum? Und was begeistert dich daran so?
Hubert Stark: Bei mir reichte ein ganz einfacher Einblick in den Boden mit Lupe und Mikroskop. In ein paar Gramm Boden hast du unglaublich viel Leben. Da gibt es Tierchen, die sehen aus wie Raumschiffe mit zwei Motoren vorne. Ich dachte, da traut man sich ja gar nicht mehr, auf den Boden zu treten. Was da für ein Leben drin ist: Da sollte man bei jedem Schritt Entschuldigung sagen. Das ist gewaltig.
Die fünf Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft
1. Nährstoffgleichgewichte / Bodenchemie in Ordnung bringen
2. Maximale Begrünung der Flächen durch Zwischenfrüchte, Untersaaten und Begleitsaaten
3. Schonende Bodenbearbeitung
4. Mikrobielle Prozesse fördern und Rotteprozesselenken
5. Kulturen durch Vitalisierung zur vollen Leistungsfähigkeit und optimaler Gesundheit bringen
Fachleute warnen heute, dass die Bodenkatastrophe schlimmer wäre als die Klimakatastrophe, denn das Bodenleben wird in einer Geschwindigkeit zerstört, wie es nicht mehr aufgebaut werden kann. Dafür gibt es fast keine Lösung. Ist das für dich auch so dramatisch?
Extreme sind immer schlecht. Es gibt immer Kräfte, die alles sehr dramatisch darstellen wollen. Klar, man kann sagen, wir haben keine Zukunft mehr. Aber dann ist eh alles egal. Für mich ist das keine Option. Es geht vielmehr darum, achtsam mit den Dingen umzugehen und zu versuchen, klar im Kopf zu sein. Dann wird man wissen, welche Dinge wichtig sind da dann ansetzen. Dann findet man relativ schnell Lösungen. Wenn man aber glaubt, etwas mit Gewalt ändern zu müssen, erzeugt man immer Gegendruck. Um so mehr man die Agroindustrie angreift, desto mehr ist die Gefahr, dass die sagt: Nix, wir müssen die Nahrung für die Weltbevölkerung produzieren, und fertig. Hingegen, wenn man sagt, hey, wir hätten da vielleicht Lösungen, wenn du da mal ein bisschen änderst, das einmal ausprobierst – dann sind fir Menschen viel mehr bereit, etwas zu ändern.
Die Bauern in der Gegend, aus der ich komme, sagen nicht Boden. Die sagen Dreck dazu.
Das ist schon krass. Denn im Grunde können wir sagen, der Mensch ist Boden. Erde ist, was von uns bleibt. Aber ich kenne keinen einzigen Bauern, der seinen Boden gern ruiniert. Es macht jeder nach bestem Wissen und Gewissen, was er hört und für gut befindet. Wir hören doch beide Meldungen: Ohne Agrarindustrie verhungern die Menschen – und: die Agrarindustrie ruiniert den Boden. Wenn man beide Meldungen hört, dann kann man für sich entscheiden, was man glaubt und etwas zu tun. Dann soll jeder überlegen, was er in seinem Bereich machen kann, damit sich das etwas besser entwickelt.
Ohne gesunden Boden kein gesundes Wasser – was dann?
Wasser ist das Lebenselixier schlechthin. Mein Neffe arbeitet für einen grossen Trinkwasserhersteller in Österreich. Sie holen das Wasser aus 650 m Tiefe, und es ist 15.000 Jahre alt. Wenn das Wasser, das jetzt da unten ist, vor 15.000 Jahren an der Oberfläche war, dann frage ich mich: Was müssen wir jetzt für das Wasser tun, dass es in 15.000 Jahren auch noch jemand trinken kann. Wir müssen den Landwirten helfen, dass sie sukzessive wieder von den Chemikalien wegkommen und andere Lösungen erkennen. Und wir müssen den Boden wieder so aufbauen, dass der die Filterfunktion des Wassers wieder wahrnimmt. Ein gesunder Boden kann das. Und das machen wir.
Wie unterstützt du die Bauern, was rätst du ihnen?
In erster Linie geht es darum herauszufinden, wie Lebensprozesse funktionieren. Sowohl pflanzenphysiologisch als auch von der bakteriellen Aktivität im Boden. Was brauchen die Lebensprozesse, damit die sich wohlfühlen? Und dann kommt man automatisch immer auf die fünf Schritte der regenerativen Landwirtschaft: Basensättigung ausgleichen; permanent begrünen und damit die oberirdische Grünmasse, die ja sonst verpufft, in den Bodenstoffwechsel wieder einbauen; den Boden beatmen – und das Vitalisieren der Pflanzen zur höchsten Photosyntheseleistung. Das sind im Wesentlichen die fünf Schritte der regenerativen Landwirtschaft. Wenn man sich an die hält, macht man nicht viel falsch, würde ich sagen.
Grosse Maschinen verursachen grossen Schaden, oder nicht?
Das muss nicht so sein. Wenn die grossen Maschinen einen Meter dicke Reifen und eine grosse Reichweite haben, dann bleibt ein Teil unbefahren und wird geschont. Dagegen macht schmale Technik und viel Gewicht, wie man das heute oft sieht, keinen Sinn. Wir brauchen wieder leichtere Technik. Aber da muss man jedem Landwirt verschiedene Möglichkeiten vorschlagen, denn jede Situation ist anders.
Die meisten Menschen denken nur technisch, und das ist ein Problem. Den Boden kann man nicht nur technisch verändern. Versuch einmal mit deiner Technik, die du hast, die Grundgesetze der regenerativen Landwirtschaft zu beachten und das Bodenleben zu regenerieren. Der eine kann davon das Eine umsetzen, der andere etwas anderes. Man muss nicht gleich den ganzen Betrieb umstellen, das geht meistens in die Hosen. Wir haben auch geglaubt, wir müssten den ganzen Betrieb auf einen Schlag umstellen – und das ist anfangs schrecklich in die Hosen gegangen. Denn es sind viele neue Faktoren, und der Lernprozess braucht Zeit.
Wie finden dich die Bauern?
Der Verein Faire Biogetreide-Vermarktung vertreibt Untersaaten und ökologische Dünger, und der schickt uns Bauern. Wenn ein Bauer sagt, er braucht uns, dann kommen wir. Wir machen Bodenproben und zeigen ihnen, wie man eine Bodenanalyse richtig liest. Einige ausgewählte Betriebe begleiten wir vorrangig, damit sie wiederum Leuchtstellen werden, wo die anderen Betriebe sich informieren können und sich von ihnen wiederum beraten lassen. Das System ist so aufgebaut, das es von selbst weitergeht – eine Art Wurzelsystem, das sich ausbreitet und immer weiterwächst.
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