Mutige werden eingeschüchtert
Whistleblower gehen für ihren Dienst an der Allgemeinheit grosse Risiken ein und werden selten belohnt
Steuerbetrug, gigantische Überwachungspraktiken, illegale Geschäfte bei Konzernen, Missbrauch im Sozialwesen – eine breite Palette an brisanten Themen ist in den letzten Jahren durch Whistleblowing aufs mediale und politische Tapet gelangt. Wie aber steht es um die rechtliche Situation der Personen, die rechtswidrige oder unmoralische Praktiken enthüllen? «Whistleblower riskieren in der Schweiz die Kündigung, gesellschaftliche Ächtung und je nachdem sogar eine Strafverfolgung», sagt Martin Hilti. Seit Jahren beobachtet er als Geschäftsführer der Antikorruptionsorganisation «Transparency International Schweiz» die holprige Entwicklung eines Whistleblowing-Rechtrahmens in der Schweiz. Während im revidierten Bundespersonalgesetz von 2011 zumindest ein Melderecht für Angestellte festgehalten ist, wird im Privatsektor seit Jahren an einer Teilrevision des Obligationenrechts herumgebastelt, bisher ohne konkretes Ergebnis.
Was ist «überwiegendes Interesse»
Die momentane Rechtslage für Arbeitnehmer sieht so aus, dass sie nur von ihrer Treue- und Geheimhaltungspflicht entbunden werden, wenn ein sogenannt überwiegendes Interesse an einer Offenlegung besteht. Was darunter verstanden wird, ist jedoch im Arbeitsrecht nicht definiert und kann folglich erst vor Gericht entschieden werden. Whistleblowern entsteht durch die Kündigung noch eine zusätzliche Hürde. So kann eine Entlassung zwar als missbräuchlich angefochten werden, doch liegt es an den Arbeitnehmenden, den Missbrauch zu beweisen und den maximalen Anspruch auf sechs Monatslöhne zu erstreiten. «Whistleblowing ist mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit verbunden», sagt denn auch Martin Hilti.
Am Arbeitsplatz verhaftet
Esther Wyler hat diese Erfahrung am eigenen Leib gemacht. Mit Margrit Zopfi war sie mehr als zehn Jahre als Controllerin im Zürcher Sozialdepartement tätig. Immer wieder stiessen die beiden dabei auf ungerechtfertigte Ausgaben und leiteten, nachdem interne Meldungen keine Wirkung hatten, ihre anonymisierten Akten im Herbst 2007 an die Weltwoche weiter. Nach deren Veröffentlichung wurden Zopfi und Wyler am Arbeitsplatz verhaftet, fristlos gekündigt und anschliessend wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses verurteilt.
Entmutigen liess sich Esther Wyler davon nicht. Auch heute noch äussert sie sich regelmässig auf konsequente und mutige Weise zum Thema ‹Whistleblowing›. Für sie ist die Weigerung, einem Whistleblower wie Edward Snowden eine Aufenthaltsbewilligung zu gewähren, ein Armutszeugnis für eine Demokratie.
Wie bleibt Whistleblowing anonym?
Ein korrektes Whistleblowing werde verunmöglicht, schreibt Esther Wyler in ihrem 2012 erschienenen Buch «Whistleblowing. Bedingungen und internationale Rechtssituation». Einerseits fehle es an den gesetzlichen Schutzbestimmungen, andererseits seien funktionierende und von Mitarbeitern als wirklich unabhängig anerkannte Whistleblower-Warnsysteme und Meldestellen in der Schweizer Unternehmens- und Verwaltungslandschaft immer noch die Ausnahme und nicht die Regel.
Eine solche Möglichkeit, Missstände zu melden, bieten die von der Zeitschrift «Beobachter» ins Leben gerufene Whistleblower-Hotline und die Website sichermelden.ch. 1900 Meldungen sind laut Daniel Benz, der die Plattform mitbetreut, seit 2011 eingetroffen. Bei vielen handelt es sich allerdings nicht um Whistleblowing.
Esther Wyler: Whistleblowing – Bedingungen und internationale Rechtssituation. Elster, 2012, 184 S., CHF 28.–
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