Mythos Matala: «Wer das erlebt hat, kann es nicht vergessen»

Matala, einst ein kleines Fischerdorf, ist heute der wohl berühmteste Ort an der Südküste Kretas. Vor 60 Jahren wurde es von den Hippies entdeckt. Was war so besonders an Matala - und was ist daraus geworden. Nicolas Lindt im Gespräch mit Matala-Urgestein Arn Strohmeyer.

Noch immer ein Anziehungspunkt: Der Strand von Matala bei Sonnenuntergang (Bild © N. Lindt)

Matala ist nicht nur wunderschön gelegen und nicht nur eines der sonnigsten Dörfer von Kreta – die Felsen am Strand von Matala sind von Höhlen durchsetzt, und junge Leute aus aller Welt machten die Höhlen zu ihren Wohnstätten. Einer von ihnen war der Deutsche Arn Strohmeyer. 

Auch er pilgerte in den 60er-Jahren nach Matala. Der spätere Journalist und Autor suchte das Abenteuer – und vor allem die Freiheit. Sein Buch «Mythos Matala» bringt auf eindrückliche Weise zum Ausdruck, wie sehr dieses Matala sinnbildlich heute noch für die Freiheit steht. 

Seit über zehn Jahren findet auch jedes Jahr in Erinnerung an die Hippie-Zeit ein Musikfestival in Matala statt – in diesem Jahr vom 23.-25. Juni. 

Ich selber war letzten Herbst das erste Mal dort. Als ich in der Buchhandlung des Dorfes – auch diese ist eine Reminiszenz aus der Zeit der Blumenkinder – das Buch von Arn Strohmeyer entdeckte, beschloss ich, nach meiner Rückkehr mit ihm ein Gespräch zu führen.

Peter aus Grossbritannien, heute Computertechniker: «Ich spürte absolute Freiheit. Die Zeit in Matala war die beste meines Lebens.»

Nicolas Lindt: Du bist 1967 das erste Mal nach Matala gereist. Warum zog es dich dorthin?

Arn Strohmeyer: Die Hippies und ihr Treffpunkt Matala waren damals ein grosses Medienthema. Die Utopie von der unbegrenzten Freiheit begeisterte uns – ein Leben ohne falsche Autoritäten, Zwänge und Vorschriften. Dazu der exotische Gedanke, in Höhlen direkt am Meer zu wohnen. Neugier und Abenteuerlust haben mich veranlasst, damals nach Matala aufzubrechen.

Wie sind die Höhlen entstanden? 

Arn Strohmeyer: Die Höhlen stammen aus vorgeschichtlicher Zeit. Vermutlich haben die Minoer oder Dorer sie in den Fels geschlagen. Genau weiss man das nicht. Aber sie waren ursprünglich Grabhöhlen. Es gibt in einigen Höhlen eingemeißelte Sarkophage. Viele Höhlen waren vom Flugsand zugeweht. Wenn man sie ausgrub, kamen noch menschliche Knochen zutage.

Wie haben die Dorfbewohner auf die Hippies reagiert? Eine Dorfbewohnerin sagte mir, ihr Vater habe immer gesagt: Sie hatten lange Haare und manche haben nicht gut gerochen - ausser wenn sie gerade im Meer gebadet hatten.

Arn Strohmeyer: Dass vielleicht einige Hippies Körpergeruch hatten, ist leicht zu erklären: Im Dorf war das Wasser knapp. Man musste ein Restaurant aufsuchen, um dort auf die Toilette zu gehen und sich zu waschen. Doch das Verhältnis der Dorfbewohner zu den Hippies war erstaunlicherweise sehr gut. Die Kreter sind gastfreundliche und tolerante Menschen, ausserdem verdienten die Einheimischen, die sehr arm waren, an den Hippies ein bisschen Geld. 

Zwei Einheimische sind den Hippies besonders nahe gestanden - «Mama» und Georgios. Was kannst du über sie sagen?

Arn Strohmeyer: Mama Zouridakis gehörte die Bäckerei, sie war eine rührende Frau. Sie war der gute Engel der Hippies, sie hat ihnen geholfen, wo sie nur konnte. Im Winter ist sie zu den Höhlen hinaufgestiegen und hat kranke Hippies verpflegt und mit Medizin versorgt. 

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Matala-Veteran und Autor Arn Strohmeyer im Gespräch mit dem Fischer Georgios (Bild © Arn Strohmeyer)

Georgios war Fischer. Für ihn – er war ein junger Mann – war die Anwesenheit der Hippies ein grosses Erlebnis. Besonders die hübschen blonden Mädchen aus dem Norden hatten es ihm angetan. Er hat die Hippies immer mit Fisch versorgt, sodass sie abends am Feuer Fischsuppe kochen konnten. Was seinen Vater sehr geärgert hat, denn auch diese Familie war sehr arm und hatte nichts zu verschenken.

Wolfgang aus Deutschland, heute Geologieprofessor: «Es befriedigt mich, dass ich dieses einzigartige Freiheitsgefühl kennen gelernt habe, das nur jene fühlen, die ihrem Herzen folgen.»

Die bekannteste Matala Pilgerin war sicher die kanadische Sängerin Joni Mitchell, die ihrem Aufenthalt im kretischen Dorf sogar ein Lied widmete – «Carey». Wie hat sie Matala damals erlebt?

Arn Strohmeyer: Aus ihrem Matala-Song geht hervor, dass sie das Dorf faszinierend fand, das Leben in den Höhlen aber eher gehasst hat - auf dem harten Steinboden schlafen, das viele Ungeziefer und die fehlende Hygiene: Sie wollte zum Schluss nur noch weg!

Was ist aus der einstigen «Blumenkinder-Kolonie», wie du sie nennst, in den Jahrzehnten seither geworden? Wie haben die Behörden reagiert?

Arn Strohmeyer: Zunähst konnten die Hippies sehr friedlich in den Höhlen leben. Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre wurde der Druck von Staat (Polizei) und Kirche immer grösser, die Hippies aus diesem «Sündenpfuhl» zu vertreiben. Aber da war die grosse Zeit des Flowerpower ohnehin zu Ende. Die Höhlen wurden dichtgemacht und die Spuren der Blumenkinder beseitigt. Heute ist Matala ein ganz normaler Touristenort, aber sehr stolz auf die Hippie-Vergangenheit. Man kann ja mit dem Mythos auch gute Geschäfte machen.

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Matala ist heute längst ein Touristenmekka…. geworden… (Bild © N. Lindt)

Ich habe es letzten Herbst selbst erlebt: Tag für Tag strömen Hunderte in das Dorf, und wer die Höhlen besichtigen will, muss heute Eintritt bezahlen. Offensichtlich haben die Hippies von einst Matala Glück gebracht…

Arn Strohmeyer: Die Hippies waren sicher die Trendsetter für den Tourismus in Matala. Aber das Dorf hat eine so einmalig schöne Lage, dass es auch ohne Hippies ein Touristen-Mekka geworden wäre.

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…aber der Strand mit den Höhlen, wo die Hippies einst wohnten, ist noch immer derselbe wie damals (Bild © N. Lindt)

Du schreibst in einem deiner Bücher, dass Matala nach der Blumenkinderzeit endgültig seine mythische Seele verlor. Gleichzeitig aber schwärmen noch heute all jene, die damals in Matala waren, von ihrem Aufenthalt dort. Ihre Zeugnisse in deinem Buch bestätigen es, und sie reisen auch immer wieder dahin zurück. Was machte den Mythos von Matala aus und warum ist er nach über 50 Jahren noch immer so lebendig, dass so viele Menschen dieses Matala sehen wollen?

Arn Strohmeyer: Die fantastische Natur, diese Einheit von Meer, Bergen, Höhlen, einem fast immer guten Wetter und den einfachen, aber sehr gastfreundlichen Menschen schuf eine einmalige Atmosphäre. Das Leben war billig, das Wohnen in den Höhlen umsonst. Die Hippies selbst haben in Matala ein unvergleichliches kosmopolitisches Fluidum geschaffen. Wer das erlebt hat, kann es nicht vergessen.

Barvara aus Australien: «Matala war ein Schmelztiegel von Ideen, Talenten, Sängern, Gitarrenspielern und begabten Poeten. Wir alle träumten von Utopia. Ich bin sehr dankbar für die Erfahrung. Es war fantastisch so viele wunderbare und verrückte Menschen zu treffen.»

Am meisten genannt wird das «einzigartige Freiheitsgefühl», das die einstigen Matala-Reisenden dort empfanden. Wird die Freiheit jener Zeit deshalb so stark betont, weil sie uns heute abhanden kommt?

Arn Strohmeyer: Ja, es war eine besondere Zeit damals. Es waren ja nicht nur die Hippies, die ganze 68er-Bewegung hat ein ganz neues Lebensgefühl geschaffen. Die jungen Leute waren voller Optimismus und Hoffnung auf eine neue bessere Welt. Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt.

Am kommenden Freitag, dem 23. Juni beginnt in Matala einmal mehr ein dreitägiges Musikfestival. Wie ist es dazu gekommen? 

Arn Strohmeyer: Ich habe vor inzwischen 13 Jahren ein Wiedersehensfest mit ehemaligen Höhlenbewohnern geplant. Bei der Gelegenheit wollte ich mein Buch «Mythos Matala» vorstellen, und abends sollte es wie in der Hippie-Zeit eine wilde Party am Strand geben. Wir haben im Internet ordentlich Werbung für dieses Fest gemacht. Ich hatte mit 300 bis 400 Personen gerechnet. Dann hat sich die Bürgermeisterin von Mires – diese Stadt ist verwaltungsmässig für Matala zuständig – an mich gewandt und vorgeschlagen, dass die Gemeinde ein grosses Hippie-Festival daraus machen und es auch organisieren wolle. 

Ich war froh, dass ich die Organisation los war. Das erste Festival Pfingsten 2011 sprengte dann alle Dimensionen: an diesem Wochenende kamen 70 000 Leute zum Fest! 

Inzwischen hat man das Festival umbenannt. Es heisst nicht mehr «Hippie-Festival», sondern «Beach-Festival». Auf diese Weise hat man dem Fest den Hippie-Charakter völlig geraubt. Das ist sehr schade. Es ist heute in erster Linie ein Spass für die jungen Kreter. Ich bin nicht mehr dabei. Das Kind ist gross und selbständig geworden. Es braucht mich nicht mehr.


Webseite von Arn Strohmeyer

Arn Strohmeyer «Mythos Matala»

Matala Beachfestival 23.-25.6.2023

«5 Minuten» Podcast von Nicolas Lindt «Die Hippies von Matala»

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Poster des diesjährigen Beach Festivals in Matala