Sauerstoffüberschuss und echte Schweizer Werte
Das Leben in der Schweiz ist gewöhnungsbedürftig. Dies merken auch Heimkehrende nach einem Auslandaufenthalt. Doch nicht nur Geist, sondern auch Magen und Lungen stehen vor diversen Herausforderungen. Kolumne.
Ende April reise ich nach einem längeren Auslandaufenthalt zurück in die Schweiz. Dies erfordert immer ein gewisses Mass an mentaler Vorbereitung. Vom berühmten Kulturschock, der sich in Überforderung und sogar einer Abwehrhaltung manifestieren kann, spricht man eher beim Ankommen in einem fremden Kontext. Doch ich bin längst nicht die Einzige, die vor allem beim «Heimkommen» vom Kulturschock eingeholt wird.
Dies hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass man denkt, bei der Rückkehr ins eigene Land würden einen keine Überraschungen erwarten – schliesslich kennt man ja alles in- und auswendig. Doch dies ist ein Trugschluss. Nach mehrmonatiger oder sogar mehrjähriger Abwesenheit muss man sich in Helvetien regelrecht neu einleben. Nicht nur, weil sich in der Zwischenzeit vieles verändert hat. Die CVP hat mit der BDP fusioniert, und mein marokkanisches Lieblingsrestaurant hat eine neue Karte. Doch abgesehen von diesen Nebensächlichkeiten gibt es auch wirklich schwere Nachrichten wie die schwere. Erkrankung von Freunden. Das muss man erst mal verdauen.
Doch nicht nur der Magen steht vor einer Herausforderung, sondern auch die Lungen. Ich habe die letzten zwei Jahre auf fast 4000 Meter über Meer verbracht. Heisst: Der Sauerstoff reichte allenfalls aus, um eine Einkaufstüte zu tragen, eine Treppe hochzugehen oder eine Sprachnachricht zu schicken. Und nicht für alle drei Dinge gleichzeitig.
Wenn ich in Zürich-Kloten lande, werde ich also erstmal an Sauerstoffüberschuss leiden und praktisch mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sein. Doch das ist gar nicht schlecht, denn in der Schweiz muss ja alles möglichst schnell gehen. Zeitoptimierung und Effizienz sind zu solideren helvetische Werten geworden als die humanitäre Tradition oder die Neutralität, die inzwischen fast nur noch auf dem Papier existieren.
Das Schweizer Völkchen ist definitiv gewöhnungsbedürftig. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt zum Beispiel: Hast du die Wahl, zwischen einem Job zu wählen, der ein Gefühl von Enthusiasmus in dir auslöst, und einem, der top bezahlt ist, wählst du ohne zu zögern letzteren. Andernfalls bist du nicht nur seltsam, sondern auch unverantwortlich – gegenüber deinem zukünftigen Ich (das einst eine dürftige Rente bekommt). Gegenüber deinen Kindern (auch wenn du keine hast). Und nicht zuletzt gegenüber dem Staat (dem du potenzielle Steuereinnahmen abzwackst). Persönliche Interessen höher zu gewichten als das bestmögliche Einkommen, führt zu Konsternation und Empörung im Bekanntenkreis.
Was selten erwähnt wird: Die Folgekosten für ein Burnout, weil man einen so genannten Bullshit-Job ausübt, statt sich mit etwas zu beschäftigen, wofür man wirklich brennt, sind in den meisten Fällen weitaus höher als der so genannte Lohnausfall bei einem tollen, weniger gut bezahlten Job. Und ganz nebenbei: Weder die Kinder noch der Staat haben etwas von einem Ausgebrannten.
In den meisten Ländern südlich des Äquators kann man sich dagegen locker Zeit für zweistündige Kaffeepausen nehmen. Und dabei entdecken, dass sich diese als produktivere Planungssitzungen herausstellen können als Wochen im Voraus geplante Brainstormings. Doch bei der gemeinsamen Pause passiert noch viel mehr: Man fragt, wie es dem Anderen geht. Und hat mehr als 10 Sekunden Zeit für eine Antwort.
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