Kiffen legalisieren?

Liebe Leserinnen und Leser

Wir haben lange diskutiert, ob wir zur anstehenden Abstimmung über die so genannte Hanf-Initiative eine Empfehlung abgeben wollen. Jetzt machen wir es trotzdem. Den Ausschlag gegeben hat ein Text des Basler Strafrechtprofessors Peter Albrecht über 30 Jahre Drogenjustiz. Sein Fazit: «Die Bilanz aus den praktischen Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte fällt überaus ernüchternd aus, um nicht zu sagen: katastrophal.»
Dass das 1975 verschärfte Betäubungsmittelgesetz sein Ziel nicht erreicht hat, ist offensichtlich. Es gibt heute eine geschätzte halbe Million Cannabis-Konsumenten in der Schweiz. Daran ist natürlich nicht das Gesetz schuld – der Alkoholkonsum ist ohne Gesetz auch beträchtlich gewachsen –, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse. Grössere und kleinere Fluchten sind für viele überlebenswichtig geworden, um den Druck auszuhalten oder noch Sinn zu erfahren. Viele können erst woanders sich selber sein.

Die verschärfte Repression hat diese Entwicklung nicht nur nicht verhindern können, sie hat die Justizorgane an sich selber zweifeln lassen. Eine halbe Million Gesetzesbrecher, von denen nur ein Bruchteil verfolgt wird, das kann nicht rechtsgleich sein. «So kann es nicht verwundern», schreibt Albrecht, «dass bei Polizei und Staatsanwaltschaft sich Zeichen resignativer Unzufriedenheit vermehren.» Das hat nicht nur damit zu tun, dass vor den Gerichten in der Regel die kleinen Fische erscheinen, während die grossen ziemlich unbehelligt an den Behörden vorbeischwimmen.
Der tiefere Sinn ist der, dass die Rechtsgrundlage für ein Drogenverbot ziemlich schwach ist und in Konflikt mit den Grundrechten steht. Das ist beileibe keine juristische Spitzfindigkeit, die sich mit ein paar cleveren Formulierungen aus der Welt schaffen lässt, sondern betrifft unser Selbstverständnis in dieser Gesellschaft. Unsere Verfassung postuliert das Individuum als unabhängiges Wesen, das frei entscheiden kann, auch zu seinem Nachteil. Konsequenterweise ist die Selbstgefährdung in unserer Rechtsordnung kein Delikt, weder Autofahren noch Extremsportarten und nicht einmal der versuchte Selbstmord. «Das strikte Verbot [gemäss Betäubungsmittelgesetz] erweist sich insoweit als verfassungswidrig», schreibt Albrecht. Das Rechtsgut, das die Befürworter der Drogenverbote schützen wollen – das sei fairerweise auch erwähnt – ist die Volksgesundheit und letztlich die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft. Aber: Das Verbot kann diese Ziele nicht erreichen. Zudem schafft es den Rahmen für einen umfangreichen Schwarzmarkt mit einem Umsatz von etlichen hundert Millionen Franken und attraktiven finanziellen Anreizen just für das, was man eigentlich verhindern will.

Der Wunsch nach einer «sauberen» Gesellschaft ist verständlich und auch die Verlockung, den Staat mit seiner Erfüllung zu beauftragen. Aber die Einteilung der Welt in Gut und Bös oder in Nüchterne und Bekiffte funktioniert nicht. Sie funktioniert nicht aus methodischen Gründen. Das Verdrängte gewinnt immer an Kraft. Sie funktioniert aber auch nicht, weil der Hanf, ganz objektiv gesehen, keineswegs eine Pflanze des Teufels ist, im Gegenteil. Hanf ist die Nutzpflanze mit der grössten Biomasseproduktion unserer Breitengrade, braucht keinen Dünger, dient der Bodenverbesserung, ist eine potente Energiepflanze und Rohstoff für 40 000 Produkte, darunter viele Medikamente. Hanf wurde während Jahrtausenden angebaut und auch geraucht – z.B. in der so genannten Sonntagspfeife, ohne negative Folgen für die Gesellschaft. Erst im Zuge einer amerikanischen Kampagne Ende der dreissiger Jahre wurde der Hanf geächtet und verboten. Massgeblich finanziert wurde die Kampagne vom Medienkonzern Hearst – mit Interessen in der Waldwirtschaft und der Papierherstellung – und vom Chemiemulti Dupont, der einen unliebsamen Konkurrenten seiner neuen Faser Nylon ausschalten wollte.
Am 30. November hat das Schweizer Volk die Chance, den Hanf, die Folgen der Verbotspolitik und die Stellung des freien Menschen ganz nüchtern zu beurteilen. Aber vielleicht stehen wir noch im Rausch der Illusion von Gut und Bös.

    Christoph Pfluger
10. November 2008
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