Ostern als Obdach für alle
Die Ostergeschichte ist auch eine Geschichte des Willkommen- und Heimischseins. Der Philosoph und Theologiestudent Philippe Schultheiss nimmt das Osterfest zum Anlass, um über die selbstverschuldete metaphysische Obdachlosigkeit des Menschen zu reflektieren. Kolumne.
Woher kommt der Mensch und wohin geht er? Wo ist unsere wirkliche Heimat? Zugespitzt gefragt: Was kommt nach dem Tod? Wer diese Fragen mit naturwissenschaftlichen Methoden angeht, hat sie nicht verstanden (beides: die Fragen und die Naturwissenschaften). Wir können weder naturwissenschaftlich in Erfahrung bringen, woher wir ursprünglich kommen, noch können wir mit empirischen Methoden vorhersehen, wo wir in Zukunft wohnen werden. Wir wissen häufig nicht einmal, ob wir in uns selber, in unserem Körper und bei unserer Seele, wirklich zu Hause sind, und nicht nur Gast auf Zeit.
Viele Menschen haben sich in ihrer hochgeheizten Wohlstandsverwöhnung wohlig eingerichtet – leben aber in einer «metaphysischen Obdachlosigkeit», wie der Schweizer Philosoph Ludwig Hasler diese Situation treffend benennt. Den Gedanken an den Tod und ans Danach haben sie erfolgreich aus Wohnstuben und Denkstübli verdrängt. Diese Menschen leben in einer selbstverschuldeten metaphysischen Obdachlosigkeit und getrauen sich nicht, sich aus ihr herauszuwickeln. Aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Ostern ist ein gesellschaftlicher Aufruf, sich unter ein verlässliches Dach zu begeben. Christlich verstanden ins Haus des Herrn. Philosophisch verstanden ins Haus der Transzendenz oder einer geistlichen Realität. Es wäre schade, wenn im Zuge von Säkularisierungs-Trends und falsch verstandener globalistischer Mischmaschmultikulti-Toleranz Feiertage wie Ostern abgeschafft würden. Denn dies wäre, als ob nicht nur Notschlafstellen und Flüchtlingszelte, sondern als gar die Besinnung auf ein Daheimsein an sich abgeschafft würde. Der Mensch hadert ja seit je mit der Wohnlichkeit und dem Zuhausesein auf Erden. Mal wurde er vertrieben, mal zog er aus eigenen Stücken aus, mal wurde der Wohnraum zu gross, mal zu eng oder zu unwirtlich.
Ja, das Leben ist die Suche nach einem echten Daheim. Und Ostern ist Fingerzeig und Weckruf: «Es gibt ein solches Daheim, siehe, Du findest es bei mir.» Dieses Daheim findet sich jenseits aller irdischer Eingänge und Portale. Ostern ist der Wegweiser in dieses jenseitige Heimischsein. Ostern ist ein Aufrichtfest für das Obdach aller Menschen. Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass Jesus Christus – um den es an Ostern ja (auch) geht und dessen Name daher in einem Text zum Anlass des Osterfests nicht fehlen darf – in seinem bürgerlichen Leben ein «Baumeister», «Handwerker» oder «Zimmermann» gewesen ist. Einer also, der nicht nur wusste, wie man Menschen ein irdisches Dach über dem Kopf zur Verfügung stellt, sondern ihnen auch ein unbedingtes ewiges Obdach aufzuzeigen vermochte. Ein metaphysisches Obdach eben.
Niemand ist gezwungen, Wohnstätte in dieser ewigen Heimat zu nehmen. Aber alle Menschen sind dazu eingeladen. Dies unterscheidet diese Stätte von sämtlichen weltlichen Angeboten, seien sie von Kirchen, Sozialämtern, Gaststätten etc., welche sich immer wieder einmal das (Un-)Recht herausnehmen, Menschen, die gewisse Kriterien nicht erfüllen, vor der Türe stehen zu lassen.
Die Ostergeschichte ist für mich daher auch eine Geschichte des Willkommen- und Heimischseins. Egal wo ich gerade weile, ich bin dort nur zu Gast auf Zeit. Ich geniesse es zwar sehr, Gast zu sein, aber die wirkliche, ewige Heimat finde ich nicht hier auf Erden, sondern nur in einer anderen, jetzt noch unsichtbaren Realität. An Ostern feiern wir gemeinsam das Aufrichtfest der ewigen Heimstätte, in welcher jedes irdische Ende überwunden ist.
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Philippe Schultheiss arbeitet als Berater, Philosoph und Publizist. Der 37-Jährige ist Mitgründer diverser Vereine und Aktionsgruppen, unter anderem des Forum Ouverture, welches sich für eine offene Gesellschaft einsetzt. Auf seinem Blog philophil.ch geht er gesellschaftlichen, philosophischen und spirituellen Fragen nach.
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